Osten, Politik

Die Krim schlittert von Krise zu Krise

Von Jenz Steiner

Was geschieht auf der Krim nach der Sprengung der Stromleitungen aus der Ukraine im November 2015? Für Massenmedien in Deutschland herrscht immer noch Stromausfall, wenn es um den Zankapfel Russlands und der Ukraine im Schwarzen Meer geht. Soviel ist klar. Das Leben auf der Krim geht weiter, doch leichter wird es nicht. Der Strom fließt wieder, doch nun bahnt sich mit steigender Inflation und ukrainischem Handelsembargo nach der Energiekrise eine Lebensmittelkrise an.

Die Hochspannungsleitungen, die die Krim von der Ukraine aus mit Strom versorgten, wurden am 22. November gesprengt. Mehr als eine Million der 1,9 Millionen Einwohner der Krim waren vom Stromausfall betroffen. Die gesamte Infrastruktur wurde in Mitleidenschaft gezogen: Krankenhäuser, Schulen, Läden, Behörden, die Oberleitungsbusse.
Ebenso betroffen: Landwirtschaft und Lebensmittelgeschäfte.
Das Leben auf der Schwarzmeerhalbinsel stand still.
Preise für Kerzen und Dieselgeneratoren schnellten auf den Märkten in die Höhe.
Unmut regte sich in der Bevölkerung und der Energieminister der Krim, Sergej Jegorow und sein Stellvertreter Jewgeni Demin mussten ihre Hüte nehmen. Sie waren ihre Posten los.
Auf 360 Millionen Rubel, also 4.320.000 Euro belaufe sich der Schaden bislang. Diese Zahl gab die Oberstaatsanwältin der Krim, Natalja Poklonskaja am 13. Januar im russischen Fernsehen bekannt.

Es fließt wieder Strom

Inzwischen fließt wieder Strom auf der Krim. Jedoch gebe es noch ein Strom-Defizit von 30 bis 35 Prozent, teilte der Ministerpräsident der Krim, Sergej Aksjenow der russischen Zeitung Nowaja Gasjeta mit. Die Russische Föderation handelte schnell nach dem Anschlag auf das Stromnetz.
Als Sofortmaßnahme lieferte sie Gasturbinen und Notstromaggregate auf die Krim.
Krankenhäuser und Behörden in den Städten wurden bei der Notstromversorgung bevorzugt behandelt. Haushalte, Läden und kleinere Polikliniken wurden behelfsmäßig in einem drei bis sechsstündigen Rotationssystem mit Strom beliefert. Da konnte es schon einmal sein, dass eine kleine Arztpraxis zwar mitten in der Nacht Strom hatte, aber während der Sprechzeiten kein Röntgengerät bedienen konnte.

Gebt ihr uns keinen Strom, liefern wir keine Kohle

Neun Tage nach der verheerenden Leitungssprengung gab es doch wieder einen Lichtschimmer. Präsident Putin reiste am 2. Dezember extra zum Stromversorger Krimenergo nach Simferopol und gab medienwirksam grünes Licht für eine Strombrücke von Russland auf die Halbinsel.Kurz zuvor hatte man ein Starkstromkabel aus Südrussland am Boden der Meerenge von Kertsch verlegt, Umspannwerke und 100 Kilometer Hochspannungsleitung errichtet.
Ein zweites Starkstromkabel durchs Meer soll ab Mai 2016 die Krim mit Strom versorgen.
Gleichzeitig erhöhte Russland den wirtschaftspolitischen Druck auf die Ukraine und drohte damit, die Kohlelieferungen in die Ukraine einzustellen. Daraufhin reparierte der ukrainische Stromversorger Ukrenergo seine Anlagen.
Am 7. Dezember, 21 Uhr Ortszeit, ging auch die Hochspannungsleitung Kachowska-Tytan aus der Ukraine wieder ans Netz, jedoch nur mit einer stark gedrosselten Leistung von 120 Megawatt.

