Kultur, Osten

»Oishii!« – Essen in Japan

von Jürgen Schneider

Zwei Fische und ein blühender Pflaumenzweig

Zwei Fische und ein blühender Pflaumenzweig

Der Florentiner Sklavenhändlersohn Francesco Carletti (1573?-1636), der 1597/98 in Japan Station machte, schrieb in seinem 1701 erstmals veröffentlichten Werk »Ragionamenti di Francesco Carletti Fiorentino sopra le cose da lui vedute ne’ suoi viaggi si dell’Indie Occidentali, e Orientali Come d’altri Paesi« (dt. »Reise um die Welt 1594. Erlebnisse eines Florentiner Kaufmanns«, 1966): »Die Japaner haben eine bestimmte Blättersorte, die sie ›cîâ‹ oder ›the‹ nennen. Diese stammt von einer buchsbaumartigen Pflanze mit dreimal so großen Blättern, die das ganze Jahr über grün bleiben. Ihre Blüten sind wohlriechend und ähneln im Duft der Damaszenerrose. Die Blätter zermahlen sie zu Pulver. Dieses schütten sie in kaltes Wasser, das beständig auf dem Feuer erwärmt wird. Dann trinken sie diese Flüssigkeit, mehr aus medizinischen Gründen als wegen ihres Geschmacks, denn sie schmeckt bitter, wenngleich sie einen mit einem angenehmen Geschmack im Mund zurücklässt.«

Buddhistische Mönche hatten bereits im 8. Jahrhundert Teesamen von ihren Studienaufenthalten in China mitgebracht. Die Ausbreitung des Buddhismus und des Verbots, Tiere zu töten, führte zudem zu einer vegetarischen Klosterküche. Die Verbreitung des Tees in Japan geht vor allem auf den Zen-Priester Eisai (1141-1215) zurück. In einer Schrift aus dem Jahre 1214 pries er die heilende Wirkung des grünen Tees. Als Carletti in Japan weilte, hatte sich dort längst ein Teekult verbreitet. Der während der zeremoniellen Zubereitung des Tees (cha no yu) waltende Geist sollte nicht nur ästhetischen Gesichtspunkten (im Raum, bei den Rollbilder oder den Teeschalen) entsprechen, sondern die entscheidenden Aspekte der Atmosphäre sollten Harmonie, Ehrfurcht, Reinheit und Stille sein. Und da das japanische Schriftzeichen für Harmonie zugleich Anmut des Geistes bedeutet, soll während der Teezeremonie diese Art Anmut in jeder Weise erfüllt werden.

Die Teezeremonie hat auf die Kultur der japanischen Küche großen Einfluß genommen. Die »Kaiseki ryori« (Teezeremonie-Küche) – so Renate Schumacher in ihrem Buch »Japan – Liebe auf den zweiten Blick« (Verlag der Nation, Berlin, 1989) – besteht »in einer originellen Verarbeitung einfacher Zutaten, schließt Extravaganzen aus und ist ausdrücklich nicht an Reichtum gebunden (…) Als oberstes Prinzip der Kaiseki ryori gelten die Bescheidenheit der Ingredienzien und die Schlichtheit von Geschirr und Gerät«.

Tee bildet neben Reis, Sake, Nudeln und Fisch einen Schwerpunkt der informativen und ansprechend präsentierten Ausstellung »Oishii! Essen in Japan« im Stuttgarter Linden-Museum (bis 23. April 2017). »Oishii!« bedeutet: »Es schmeckt mir!« Die Exponate stammen überwiegend aus der museumseigenen Sammlung. Erstmalig gezeigt wird eine Rüstung aus der Edo-Zeit (1603-1868), die einst einer Fürstenfamilie gehört haben soll, die über das Lehen Tsu mit einem Reisertrag von 200.000 koku (ca. 30 Millionen Kilogramm Reis) herrschte. Ländereien wurden in der Edo-Zeit verdienten Gefolgsleuten des Shōgun zugewiesen, deren Wert sich durch den Reisertrag bestimmte. Die Menge an Reis, die ein Lehnsherr ernten lassen konnte, bestimmte seine Einkünfte und die Bezahlung seiner Krieger, deren Besoldung in Reis erfolgte.

