Kultur

Die Verwandlung des rosa Winkels

„Bent“ , GB 1997, restauriert als VoD, Regie: Sean Mathias

Von Angelika Nguyen

Foto © Edition Salzgeber

Hitzig und schrill beginnt der Film, auf einer queeren Party in einer Art Fabriketage in Berlin, ungefähr Anfang der 30iger Jahre. Glitzerkleider, Perücken und Spaghettiträger auf behaarten Körpern, Boas und Handschuhe, Küsschen hier und Küsschen da, und von der Decke schwebt eine Dragqueen mit schönen Beinen und faltigem Gesicht herab. Sie singt von ihrer Liebe zu Berlin: „Streets of Berlin, will you miss me? Do you care?“. Sehen und gesehen werden. Eine Party der Begierde.

Foto © Edition Salzgeber

Max wird schnell als Hauptfigur ausgemacht, ein schwuler Mann, der sich als Jüngelchen herausgeputzt hat, mit Schnurrbärtchen und geschniegelten Haaren. Er knutscht an jeder Ecke einen anderen Mann und weiß auch schon, wen er heute abschleppen will: Wolf, den blonden Mann in brauner Uniform, der auch schon andauernd herübersieht. Der Film spielt zunächst hemmungslos mit Klischees: der schwule SA-Mann, die alternde Dragqueen, der eifersüchtige Freund, der untreue Geliebte, der schöne Fremde, eine heiße Nacht und die Kopfschmerzen danach. Die letzte Freiheit genießen und Champagner saufen, kurz bevor die Nazis kommen. Am frühen Morgen dann überfallen Männer mit schwarzen Uniformen die katermüde WG und schneiden dem SA-Wolf die Kehle durch. Die erste erschreckende Szene. Eine stilisierte Inszenierung der „Nacht der langen Messer“, wie der Überfall von Hitlers SS auf den für schwul befundenen Ernst Röhm und die gesamte SA-Führung auch genannt wird. Die Dragqueen setzt danach ihre kleine bunte Behausung in Brand, die eh nur provisorisch zwischen Stellwänden mitten auf der Straße stand, und spätestens jetzt merkt man, dass der Stoff des Films aus dem Theater stammt. Einst für die Bühne verkürzt werden auch hier der „Tanz auf dem Vulkan“ der Spätzwanziger, die Machtübernahme der Nazis 1933 und das Attentat auf Röhm 1934 kunstvoll zusammengerafft.

Danach wechselt der Film die Stimmung radikal. Die Nazis haben die Macht, die Party ist vorbei. Max und sein Freund Rudy fliehen vor der SS und werden ein paar Szenen später in einem Wald mit Hunden aufgespürt. Sie werden deportiert, ins KZ Dachau, wie Max von einem Mitgefangenen erfährt. Diese Zugfahrt bringt eine schreckliche Wende – das Ausgeliefertsein an die sadistischen SS-Wachen und das Auseinanderreißen der Freunde durch ein furchtbares Machtspiel der Nazis. Das wird so minutiös erzählt, so erbarmungslos sichtbar gemacht der rapide Prozess, in dem sich Max moralisch auflöst und sich verwandelt, wie man es selten so intensiv in einem Film gesehen hat. Am Ende der Fahrt ist Max grausamer Handlungen schuldig geworden und sein Freund tot.

Angekommen im KZ Dachau, werden Max die vielen dunklen Haare abgeschoren, sein Bärtchen war schon vorher verschwunden. Nun beginnt der Film, den beugsamen, ganz unedlen Helden, den man seit dieser Zugfahrt verabscheut und auch bemitleidet, wieder aufzubauen – in der Bekanntschaft mit jenem Mitgefangenen aus dem Zug, Horst, einem zierlichen Mann, der als Schwuler verhaftet worden ist. Der bekommt den rosa Winkel auf seine gestreifte Häftlingskleidung, die KZ- Markierung für schwule Männer. Max jedoch gibt sich nicht als queer zu erkennen, im Gegenteil, er hat so viel im Zug dafür getan, um nicht dafür gehalten zu werden. Dass er sich nun einen geklauten gelben Stern an seine Kleidung heftet, um als Jude zu gelten, wirft ein Licht auf die unterste Stellung der Schwulen in der Häftlingshierarchie.

