Von Jenz Steiner
Der Comic-Zeichner Michael Schröter aus Berlin Prenzlauer Berg hat eine neue gezeichnete Kriminalgeschichte veröffentlicht. „Türme, Keller, Hühnerställe“ ist der vierte Fall des Privatdetektivs Mäcke Hering, der auf eigene Faust in der Berliner Unterwelt der späten Zwanziger Jahre ermittelt. Mit seinen Methoden macht er sich nicht nur bei Hinterhof-Ganoven unbeliebt, sondern auch bei den Berliner Behörden. Jetzt steht seine Privatschnüffler-Lizenz auf dem Spiel.
Privater Schnüffler in der Zwickmühle
Mäcke steckt in der Zwickmühle. Als Bilderhänger in einer Galerie, die sich an den am Hungertuch knabbernden Malern der Berliner Moderne gesund stößt, könnte er nicht nur Gemälde, sondern auch seinen bisherigen Beruf, seine Berufung an den Nagel hängen. Um seine Lizenz zu behalten, lässt er sich lieber vom Berliner Polizeioberreferenten erpressen. In einer Hauptmannsuniform der Reichswehr schiebt er nun in dessen Auftrag geheimen Wachdienst in einem Turm der Schultheiss-Brauerei in der Schönhauser Allee. Schon hat Mäcke Hering einen neuen Fall, denn die kühlen Keller der Brauerei verbergen ein heißes Militärgeheimnis.
Krimi in Kanälen, Kellern und Katakomben
Der Krimi spielt an Schauplätzen, die heute noch existent und wiedererkennbar sind. Die gusseisernen S-Bahnhöfe, der hektische Alexanderplatz, die verwinkelten Hinterhöfe, das Café Kranzler und Gründerzeitindustriebauten wie die heutige Kulturbrauerei in Prenzlauer Berg machen die Geschichte anfassbar und nachvollziehbar.
„Türme, Keller, Hühnerställe“. Mäcke Herings vierter Fall ist spannend, schnell und lebendig erzählt und reicher an Action als die bisherigen Geschichten. Dafür rückt die sonst ebenso spannende Ermittlungsarbeit des Detektivs etwas in den Hintergrund. Die geheimnisvollen Unorte, die Abwasserkanäle, Keller und Katakomben verbergen wirklich Geheimnisse und bieten die idealen Kulissen für ein großartiges Showdown.
Tanz auf dem Vulkan
Es sind besonders die Parallelen zur heutigen Zeit, die Mäcke Herings Abenteuer im Berliner Millieu der nicht immer ganz so goldenen Zwanziger mit Leben füllen.
Die Wirtschaftskrise, das kriegstreiberische Sebelrasseln, die Rückzugsräume, die sich die Großstädter suchen, um mit der neuen Zeit zurecht zu kommen.Während sich viele mit dem System und den Privilegien ihrer Arbeit arrangieren, finden andere ihr Refugium auf Land und leben dort friedlich, frei und freizügig. Wieder andere tanzen den Tanz auf dem Vulkan, berauschen sich in der schillernd-schrillen Entertainment-Welt, bei verschrieenen Vernissagen der Expressionisten und wilden Swing-Abenden mit der Musik von Louis Armstrong, Ivie Anderson und Duke Ellington.
Zwischen Nazis, Polizei und Rotfrontkämpferbund
Der Privatdetektiv saust durch eine politisch stark polarisierte Metropole. Paramilitärisch organisierte Rotfrontkämpfer auf der einen und Nationalsozialisten auf der anderen Seite, die mit der Polizei unter einer Decke stecken und Kinder mit Kriegsspielen im Wald auf ihre Zukunft vorbereiten, prägen das politische Reizklima der Stadt.
Mäcke Hering beobachtet und recherchiert nicht nur, er steckt mitten drin im Gemauschel und Gehacke einer durch und durch korrupten Gesellschaft, in der man sich mit Deals per Handschlag irgendwie über Wasser hält. Mäcke Hering, getrieben von Verzweiflung, Neugier, Stolz und Geltungsdrang, bewegt sich schnell und opportunistisch zwischen Bohème und Bettelproletariat, zwischen Schuldnern, Stars und Schöngeistern. Die Grenzen sind in dieser Zeit fließend. Frivolität und Genusssucht, Armut und soziale Not liegen nah beieinander. Mäcke Herings psychische Verfassung, seine Zweifel, Sorgen und Nöte überschatten oft die Arbeit, zu der er sich berufen fühlt.
Arme Ritter und Mohrrübensuppe
Die Protagonisten sprechen einen Berliner Dialekt, den man heute in der Form höchstens noch in alten UFA-Klassikern, jedoch nicht mehr auf der Straße hören kann.
Die Zeichnungen sind detailverliebt. Die Tiefe der Autorenrecherche spiegelt sich wider in der Kleidung, den Fahrzeugen, Straßennamen und Werbeschildern. Besonders unterhaltsam ist eine Szene, in der Mäcke Hering als Bilderhänger in einer Galerie Edvard Munchs Gemälde „Der Schrei“ unter dem Arm trägt. Briefe, Zitate, Zeilen aus Songtexten, Collagen und überzeichnete Fotos auf Papier, das in seiner Farbe an vergilbte Zeitungen vom Dachboden erinnert, machen Mäcke Herings viertes Abenteuer zu einer echten Zeitreise mit Swing in den Ohren und dem Geruch von Mohrrübensuppe, Armen Rittern, billigem Fusel und frisch gezapftem Bier in der Nase.
Dreckig, rau und ungeschminkt
„Mäcke Hering – Türme, Keller, Hühnerställe“ sticht deutlich hervor aus der Menge der Berlin-Comics. Alles wirkt dreckig, rau und ungeschminkt wie das Berlin, in dem die Geschichte spielt. Michael Schröter, der bis vor einigen Jahren zu den Zeichnern der Zeitschrift Mosaik gehörte, trägt mit seinen Kriminalgeschichten aus Berlins Zwanziger Jahren den Geist, die Handschrift und die Abenteuerlust der Abrafaxe vor die eigene Haustür. Das schafft Nähe, Nachvollziehbarkeit und Authentizität.
Dem neuen Band fehlt jedoch eine Rückblende auf das bisherige Geschehen, die neuen Leserinnen und Lesern einen schnelleren Einstieg ermöglicht. Für den nächsten Fall wäre es wünschenswert, wenn Spannung wieder stärker durch die Recherchearbeit des Detektivs und nicht in erster Linie durch Geschwindigkeit und Action erzeugt wird.
Illustration: Michael Schroeter
Der Autor veröffentlicht und vertreibt seine Buchreihe im Selbstverlag. Der neue Band „Mäcke Hering – Türme, Keller, Hühnerställe“ ist über seine Website http://www.michaschroeter.de und ausgewählte Buchläden erhältlich.