„The Post“ („Die Verlegerin“), USA 2017, Regie: Steven Spielberg
Von Angelika Nguyen
Die ersten drei Filmminuten sind vielversprechend. Vietnam 1965. Eine Einheit der US-Army schleicht durch den dämmrigen Dschungel, eine leise Frage „Wer ist denn der Neue?“, und eine Antwort: „ Ellsberg oder so “. Da explodiert etwas im Hinterhalt, Tote und Verletzte, Sammeln auf einer Lichtung, und der „Neue“ sitzt inmitten des Infernos seelenruhig vor einer Reiseschreibmaschine.
Zeitsprung: Jener Daniel Ellsberg, der eben noch im Dschungel mit marschiert ist, betritt ein Washingtoner Büro, nimmt dicke Akten mit hinaus, verlässt das Gebäude ohne Sicherheitsdetektoren (damals schauten wohl nur die Pförtner nach dem Rechten), irgendwo ist das RAND-Corporation-Logo zu lesen. Anschließend kopiert der Mann kiloweise Blätter, und Steven Spielberg gestaltet diesen eigentlich banalen Kopiervorgang sehr pathetisch: des Mannes blaue Augen in Nahaufnahme; das grelle Kopierlicht; die Kopien, wie sie aus dem Kopierer kommen; die Wörter, ganze Sätze extra zum Mitlesen gefilmt, die Off-Musik laut gestellt. Es geht um den Vietnamkrieg, so viel versteht man. Spielberg aber geht es nicht ums Verstehen, sondern ums Emotionale. Das liefert er uns gleich mit. Nur die Information, was denn das für Akten sind, und wer dieser Mann eigentlich ist, bleibt etwas auf der Strecke.
So erleben wir zwar schon Handlung , aber werden nicht so recht schlau daraus, außer die, die bereits wissen, worum es geht: um die Pentagon Papers. Die geheime Studie von RAND (Research ANd Development, Denkfabrik zur Beratung der US-Militärs) über die jahrelange Strategie der US-Regierung im Krieg gegen Vietnam, wurde berühmt, weil ihr Mitarbeiter Daniel Ellsberg 1971 das Geheimnis platzen ließ. Er bemerkte statt eines „Militärproblems“ das groß angelegte Verbrechen der USA in Vietnam. Von da an sah Ellsberg es als seine Pflicht an, die Öffentlichkeit über die fehl geschlagene Kriegsstrategie von drei US-Präsidenten zu informieren. Er war der erste US-Whistleblower, ein Edward Snowden des 20. Jahrhunderts.
Aber nicht Daniel Ellsberg ist die Hauptfigur in Spielbergs Film.
Die Hauptfigur erscheint erst nach dem Intro: Wir sehen eine Frau nachts aus dem Schlaf schrecken, ihre Bettdecke übersät mit Aktenordnern und Notizblöcken. Ein Workaholic mit einer leeren Bettseite neben sich. Das hier ist die zersorgte Herausgeberin einer nicht so gut gehenden Tageszeitung, der „Washington Post“: Katharine Graham, 54 Jahre alt. Alias Meryl Streep.
Der Zeitung, obschon mit guten Reportern ausgestattet, ist in einer finanziellen Krise. Graham trifft sich mit Geldgebern des Blattes. Andauernd in ihrer Nähe: Chefredakteur der „Post“ – Ben Bradlee. Alias Tom Hanks.
Und ab jetzt wird viel geredet. Es geht um die Frage, ob Qualität automatisch Profit schafft, es geht um zu große Freundschaft mit der Politik, um Grahams verstorbenen Mann, den ursprünglichen Herausgeber, um die Existenz der Zeitung, um die Konkurrenz zur „New York Times“, um Börsengang –Ja-oder-Nein. Meryl Streep ist immer die einzige Frau in einem Pulk von Männern – Spielberg formuliert seine emanzipatorische Botschaft des Öfteren bildhaft.
Diesem Ringen sehen wir zwei Stunden zu.
Und während Meryl Streep die ganze Filmzeit über die inneren Kämpfe ihrer Figur in mimisch eher begrenzten Varianten zur Ansicht gibt, versäumt Tom Hanks – mit extra gelegter Langhaarfrisur – keine Gelegenheit, in etwas dick aufgetragener Lässigkeit die bekannten Ben-Bradlee-Beine auf alle Tische zu legen, die vor ihm stehen. Nur ist Hanks weder so elegant noch so souverän wie einst Jason Robards, dessen Darstellung in Alan J. Pakulas Watergate-Film „All the Presidents Men“ (1976) diese Spielberg-Version umso sehnsüchtiger in Erinnerung ruft.
