Film in Zeiten von Corona
Von Angelika Nguyen
Seit Wochen sind die Kinos zu, das Internet hat auf. Für Unterhaltung ist ja bis zum Abwinken gesorgt. Aber was ist mit all den neuen Filmen, die normalerweise erst auf der schönen großen Leinwand im Kino starten, bevor sie ins Home-Entertainment der Wohnzimmer entlassen werden?
Verleihe, die die Rechte für die Kinoverwertung der Filme von den Produktionen bereits erworben, sprich Geld ausgegeben, haben, trifft der Ausfall der Kinostarts unmittelbar. Denn sie erhalten einen prozentualen Anteil der Einnahmen. Sie haben gerade verschiedene Strategien entwickelt: Bei Blockbustern wie dem neuen James Bond (Universal Pictures Deutschland) ist die Verschiebung von April auf November geplant, weil die Kinoeinnahmen immense Größenordnungen haben. Bei anderen Filmen gibt es jetzt statt Kino-Starts Streaming- Starts bei Netflix und Co., die vermutlich zu den großen Gewinnern der Corona-Krise gehören. Der kleinere Independent-Verleih Edition Salzgeber, der er sich ausgesuchten Themen wie queerem Leben, jüdischen Biographien, der Shoa und Minderheiten verschrieben hat, macht Ähnliches im Kleinen, nur exklusiver: im digitalen „Salzgeber -Club“, kann man per Video on Demand (pro Screening 4,90 €) neueste Kinostarts für ein paar Wochen ansehen. Da laufen zur Zeit der Film „Kopfplatzen“; der restaurierte westdeutsche 1980er Klassiker „Taxi zum Klo“ und das mexikanische Drama „This Is Not Berlin“. “Kopfplatzen“ nähert sich mit eher schwacher Regie, aber einem überaus starken Hauptdarsteller (Max Riemelt) dem heiklen Thema pädosexueller Veranlagung.
Der Verleih dcm hingegen setzt auf Autokino. Dort versucht er, den Erfolg des seit Januar im Kino gelaufenen deutschen Biopics „Lindenberg! Mach dein Ding“ fortzusetzen und kündigt im Übrigen beinahe erleichtert und überpünktlich das Erscheinen der DVD des Films an. Vielleicht ist Autokino ja die neue Perspektive? Muss nur noch ein Auto her, falls man noch keins hat. Die mögliche Trendwende zum öffentlichen Nah- und Fernverkehr hat Corona ohnehin torpediert.
Und die Kinos: wie lange können sie sich halten? Ihnen fehlen die Einnahmen aus Kartenverkauf und Mietzahlungen der Verleihe. Kleine und mittlere sind sofort existenzbedroht. Es gibt jedoch die Möglichkeit, auf der Website „kino-on-demand.com“ neue Filme zu sehen gegen Gebühr, die etwa dem Preis einer Kinokarte entspricht. Man kann sich dafür die „Kinos“ aussuchen, die man damit unterstützen kann. Es ist virtuelles Kino, am Ende ganz normales Streaming, aber eben mit den neuesten Filmen. Und es gibt Aufrufe zur Solidarität wie die gemeinsame Aktion von 34 Berliner Programmkinos. Da kann man virtuelle „Kinokarten“ erwerben, dazu virtuelles Popcorn und kann zwar dafür keinen Film gucken, aber spendet damit für die Existenz der Kinos überhaupt.
Falls man nicht selbst gerade abstürzt.
Die bedrohten Kinos und Verleihe sind nur das Ende der Kette. Das Ganze beginnt damit, dass Filme gedreht werden. Und das ist gerade alles abgesagt worden. Die weltweiten Drehverbote stürzen die Filmbranche in eine Existenzkrise unbekannten Ausmaßes.
Der Sommer naht, die helle Jahreszeit, die beste Drehsaison.
Aber sie sitzen plötzlich zu Hause: Schauspieler, Regisseure, Kameraleute und die eher unsichtbaren Gewerke wie Schnitt, Tonassistenz, Kostüm, Maske, Beleuchter. Sie hangeln sich in der Regel von Vertrag zu Vertrag. Obwohl sie der eigentliche Rückhalt dieser ganzen Industrie sind und pro Vertrag ganz gut verdienen, leben sie im Grunde prekär. Nie war das so deutlich wie jetzt, wo mit dem Einstellen aller Dreharbeiten auch alle Verträge gekündigt wurden. „Einen Kino- oder Fernsehfilm wird es in diesem Jahr nicht mehr geben“, meint Stefan Schmidt-Hug, Anwalt für Filmschaffende, der sich für die Gekündigten einsetzt und in diesen Wochen mehr denn je zu tun hat, auf rbb24.de.
Das Corona-Erdbeben, das die Kinobranche erschüttert, wird keins sein, wo man hinterher aufräumt und dann wieder loslegt wie zuvor. Vielleicht sind alle die, die gekündigt wurden, dann anderweitig beschäftigt, in krisensichereren Gefilden, Lebensmittel-Läden, Lieferfirmen, Onlinediensten, Sozialzentren?
Not macht aber auch erfinderisch. Dass die echten Privaträume von Schauspielern selbst zum Ort der Handlung werden, Home-Office zum Erzählzentrum und dramatische Konflikte ebenso gut via Skype ausgetragen werden können, ist die Idee der Serie „Drinnen“ in der ZDF-Mediathek (ZDF Neo). Dort begibt sich quasi in Echtzeit eine 40jährige Werbefachfrau freiwillig in Corona-Quarantäne und verfrachtet Mann und Kinder in eine Ferienwohnung, weil sie in Ruhe über Scheidung und das Leben nachdenken will und auch noch einen firmenrettenden „Pitch“ abliefern muss. Die sich daraus ergebenden Verwicklungen werden witzig, temporeich und manchmal auch bewegend erzählt. Es geht um Eifersucht und Selbstlüge, um Trauerarbeit und Kinderbetreuung, um Einsamkeit und Ostereiersuchen. Die kleinen Plots dauern jeweils 9 Minuten pro Folge. Drei echte Schauspieler-Paare spielen unter falschem Namen die Filmpaare: Lavinia Wilson und Barnaby Metschurat, Victoria Trauttmannsdorff und Wolf Dietrich Sprenger, Julika Jenkins und Arnd Klawitter. Und Jana Pallaske als hinreißende Singlefrau im Dschungel von Thailand. Von zu Hause aus. „Kein menschliches Wesen musste für diese Serie sein Haus verlassen!“ heißt es im Abspann. Wer lange nicht gelacht hat in seinen vier Wänden, dem sei die Serie dringend empfohlen. Trotz der Eile entstehen Momente gesellschaftspolitischer Reflektion. Hauptfigur Charlotte spricht in ihr Audio-Tagebuch: „Ich hab gelesen, ein Grund für die hohe Sterberate in Italien ist, dass die ganzen Familien da in Mehrgenerationen-Häusern zusammenleben. Ich meine, wer hätte gedacht, dass die soziale Kälte in Deutschland uns noch mal zugutekommt. Ich meine, Social Distancing gehört ja bei uns quasi zum Kulturgut. So wie der Tatort, Florian Silbereisen, Alltagsrassismus.“
Wer mehr Geschichten über unsere Gegenwart braucht, der kann sich nochmal den SciFi-Thriller „I Am Legend“ mit Will Smith aus dem Jahre 2008 ansehen, wo ein Mann mit seinem Hund im menschenleeren verseuchten New York geblieben und auf der Suche nach anderen Überlebenden ist.
Ein Claim zur Werbung für den Film „Ich bin immun.“ klang damals so fern für uns.
Heute nicht mehr.
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