In Stuttgart wird Afrika gesucht, in Tübingen die Ausstellung »Congo Stars« präsentiert
Von Jürgen Schneider
»Dieses Werk der ›Zivilisation‹ ist ein enormes und fortwährendes Abschlachten.«
Mark Twain, King Leopold’s Soliloquy: A Defense of His Kongo Rule
(Boston: P. R. Warren Co, 1905)
Im Februar 2019 restituierte das Stuttgarter Linden-Museum eine einst Hendrik Wittbooi, Ikone der Antikolonialismus-Bewegung, gehörende Bibel sowie eine Peitsche an Namibias Regierung. Dieser Schritt stieß bei den Nama auf heftige Kritik, war Wittbooi doch einer von ihnen. Die kulturelle Diversität der Bevölkerung sei ignoriert worden, die Regierung könne nicht per se als Empfängerin gelten.
Nun zeigt das Linden-Museum unter dem Titel »Wo ist Afrika?« die Neupräsentation seiner Afrika-Sammlungen. Die Direktorin des Linden-Museum, Ines de Castro, erklärte: »Wir möchten nicht mehr die Kulturen Afrikas oder Afrika selbst darstellen; wir möchten die Sammlung darstellen. Wir möchten nicht nur über Afrika sprechen, sondern auch mit Afrika diese Ausstellung zusammenstellen. (…) Es geht um eine neue Sichtweise wirklich auf die Objekte. Es geht um eine ganz neue Form von Partizipation. Diese Ausstellung ist zusammen mit einem Beirat von Stuttgartern mit afrikanischen Wurzeln, die seit drei Jahren mit uns im Dialog sind, zusammen gemacht worden.«
Der Großteil der Objekte stammt aus dem Kongobecken und aus Regionen, die heute innerhalb der Staatsgrenzen von Kamerun, Mosambik, Nigeria und Tansania liegen. Zwischen 1886 und 2018 gelangten ca. 16.500 Objekte aus Kamerun nach Stuttgart. Sie bilden dort die größte Einheit, die – wie es im Pressetext des Museums heißt – »vor allem während der deutschen kolonialen Besatzung (1884-1916) entstand. Sie ist auch eine der Sammlungen, die von den ehemaligen Kuratoren, Hans-Joachim Koloss (1973-1985) und Hermann Forkl (1986-2014) über die Jahre am stärksten erweitert, erforscht und ausgestellt wurde.« Leider ist von dieser Erforschung wenig in die Ausstellung eingegangen.
Das Museum tut sich schwer, sprachlich zu fassen, wie es in den Besitz der Objekte gelangt ist. Es heißt abwechselnd sie seien »erworben«, »beschafft«, »akquiriert« worden. Zwar wird Joseph Conrad zitiert – »Ich habe den Teufel der Gewalt, der Gier und des heißen Verlangens gesehen« –, von »Weißen Teufeln« ist die Rede, doch nirgendwo von Raub. An einer Stelle jedoch wird das Verb plündern verwendet – im Zusammenhang mit der Strafexpedition der englischen Kolonialtruppen von 1897, durch die das Königreich Benin erobert wurde. Die Soldateska, angeführt durch Oberbefehlshaber Harry Rawson, mordete nicht nur, sondern verbrannte und verwüstete weite Teile der Hauptstadt Benin-Stadt und schaffte aus dem königlichen Palast und den Residenzen der Würdenträger Tausende von Kunstobjekten weg. Einige der schönsten Stücke gingen an die Queen, die meisten wurden nach Rückkehr der Truppen zur Finanzierung des Krieges an Museen und Sammlungen in aller Welt verkauft. Viele Stücke aus der Kriegsbeute behielten die Soldaten selbst.
Ritualfigur (Nkisi) – „Jäger“ (Nkondi), Eingang ins Museum: 1904–2016, Herkunft: Angola, akquiriert von: Visser – Sotheby‘s, New York. Copyright: Linden-Museum Stuttgart, Inv. Nr. 035617
Warum nicht die Neupräsentation einer Afrika-Sammlung mit der Benennung der Plünderer und Räuber beginnen? Beuteobjekte zur Illustrierung des imperialen Treibens gibt es auch in Stuttgart zur Genüge, gerne aber zieht man sich – wie Ines de Castro – darauf zurück, die Provenienzforschung oder Aufarbeitung der Kolonialgeschichte stehe »wirklich noch am Anfang. Auch wenn wir schon sehr früh, ab Anfang 2016, mit der Provenienzforschung, mit den Erwerbskontexten begonnen haben, uns die anzuschauen, wird das noch eine langwierige Arbeit, die wir noch vor uns haben. (…) Es gibt auch einen Monitor in der Ausstellung zur Provenienzforschung, der ständig mit neuen Erkenntnissen gefüttert werden wird.« Ein kleiner Anfang ist also gemacht.
