„Return to Seoul“, Buch & Regie: Davy Chou, Frankreich, Dt, Belgien 2022
Von Angelika Nguyen
Eigentlich wollte die 25jährige Französin Freddie in einen kurzen Urlaub nach Japan fliegen, ändert aber kurzerhand die Richtung und landet in Seoul. Zufall? Eher nicht. Denn Freddie wurde in Südkorea von koreanischen Eltern geboren und als Baby von französischen weißen Eltern adoptiert.
Jetzt steht sie am Tresen eines Hotels in Seoul und fragt die gleichaltrige Rezeptionistin, welches Lied das sei, das sie da per Kopfhörer hört. Die andere lässt sie hören und lächelt ihr zu. Und schon hat Freddie eine Freundin gewonnen. Sie heißt Tena und kann mit ihr gut auf Englisch und Französisch kommunizieren. Denn Freddie kann kein Wort Koreanisch. Sie gehen in ein Restaurant zusammen mit Tenas Freund, und es kommt zum ersten kulturellen Zusammenstoß: als Freddie sich nach dem ersten Anstoßen selber nachschenken will, sagen ihr die beiden, dass das nicht ginge. Man schenke immer nur anderen ein. „Warum?“ fragt Freddie. „Weil das eine Beleidigung deiner Freunde ist,“ erläutert der Freund. Freddie sagt „Ach ja?“ und gießt sich demonstrativ ein – wieder und wieder. Die beiden anderen schweigen.
Freddies direkte westliche Art ist frech, aber sie kommt gut damit weiter. Mit Leuten in Kontakt zu kommen, betreibt sie quasi als Sport. Schnell bringt sie verschiedene kleine Tischrunden des Restaurants zu einer großen zusammen, betrinkt sich, wird immer lauter und lustiger. Erwacht mit einem fremden Jungen in einem fremden Bett. Immer wieder zieht Freddie ihre Energie daraus, dass ihr alles egal zu sein scheint.
Auf einen Tipp hin landet sie im Adoptionszentrum Hammond, wo es vielleicht Unterlagen über ihre Adoption gibt. Im Wartezimmer hängen großformatige Fotos von lachenden, weißen Eltern, die lachende, koreanische Kinder im Arm halten. Der Vater wird gefunden, sie treffen sich. Nüchtern und unsentimental wird die Begegnung erzählt. Der Vater versucht zu erklären: „Es war damals Krieg. Es herrschte Not.“ Freddie will danach den Vater nicht unbedingt wiedersehen. Vor Kitsch braucht man in dem Film keine Angst zu haben. Von der leiblichen Mutter kommt keine Rückmeldung. Und gerade an ihr scheint Freddie etwas zu liegen. Wie zum Ersatz ruft Freddie die Adoptivmutter in Frankreich an, die sie „Maman“ nennt, ausführlich in einem FaceTime – Call. Es ist wie ein Abschied für immer.
Freddie ist nicht das sanfte, neugierige Mädchen, das seine Wurzeln sucht. Sie ist vor allem eins: zornig. Auf ihre leiblichen Eltern. Auf ihre Adoptiveltern. Auf ihr adoptiertes Leben. Impulsiv. Sprunghaft. Anschmiegsam in der einen Sekunde, abstoßend in der nächsten. Zu einem Lied in einer Kneipe tanzt sie lange nach einem Song, folgt die Kamera ihr durch den Raum. Im Song heißt es „I never needed anybody“. Tena sagt: „Du bist ein sehr trauriger Mensch.“ und trifft es wohl am besten.
Der leibliche Vater verfolgt sie durch die Straßen und will „alles wieder gutmachen“. Freddie jagt ihn weg, Tiefpunkt. Schnitt. Zeitsprung auf „Zwei Jahre später“, und Freddie ist immer noch in Korea. Sie hat inzwischen Koreanisch gelernt und bewegt sich geschmeidig durch Straßen, Kneipen, Tinder-Dates.
Der Film lebt von der Unberechenbarkeit seiner Hauptfigur, von der Ungewissheit ihrer Lage. Drogen, Alkohol, Exzesse. Lose Begegnungen. Es ist, als lasse der Regisseur seine Figur mit langem Anlauf gegen eine Wand rennen. Die Kater am Morgen danach, Einsamkeit.
Wieder springt der Film – diesmal auf „Fünf Jahre später“. Aus dem Drama wird eine Odyssee. Freddies Frisur ändert sich, am Ende trägt sie die einstmals lang wallenden Haare kurz. Die Sehnsucht nach der Mutter wird zum Zentrum der Erzählung. Wird Freddie sie treffen?
Der Regisseur Davy Chou, selbst mit kambodschanischen Wurzeln in Frankreich geboren und aufgewachsen, lotet die Nöte seiner Hauptfigur aus, nimmt sich Zeit für ihre Strategien, der Verzweiflung zu entkommen. Man wünscht ihr, dass sie zur Ruhe kommt.
Am Ende bleibt Freddie statt zwei Wochen acht Jahre in Südkorea. Im Abspann ist noch einmal das schöne koreanische Lied des Anfangs in voller Länge zu hören. Sehnsucht liegt darin, Trauer, aber auch viel Energie. Und vielleicht einfach Korea.
Der Film weist über das persönliche Drama seiner Hauptfigur hinaus und thematisiert im Subtext das Dilemma internationaler Adoptionen, sprich, von Adoptionen aus dem globalen Süden in den globalen Norden. Weiße Erwachsene adoptieren Kinder of Color. Ein Massen-Phänomen, dass als Folge kolonialer Herrschaftsverhältnisse das globale Arm-Reich-Konstrukt widerspiegelt.
Als Wohltat war es „gut gemeint“, sagt Laure Badufle, eine 37jährige koreanische Adoptierte in Frankreich, deren Leben Davy Chou zu dem Film inspirierte. Aber inzwischen sieht sie ihre Adoption als Leugnung ihrer „Essenz“, ihres „Koreanisch-Seins“, auch ihrer Geburtsfamilie. Heute kann man Badufle als Adoptierten-Aktivistin bezeichnen. Sie bietet in einer Praxis Yoga und Coaching für Adoptierte an und engagiert sich für deren Vernetzung. Es gibt auch prominente Beispiele für solche „herrschaftlichen“ Adoptionen, Madonna gehört dazu, Angelina Jolie und eine Reihe weiterer Hollywood-Stars.
Rwothomio Gabriel aus Uganda machen solche Adoptionen wütend. „Damit wird die Idee westlicher Überlegenheit auch hier weiter eingewurzelt. Mehr Leute denken dadurch doch: Oh, wenn Kinder in den Westen gehen, haben sie bessere Chancen auf ein erfolgreiches Leben.“ Gabriel ist Sprecher der NGO „No White Saviors“ aus Uganda, die quer über Afrika vernetzt ist.
Gabriels Wut erinnert an den Zorn der Hauptfigur in diesem Film. Die Darstellerin Park Ji-min spielt die Freddie widerständig, fordernd, verletzlich, hart und ganz selten ohne Maske. Wenn sie mal weint, dann ist das viel.
Der Film gehörte zur Shortlist für die Oscar-Kandidatur 2023, immerhin.