Wie britische Fallschirmjäger in Belfast »würdig« ihren Dienst verrichteten
Von Jürgen Schneider
Henry Thornton (Foto: Archiv Jürgen Schneider)
Am 7. August 1971 fuhr Henry Gerard Brendan Thornton, genannt Harry, aus South Armagh mit seinem Arbeitskollegen Arthur Murphy in einem grauen Kombi Morris A55 in Belfast die Springfield Road entlang, als ein britischer Fallschirmjäger das Feuer auf das Auto eröffnete. Thornton starb. Der Todesschütze hieß Allan McVittie, wie erst 2017 bekannt wurde. Er schoss zweimal gezielt, nachdem beim Wagen Thorntons zwei Fehlzündungen aufgetreten waren, die von McVittie und einem weiteren Soldaten, offiziell nur Soldat C genannt, als Schüsse wahrgenommen wurden. Eine Untersuchungskommission kam später zu dem Schluss, dass die Schüsse auf Thornton »keine verhältnismäßige oder notwendige Reaktion« auf die Fehlzündungen gewesen seien. Thornton war unbewaffnet, und in seinem Fahrzeug fanden sich keine Waffen, obwohl Soldat C behauptet hatte, er habe gesehen, dass »ein röhrenförmiges Instrument« aus dem Wagen ragte. Bereits 2012 hatte die britische Regierung ein Entschuldigungsschreiben an Thorntons Frau Mary gesandt und die Unschuld ihres Mannes bestätigt.
Am Morgen des 9. August 1971 begann die britische »Operation Demetrius«, bei der 342 Personen festgenommen wurden. Über hundert dieser Festgenommenen kamen zwei Tage später wieder frei, während die anderen ohne Gerichtsverfahren interniert wurden.[1] Einige der Internierten wurden Folterexperimenten ausgesetzt.[2] Kaum ein anderes Vorgehen der britischen Besatzungsmacht hat der Irisch-Republikanischen Armee in Nordirland so viele neue Mitglieder beschert wie die Internierungspolitik und das damit verbundene brutale militärische Vorgehen auf den Straßen.
Bei einer Anhörung zur Klärung der Erschießung von zehn unbewaffneten Männern und Frauen, darunter ein Vater von sechs und eine Mutter von acht Kindern, durch britische Fallschirmjäger im republikanisch-nationalistischen Stadtviertel Ballymurphy von Belfast zwischen dem 9. und 11. August 1971 sagte in der vergangenen Woche der ehemalige britische Fallschirmjäger Henry Gow, die Bewohner*innen Westbelfasts sollten der britischen Armee dankbar sein für deren »Disziplin«, denn die Fallschirmjäger hätten stets nur auf Bewaffnete, nicht aber auf »unbeteiligte Umstehende« geschossen.
Gow berichtete dann weiter, ein Kollege sei eines Tages mit einem Stück des Schädels von Thornton erschienen, das er als Aschenbecher benutzt habe. Gow hatte dies bereits in seiner 1995 erschienenen Autobiografie »Killing Zone« geschildert, die er unter dem Pseudonym Harry McCallion veröffentlichte.[3]
Gow führte weiter aus, in seiner Einheit habe es ein »Wettspiel« gegeben, bei dem jene Soldaten gewinnen sollten, die es zu einem »Todesschuss« brächten. Gow, dessen Einheit nicht bei den Erschießungen von Ballymurphy beteiligt war, ergänzte, der Gewinner habe den »Pot« bekommen und mit dem Geld ein »Besäufnis« veranstaltet.
Diese Aussagen waren schockierend für die Familie Thornton. Und sie lassen die im März gemachten Äußerungen der britischen Nordirlandministerin Karen Bradley, die Tötungen in Nordirland durch Soldaten der britischen Armee oder durch nordirische Polizisten seien »keine Verbrechen« gewesen, als absoluten Hohn erscheinen. »Diese Leute haben unter Befehl und unter Instruktion gehandelt und ihre Pflichten in würdiger und angemessener Weise erfüllt, hatte Bradley verkündet. Privat bevorzugt sie Aschenbecher des englischen Fußballmeisters Manchester City.
Anmerkungen:
[1] John McGuffin, Internment. – Tralee: Anvil Books, 1973
(www.irishresistancebooks.com/internment/internment.htm)
[2] ders., The Guineapigs. – London: Penguin Books, 1974
(www.irishresistancebooks.com/guineapigs/guineapigs.htm)
[3] s. ›I was the natural born killer‹, in: Independent, 27.04.1995
(https://www.independent.co.uk/life-style/i-was-the-original-natural-born-killer-1617250.html)