Die Rückgabe geraubter Kunst- und Handwerksschätze und die Aufbewahrung von Sammlungsstücken aus kolonialen Kontexten kann durch den Bau neuer Museen in Afrika nicht mehr mit der gerne angeführten Begründung verweigert werden, es mangele dort an musealen Standards. Dies dürfte sich selbst bis zu den Verantwortlichen des Humboldt Forums in Berlin herumgesprochen haben, aus dessen Beratergremium die französische Kunsthistorikerin und Professorin Bénédicte Savoy sich bereits 2017 verabschiedete: »Ich will wissen, wieviel Blut von einem Kunstwerk tropft.« Es erschien ihr unmöglich bis zur geplanten Eröffnung die Herkunft all der Kunstwerke zu verifizieren, die aus den ethnologischen Museen in die Schlosskopie verbracht werden sollen. Jüngst versprachen die Kulturminister von Bund und Ländern, sie wollten »mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten verantwortungsvoll umgehen«. Wir nehmen die Herren beim Wort.
Wie sich die zeitgenössische Kunst aus einer Region eindrucksvoll präsentieren lässt, ist derzeit in der Tübinger Kunsthalle zu sehen (bis zum 30.06.19). In der Ausstellung »Congo Stars« werden überwiegend farbenfrohe, realistische populäre Gemälde von den 1960er-Jahren bis heute von etwa 70 kongolesischen Künstlerinnen und Künstlern gezeigt, die in Kinshasa, Lubumbashi, Brüssel oder Paris leben. Eine Zeitleiste liefert Informationen zur Ereignisgeschichte und zum Kontext der kongolesischen Kunst.
Chéri Chérin, Los Galacticos, 2010. Acryl auf Leinwand, 144 x 220 cm. Sammlung Horvath Politischer Kunst. Foto: W. Horvath
Neben der Malerei ist die Installation »Under the Landscape« von Michèle Magema zu sehen, die aus 81 Kautschukholztafel besteht. Basierend auf einer geografischen Karte hat Magema die Grenzen der Demokratischen Republik Kongo zu ihren neun Nachbarländern eingraviert und so die geopolitische Situation des Landes thematisiert und an die willkürliche Festlegung der Grenzen afrikanischer Staaten während der Kolonialzeit erinnert. Aus der DR Kongo stammen vor allem die Rohstoffe und seltenen Erden, die für die Herstellung von Computern und anderen Kommunikationstechnologien benötigt werden. Mit ihrem Video »Trapped in the Dream of the Other«, gedreht in einer unwirklich anmutenden Graben- oder Grubenlandschaft, setzen sich Revital Cohen und Tuur van Balen mit der Ausbeutung durch multinationale Konzerne auseinander.
Die Malerinnen und Maler thematisieren in den sechs Themenbereichen Straße, Bar, Zuhause, Mythologie, Stars, Ausbeutung die Geschichte der Sklaverei ebenso wie die politische Entwicklung, das Problem der Gewalt sowie wie das der Bekämpfung von AIDS. Der Diktator Mobutu Sese Seko, der sich mit Hilfe der USA 1965 an die Macht putschte und bis 1997 das Land ausplünderte, wird immer wieder kritisch ins Bild gerückt, während Patrice Lumumba, der 1960 erster Premier eines unabhängigen Kongo, Anfang 1961 aber von einem Exekutionskommando aus belgischen und kongolesischen Soldaten erschossen wurde, weil er nicht zuletzt den USA und ihrem beabsichtigten Zugriff auf die Rohstoffe im Weg stand, als Befreier gewürdigt wird, wie etwa auf dem Bild »Discours de Lumumba« von Dominique Bwalya Mwando. Das Wort ›Stars‹ im Ausstellungstitel bezieht sich nicht nur auf das Treiben des westdeutschen Raumfahrtunternehmens OTRAG in Zaire, das zwischen 1976 und 1978 nach den Sternen griff, indem es dort drei Raketentests durchführte, und auf das Monsengo Shula in seinen Raumfahrtbildern anspielt, sondern auch auf Boxstars, wie Muhammed Ali und George Foreman, die 1974 in Zaire gegeneinander kämpften, oder auf Fußballstars der besonderen Art: Chéri Chérin hat auf dem Gemälde »Los Galacticos« eine Fußballmannschaft verewigt, deren Torwart Papst Benedikt XVI. ist und zu deren Spielern u. a. Barack Obama, Osama Bin-Laden, Putin und Sarkozy gehören, während Berlusconi, ganz er selbst, im Hintergrund eine Frau begrapscht. Zu sehen sind auch einige Darstellungen imaginärer zukünftiger Städte. Auf einer dieser Darstellungen fährt unten rechts ein panzerähnliches Fahrzeug mit Hakenkreuzbemalung ins Bild. Ein Fahrer ist nicht zu erkennen, es könnte sich aber, so lässt sich spekulieren, um den Persönlichen Afrika-Beauftragten von Kanzlerin Merkel, Günter Nooke, handeln, um jenen rückwärtsgewandten neuzeitlichen Kolonialbeamten, der vor kurzem absonderte, die Kolonialzeit habe dazu beigetragen, den Kontinent Afrika aus archaischen Strukturen zu lösen, und der mit der Überlegung aufwartete, vielleicht sei der eine oder andere afrikanische Regierungschef bereit, gegen eine Pacht ein Stück territoriale Hoheit abzugeben und dort für fünfzig Jahre eine »freie« Entwicklung zuzulassen und in Wirtschaftssonderzonen Geflüchtete anzusiedeln, Menschen also, denen die Flucht nach Europa nicht gelang oder die von dort abgeschoben wurden, die also nicht im Mittelmeer ertrunken sind, wie es die Europäische Union mit ihrer forcierten Abschottungspolitik billigend in Kauf nimmt.