Foto © Edition Salzgeber

Max und Horst verlieben sich ineinander, während sie täglich zusammen im Steinbruch arbeiten müssen. Der Film konzentriert sich fortan ganz auf die Zweisamkeit der beiden, die fern von der Opulenz vieler KZ-Filme, minimal poetisch-surreal erzeugt wird. Wie auf einer Theaterbühne wird in die Beziehung hinein gezoomt. Sie sprechen über frühere Clubs in Berlin, sie streiten und versöhnen sich und lieben sich sogar körperlich, nur mit Worten. Ein zentraler Streitpunkt ist, dass Max sich im KZ nicht dazu bekennt, schwul zu sein, obwohl er den rosa Winkel tragen könnte. Horst, der durch die Markierung der besonderen Misshandlung durch die SS-Wachen ausgeliefert ist, findet Max feige. Es ist auch ein politischer Streit zwischen zwei queeren Außenseitern, ob man sich outen soll oder nicht.

Der Film konzentriert sich weniger auf reiche Ausstattung als auf die Schaffung eines Spielraums für das, was psychologisch zwischen den beiden abläuft. Nur in der Baracke, in der Horst nachts hustend liegt, sind Pritschen mit vielen Mitgefangenen aufgebaut, am Tag ist der Steinbruch wie eine weiß gestrichene leere Bühne für zwei.

Die Freiheit, die die beiden zum Reden haben, ist ständig bedroht. Die SS beobachtet sie. Man fürchtet um sie mit einer fast unerträglichen Spannung. Die Erkältung von Horst und die Sorge von Max um ihn führen zum verhängnisvollen Finale, das einen mit seinem Schlussbild lange nicht loslässt. Der rosa Winkel auf Horsts Jacke wird für Max am Ende ein Zeichen seiner Emanzipation.

Foto © Edition Salzgeber

Das Stück „Bent“ (umgangssprachlicher, englischer Begriff für „schwul“, aber auch für „gebeugt“, „gebrochen“), 1979 von dem US-Amerikaner Martin Sherman geschrieben und alsbald weltweit in Theatern aufgeführt, war ein Fanal – zehn Jahre nach dem brutalen Polizeieinsatz im Stonewall-Club in der Christopher Street in New York. Gern spielten junge Schauspieler, die später berühmt wurden, den Max auf der Bühne.

Der Film von 1997, glücklicherweise von Martin Sherman selbst adaptiert und von Sean Mathias kongenial inszeniert, wurde ein queerer Klassiker und ist aber auch einfach ein guter Film. Die Musik von Philip Glass mit Violinen in ganz unterschiedlichen Stimmungen prägt sich ein. Die Darsteller geben eine intensive Vorstellung ab. Der damals noch unbekannte Clive Owen spielt die Wandlung des lebenslustig-gleichgültigen Max in eine schmerzerfüllte, liebesfähige Figur eindrücklich, nichts in seiner späteren Hollywood-Filmographie gab ihm noch einmal eine solche Chance. Lothaire Bluteau spielt den Horst asketisch, zornig, widerständig. Als Dragqueen hat Mick Jagger einen melancholischen Spezialauftritt, wobei er entschieden besser singt als spielt.

Die Opfergruppe der Homosexuellen, von den Nazis verfolgt und zu Tausenden in deutschen Konzentrationslagern mit dem rosa Winkel markiert und ermordet, wurde nach 1945 lange nicht thematisiert. Im Gegenteil: ihre Ausgrenzung und auch Kriminalisierung hielten an. Der tatkräftige Widerstand gegen die New Yorker Polizei in der Christopher Street 1969 brachte im Westen zwar eine Veränderung in der gesellschaftlichen Wahrnehmung queerer Menschen, aber noch lange keine Selbstverständlichkeit in die Welten von Familien, Arbeitsplätzen und öffentlichen Verkehrsmitteln. „Bent“ erinnert nämlich nicht nur an damals, sondern auch an heute.

Denn, auch wenn es so scheint, als wäre inzwischen mit Christopher Street Day, der Ehe für alle und breiter LGBTQ-Bewegung alles gut vorangekommen, liegt es noch nicht lange, 30 Jahre, zurück, dass die WHO sich bereit erklärte, Homosexualität von der Liste der „psychischen Krankheiten“ zu streichen. Und gerade mal vor zwei Wochen wurde das deutsche Gesetz zum Verbot der „Therapie“ homosexueller Menschen verabschiedet.

Jetzt erst.

Der Film läuft als Video on Demand im Online-Salzgeber-Club des Verleihs Edition Salzgeber noch bis 10. Juni. Man leiht den Film zum Preis von 4,90 € aus und kann ihn dann 24h lang streamen.