Die Frage „Veröffentlichen wir die Pentagon Papers von Ellsberg oder nicht?“, die uns der Film als zentralen spannenden Konflikt verkaufen will, wirkt konstruiert. Weil diesen Konflikt bereits ein paar Tage früher die damals viel bedeutendere „New York Times“ gelöst hat. Die ersten Teile der Pentagon Papers hat sie bereits veröffentlicht. Dann trifft sie und andere Zeitungen das Verbot der US-Regierung, die Papers weiter zu veröffentlichen, was deren Brisanz ja erst deutlich macht. Und dann geht’s vor das Oberste Gericht des Landes. „Die „Post“, wie die Zeitung in der Alltagssprache heißt, der Ellsberg die Papers jetzt ebenfalls angeboten hat, überlegt, das Verbot zu übertreten oder nicht. Das stilisiert der Film zur Schicksalsfrage für Graham, die „Verlegerin“.
Steven Spielberg verzerrt die echten Größenverhältnisse dieser Entscheidung. Die „Post“ war nicht die erste, die die Studie veröffentlichte, und sie hat, wie alle anderen US-Zeitungen auch, dann die Erlaubnis vom Obersten Gericht der USA bekommen, die Veröffentlichung fortzusetzen. Also am Ende alles ganz legal.
Das Script zu diesem Film mit seinem Fokus auf die Emanzipation Katharine Grahams in einer männerdominierten Welt entdeckte Steven Spielberg 2016 noch vor den Präsidentschaftswahlen. Er kaufte es von der jungen Autorin Liz Hannah und ließ nicht mehr von dem Fokus ab – wie ein Hund, der sich fest gebissen hat. Eine Frau unter Männern. Gruppenbild mit Dame. Eine Frau traut sich was. Eine Frau hat Mut.
Die etwas verstaubte Botschaft inszeniert Spielberg dann auch einmal überdeutlich: Graham verlässt das Gebäude des Supreme Court, der die Veröffentlichung der Geheimpapiere erlaubte, und geht glücklich, aber bescheiden und in Zeitlupe durch ein Spalier junger Frauen, die sie anhimmeln.
Selten fällt das Wort „Vietnam“.
Und schon gar nicht der Name des südvietnamesischen Dorfes My Lai, wo US-Soldaten 1968 etwa 500 vietnamesische Dorfbewohner – Babys, Kinder, Frauen, alte Menschen – ermordeten und die Mädchen zuvor vergewaltigten. „Die Jungs“ hörten erst auf, als die dreiköpfige Besatzung eines plötzlich auftauchenden US-Helikopters ihre Gewehre auf sie richtete. Genau darum geht es jedoch in jenen Pentagon Papers, um deren Veröffentlichung „The Post“ den Film über so ringt. Genau von jenen Mechanismen der damaligen US-Kriegsführung, die zu solchen Massakern führten, ist dort die Rede. Daniel Ellsberg stellte fest, dass My Lai nicht die Ausnahme dieses Krieges war, sondern das Normale. Das war die Brisanz jener Studie.
Das Leid fand nicht in amerikanischen Büros statt, sondern in den Dörfern Vietnams. Aber Spielberg lässt seine Figuren vor allem um die „Jungs da drüben“ bangen, jene Jungs, die da drüben Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehen. Einmal mehr werden die Täter des Vietnamkrieges zu Opfern gemacht – und seine Opfer unsichtbar.
Und schließlich verweist der Film jenen Mann an den Rand seiner dünnen Story, der wirklich was riskierte, als er die Studie nach draußen schaffte: Daniel Ellsberg.
Dieser Mann, der im Sommer 1971 insgesamt siebentausend Seiten kopierte, ist eine Schlüsselfigur in der Wende des Krieges der USA gegen Vietnam. Er, der in einem Prozess angeklagt wurde, wo ihm 115 Jahre Haft drohten, bleibt hier nur ein Schatten. Ein paar Szenen kriegt er: Zuerst etwas theatralisch mit der Schreibmaschine im vietnamesischen Dschungel, dann großäugig am Kopierer, schließlich wie ein gehetztes Tier im Halbdunkel eines Motelzimmers, blass wie ein Geist.
Der Film hat auch sein Gutes: die Ausstattung. Aber auch wenn die Telefone wunderbar nostalgisch schnarren und der Bleisatz minutiös vorgeführt wird, auch wenn Bradlees Chefzimmer sehr schön nachgebildet ist und die Kamera durchs perfekt chaotische Großraumbüro investigativ hin und her flitzt, es bleibt im Grunde ein trauriger, mutloser, uninspirierter Film.
Auf seine schräge Weise erscheint „The Post“ hierzulande pünktlich zu einem Jahrestag : Am 16. März 2018 jährt sich das Massaker von My Lai zum 50. Mal.
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