Verträge gelten nur ein bisschen

Das Agieren der Ukraine bei der Stromversorgung der Krim ist widersprüchlich.
Seit dem Russland-Beitritt der Krim galt die Regelung, dass 70 Prozent des Stroms vom ukrainischen Festland geliefert werden. Russland zahlt dafür den teuren Exportpreis an die Ukraine.
Dennoch hielt sich die Ukraine von Anfang an nicht an die Vereinbarung. Bereits im Mai 2014 lieferte der ukrainische Stromanbieter Ukrenergo nur 50 statt der vereinbarten 70 Prozent Strom an Krimenergo. Einnahmeverluste durch den Stromexport in Höhe von mehreren Millionen Euro nahm die Regierung in Kiew zuerst billigend in Kauf und ließ die gesprengten Leitungen erst nach den Drohungen Moskaus fallen, die Kohlelieferungen in die Ukraine einzustellen.

Stromausfall passt gut zur Handelsblockade

Die Ermittlung der Täter, die den Anschlag im November verübt hatten, hat im ukrainischen Innenministerium augenblicklich offenbar keine Priorität. Die Sprecherin der Behörde, Natalia Statiwko, sagte unmittelbar nach dem Sabotage-Akt, dass sich Sprengsätze direkt an den Leitungen befunden hätten, die Täter unbekannt seien, die Ermittlungen jedoch andauern würden. Seither herrscht in Kiew Stille zum Thema.

Strafverfolgung hat keine Priorität

Während etwa die Deutsche Welle in Bezug auf die Täter von Unbekannten spricht, behaupten russische Medien, der Anschlag ginge auf das Konto radikal-nationalistischer Krim-Tataren und ukrainischer Anhänger des ultranationalen „Rechten Sektors.
Das scheint nachvollziehbar, da an der Anschlagstelle die hellblaue krim-tatarische Flagge befestigt wurde.

Krim-Tataren kämpften früher für die Wehrmacht, heute mit dem „Rechten Sektor“

Plausibel scheint es auch, da die Krim-Tataren Russland mehrheitlich als Unterdrücker und Besatzer der Halbinsel im Schwarzen Meer empfinden. Nicht nur der völkerrechtlich nicht anerkannte Beitritt der Krim zur Russischen Föderation nach dem Referendum im Frühjahr 2014 wirft seine Schatten, auch die Wunden der Geschichte sitzen tief.
Als Verbündete der Wehrmacht kämpften 20.000 Krim-Tataren im Zweiten Weltkrieg bereits seit 1942 gegen die Sowjetarmee, woraufhin Stalin damals die gesamte Volksgruppe kurzerhand umsiedeln ließ.

EU nimmt nichts von der Krim

Die Lage auf der Krim bleibt kritisch. Bis die Halbinsel ihre Energieversorgung komplett unabhängig von der Ukraine bestreiten kann, werden noch Jahre vergehen.
Nach dieser Energiekrise steht die nächste Krise ins Haus. Es herrscht Inflation. Die Lebensmittelpreise steigen.
Die Ukraine hat am 23. November 2015, also einen Tag nach der Sprengung der Stromleitungen ein Handelsembargo gegen die Krim ausgesprochen. Auf der Krim produzierte Waren dürfen ebenfalls nicht in die EU eingeführt werden. Egal ob man mit dem Flugzeug, dem Auto oder Zug unterwegs ist, sämtliche Verkehrswege sind stark eingeschränkt.
Seit Mai 2014 gilt von Seiten der Ukraine eine Wasserblockade gegen die Krim. Das wirkt sich aus auf den Anbau von Soja, Reis, Mais und Wein und natürlich auch auf die Trinkwasserversorgung auf der Krim aus. Eine zeitnahe Lösung des Konflikts ist nicht in Sicht.

Links:
Denis Trubetskoy, russische Fotoreportage auf TheInsider.ua
http://www.theinsider.ua/politics/56697dd237758/

Bericht in der Nowaja Gasjeta
http://www.ng.ru/editorial/2016-01-14/2_red.html

Putin bei der Eröffnung der Strombrücke zur Krim in Simferopol
https://www.youtube.com/watch?v=k7YW38hsVqY

Deutsche Welle über den Stromausfall auf der Krim
https://www.youtube.com/watch?v=1URP-9wTvaI

Ina Tkatsch: „Mit der Krimblockade diskreditiert sich die Ukraine“. In: Wostok, Nr. 4 2015. S. 25-27