Kultur

Fotografin und Revolutionärin

Eine neue Ausstellung zu Tina Modottis Fotografien in Berlin

Von Michael Mäde- Murray

Reichlich 10 Jahre hat es gedauert bis in Berlin wieder eine Ausstellung mit Fotografien von Tina Modotti realisiert wurde. Die letzte war am 5. Januar 2012 in der Ladengalerie der Tageszeitung junge Welt eröffnet worden. Im November 2022 nun also im  F³ – Freiraum für Fotografie, in Berlin Kreuzberg. Der Leihgeber der Ausstellung ist derselbe, nämlich Reinhard Schultz (Galerie Bilderwelt). Kuratiert wurde diese Ausstellung mit dem Titel » Tina Modotti. Revolution und Leidenschaft«  von Gisela Kayser und Katharina Mouratidi.

Die Auswahl der in der Ausstellung gezeigten Fotografien und die mit Liebe zum Detail angefertigten Erläuterungen verraten bereits viel über das Leben der außergewöhnlichen Frau: Fotografin, Schauspielerin, Kommunistin und von berühmten Männern umworbene Schönheit. Tina Modotti wurde 1896 im italienischen Udine geboren. Sie wuchs in Armut auf und emigrierte mit 16 Jahren in die USA, wo bereits ihr Vater lebte. Sie arbeitete als Textilarbeiterin, erhielt aber bald erste Filmrollen und lernte 1921 den Fotografen Edward Weston kennen, dessen Geliebte und Modell sie wurde.

Ihr fotografisches Werk entstand innerhalb nur weniger Jahre, vor allem in Mexiko ab 1923 an der Seite  eben jenes  Edward Weston und des kubanischen Studentenführers Antonio Mella.

Modotti gilt als eine der faszinierendsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts. Über ihre Arbeit schrieb sie, anlässlich einer Ausstellung ihrer Fotografien in Mexiko „»Ich betrachte mich als Fotografin, mehr nicht, und wenn sich meine Fotografien von dem unterscheiden, was allgemein auf diesem Gebiet gemacht wird, so deshalb, weil ich eben gerade versuche, nicht Kunst zu produzieren, sondern ehrliche Fotografien, ohne Tricks oder Manipulationen, während die Mehrheit der Fotografen noch immer nach künstlerischen Effekten oder nach der Imitation anderer bildnerischer Darstellungsweisen sucht, woraus ein zwitterähnliches Produkt entsteht. Es geht auch nicht darum, ob die Fotografie Kunst ist oder nicht; worum es geht, ist zwischen guter und schlechter Fotografie zu unterscheiden. Unter guter muss man jene verstehen, die alle der fotografischen Technik innewohnenden Grenzen akzeptiert und alle Möglichkeiten und Mittel nutzt, die das Medium bietet ( … ) Allein deshalb, weil sie nur in der Gegenwart und auf der Grundlage dessen, was objektiv vor der Kamera existiert, hergestellt werden kann, ist die Fotografie das befriedigendste Mittel, um das objektive Leben in allen seinen Erscheinungsformen zu registrieren, daher ihr dokumentarischer Wert. Und wenn dazu noch Sensibilität und Sachkenntnis kommen vor allem eine klare Orientierung hinsichtlich ihrer Stellung innerhalb der historischen Entwicklung, dann ist das Ergebnis, wie ich glaube, würdig, einen Platz in der gesellschaftlichen Produktion einzunehmen, zu der wir alle einen Beitrag zu leisten haben.«  Das ist nicht nur eine Darstellung ihrer Arbeitsweise, sondern gleichzeitig ein Bekenntnis zu einem Realismus ( ohne Adjektiv) in der fotografischen Kunst. Zunehmend widmete sich Modotti der Sozialreportage. Eindrucksvolle Fotos vom Leben und Elend der mexikanischen Landbevölkerung entstehen. Die Verstärkung ihres politischen Engagements für die Kommunistische Partei Mexikos (KPM) und in der Folge für die Internationale Rote Hilfe (IRH) findet auch in ihrer Fotografie deutlichen und eindrucksvollen Niederschlag. Sie dokumentiert revolutionäre Gewerkschafts- und Bauernversammlungen. Es entstehen Fotografien, die den politischen Kampf dokumentieren und gleichzeitig etwas ikonografisches enthalten.  In Anknüpfung an die formalen Studien von Gebäuden und Pflanzen, die in ihren  früheren  fotografischen Arbeiten eine wesentliche Rolle gespielt hatten, schuf sie nun Stillleben mit Hammer, Sichel, Sombrero, Gitarre und Maiskolben. Sie haben sich in das historische bildnerische Gedächtnis der internationalen Arbeiterbewegung eingetragen.

