Von Jürgen Schneider
Im nordirischen Derry starb dieser Tage im Alter von 76 Jahren Joseph (Joe) Mulheron. Joe wurde in Belfast geboren und lebte in Derry, wo er die beliebte Bar namens Sandinos betrieb, die wegen seines Todes einen Tag geschlossen blieb.
Joe war Songwriter, Gründer und Sänger der legendären nordirischen Rebelsongcombo People of No Property. Platten dieser Combo befanden sich gar im Besitz des einstigen libyschen Staatsoberhauptes Muammar al-Gaddafi. Ein Foto von der Überreichung der Platten an Gaddafi durch den nordirischen Aktivisten Eamonn McCann durfte ich in Joes Haus bestaunen.
Anfang der 1980er Jahre nahm mich der rebellische Joe in Dublin einmal zu einer Party in die Dubliner Unterwelt mit. Ein aufmerksamer Kellner mit einem sorgfältig gefalteten, weißen Serviertuch und Silbertablett servierte die alkoholischen Getränke, an denen keinerlei Mangel herrschte. Die Partygäste wurden einander nicht mit Namen, sondern nach ihren Gepflogenheiten vorgestellt. Also etwa: »Er besorgt Pässe« oder »Er besorgt Waffen«. Von den freundlichen Angeboten, einen zweiten (ordentlichen irischen) Pass oder ein Schießeisen zu bekommen, machte ich keinen Gebrauch. Ein ruhiger, höflicher Zeitgenosse wurde mir mit den Worten vorgestellt: »Er überfällt Banken.« Überfälle? Der kluge Mann ging nach einem einfachen Verfahren vor. Er betrat eine Bankfiliale, in der Hand ein Exemplar der Irish Times, darin ein Zettel mit der Aufschrift: »Geld her: 1.000 Punt in kleinen Scheinen. Ich bin bewaffnet.« Die Irish Times legte er wortlos am Bankschalter vor, und seiner Aussage nach hatte er mit dieser Methode mehr als einmal Erfolg.
Später verfasste Joe Mulheron zusammen mit dem intellektuellen Hooligan und Schriftsteller Sean McGuffin die vollständige Lebensgeschichte eines irischen Volkshelden aus Derry: Nomad McGuinness. Das Buch Nomad McGuinness – Die wahre Geschichte eines irischen Glücksmatrosen wurde in meiner Übersetzung von der Edition Nautilus veröffentlicht.
Charles Nomad McGuinness verschwand bereits mit 15 Jahren aus dem heimatlichen Derry, um zur See zu fahren. Er durchmaß mit Sieben-Meilen-Stiefeln die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts und verdingte sich als Seemann, Pirat, Söldner und Rumschmuggler, nahm an Polarexpeditionen teil, schmuggelte Waffen für die IRA und kämpfte in Donegal gegen die verhasste Killertruppe Black and Tans. Er überlebte Krieg, Revolutionen und zahllose Schiffbrüche. Die Abenteuer des legendären Glücksmatrosen klingen so unglaublich, dass sich Joe und Sean auf das Unterfangen einließen, sie auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen. Sie mischten sich ein und deckten nicht nur seine Prahlereien auf, sondern fütterten seine Lebensgeschichte mit Berichten über die Wirrnisse der Zeit. In den Wirrnissen der Zeit stand Joe wie Sean, der bereits 2002 in Derry starb, stets auf der richtigen Seite – auf der Seite der people of no property.