Mit dem Dichter B. Traven bereitete Tina Modotti ab 1928 ein Projekt zur Dokumentation der mexikanischen Wandgemälde (Murales) vor. Sie arbeitete in dieser Zeit sehr eng mit Diego Rivera zusammen. Ihre Reproduktionen der Murales sind mehr als bloße Abbildung der Kunstwerke. Modotti spielt bewusst mit der Architektur, die die Wandgemälde umgibt, hebt Details hervor oder bildet die Künstler mit ab – sie inszeniert und interpretiert die Kunstwerke in ihren Fotografien, ohne deren inhaltlichen Anspruch und Ausdruck zu verändern.

Tina Modotti hatte zu ihren Lebzeiten ein einzige Einzelausstellung in Mexiko 1929 mitten in den Zeiten der aggressiven Attacken der reaktionären Kräfte . Im Herbst 1930  stellt Tina einige Ihrer Fotografien im Studio der Fotografin Lotte Jacobi aus.

Nicht übersehen werde sollte indes, dass Tina Modotti  zunehmend ihre vorrangige Aufgabe vor allem im politischen Kampf sah. Auch in Mexiko wurde die politische Reaktion immer brutaler: 1929 wurde ihr Freund, der kubanische Revolutionär Julio Antonio Mella, auf offener Straße direkt neben ihr erschossen. Bauernführer und Kommunisten wurden verfolgt, inhaftiert, ermordet. Tina musste Mexiko schließlich verlassen.

Sie ging nach Berlin, von dort nach Moskau, wo sie das Fotografieren aufgab und für die Internationale Hilfe arbeitete. Ab 1936 war sie für die Organisation im Spanischen Bürgerkrieg tätig. Nach dem Sieg der Faschisten kehrte sie 1939 illegal nach Mexiko zurück. Dort starb sie am 6. Januar 1942 im Alter von nur 46 Jahren an Herzversagen. Egon Erwin Kisch würdigte Tina Modotti  im Februar 1942 in einem Beitrag zur

Gedenkbroschüre mit folgenden Worten:  „Zwar war es der Himmel Mexikos, der Tina Modottis Fotografien Licht verlieh, doch kann man es nicht diesem Licht zuschreiben, daß ihrer Kamera vollkommene Gemälde entsprangen. Das Geheimnis ihrer Werke lag darin, daß sie, mit dem Blick der Güte, die Welt sichtbarer machte. Dieser Blick wollte, daß man nicht das Antlitz der Greisin sah, sondern die Tatsache, daß der Krug, den sie trug, mit Schweiß und Blut bedeckt war. Dieser Blick wollte, daß man hinter dem Hilflosen oder in Lumpen Gekleideten oder Verzweifelten die Werbung eines Modesalons für Herren sah oder daß auf dem Tisch, an dem ein Hungriger um Arbeit bat, sichtbar das Arbeitsgesetz lag. Dieser Blick wollte, daß die Augen eines armen Kindes schöner waren als die künstlich zum Glänzen gebrachten Augen einer Ballkönigin; daß die Landschaften der Arbeit, die Produkte der Arbeit und die Produktionsmittel, die Zuckerrohrplantagen, die mexikanische Sichel, die Tonkrüge, die Hände, die eine Schaufel umklammern, die Gitarren und die Sombreros, der Maiskolben und das Gerüst an einem Haus anmutiger waren als die grünen Hänge der Schweiz. Nur empfinden die Menschen dieser Welt kein Glück. Warum? Diese Frage ist in ihren Fotografien enthalten.“

Und Pablo Neruda würdigte sie nach ihrem Tod in einem Gedicht.  Dessen letzte Zeile lautet: „Das Feuer stirbt nicht“.

Noch bis 5. Februar 2023: »Tina Modotti. Revolution und Leidenschaft«. F³ – Freiraum für Fotografie, Berlin, Waldemarstr. 17, https://fhochdrei.org

 

Foto: Tina Modotti mit erhobenen Armen – Edward Weston, Wikimedia Commons