Neben der Rüstung sind heute nicht mehr gebräuchliche, schlichte hölzerne Reismaße und dahinter eine von Hanabusa Itchō (1652-1724) gezeichnete Darstellung der Mühen des Reisanbaus zu sehen. Dieser Anbau begann in Japan ca. 1000 v. Chr. und breitete sich von Kyushu, der südlichsten der vier Hauptinseln, über das gesamte Archipel aus. Reis ist heute die wichtigste Kulturpflanze in Japan, wenn auch der jährliche Reiskonsum seit den frühen 1960er Jahren bis heute um mehr als die Hälfte zurückgegangen ist.

Die Kulturpflanzen und Nutztiere, so die japanische Mythologie, entstanden aus dem Leichnam der Nahrungsmittelgottheit Ukemochi. Nutzbar gemacht wurden sie von der Sonnengöttin Amaterasu, die in bewässerten Feldern den ersten Reis pflanzen ließ. Amaterasu gilt als Urahnin der japanischen Kaiserfamilie. Und so ist es der Kaiser, der jedes Jahr symbolisch die ersten Reispflanzen setzt.

Ein sehr schönes Exponat ist der Holzschnitt »Hase und Rabe stampfen Klebreis« von Totoya Hokkei (1780-1850), der auf die japanische Vorstellung verweist, nach der im Mond ein Hase lebt, der in einem Mörser Klebreis stampft. Der Klebreis-Hase lässt die US-amerikanischen, sowjetischen und chinesischen Mondlandeexpeditionen in einem völlig anderen Licht erscheinen.

Gesäuerter Reis mit rohem Fisch, Sushi genannt, ist in den letzten fünf Dekaden zum Exportschlager der japanischen Küche geworden. Nare zushi war einst in den ostasiatischen Nassfeld-Reisanbauzonen entwickelt worden, um Süßwasserfisch haltbar zu machen. Der gesalzene Fisch wurde in gekochten Reis eingelegt, um ihn mittels Milchsäuregärung haltbar zu machen. In diesem Prozess nahm der Reis eine breiige Konsistenz an, weswegen nur der Fisch gegessen wurde. Erst im 19. Jahrhundert tauchten in Edo (heute: Tokyo) an Straßenständen »nigiri sushi«« auf, handgemachte Sushi also, die Speise, bei der Reis und Fisch zusammen gegessen werden. Wie in Japan in den Schaufenstern von Restaurants sind in der Stuttgarter Ausstellung die diversen Sushi-Arten als Polyvinylchlorid-Modelle zu sehen.

Ob, wie in der Ausstellung dargestellt, die Reis-Sorte Koshihikari heute noch »besonders beliebt ist, vor allem, wenn sie aus der Region Uonuma in der Präfektur Niigata stammt«, ist zu bezweifeln, ereignete sich in der benachbarten Präfektur doch 2011 die Katastrophe im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi, bei der Luft, Böden, Wasser und Nahrungsmittel in der land- und meerseitigen Umgebung kontaminiert wurden.

Die Katastrophe dürfte sich auch auf die Sake-Produktion ausgewirkt haben. Sake ist Japans Volksgetränk mit einem vollmundigen und zugleich feinen Geschmack, das mit schönen Namen, wie etwa »Wandering Poet« auf den Markt kommt. Dieses Getränk wir häufig als Reiswein bezeichnet, dabei ist es ein bierähnliches Getränk aus Reis und Wasser, das in einem dreiwöchigen Gärungsprozess entsteht. Anders als beim Wein wirkt bei der Sake-Produktion allerdings ein Edelschimmelpilz namens Aspergillus Oryzae. Zur Trinkkultur von Sake gehört es herauszufinden, zu welchem Gericht welche Sake-Temperatur am besten passt. In der Ausstellung zu sehen sind allerlei hübsche Sake-Trinkgefässe sowie ein grosses Sake-Fass. Solche Fässer sind in Japan häufig vor Shinto-Schreinen zu sehen, sie dokumentieren die Spende durch eine Brauerei – Sake ist eine wichtige Gabe an die Götter.

In schriftlichen Quellen aus dem 7. Jahrhundert werden Speisen erwähnt wie sakubei oder muginawa, wörtlich: Weizenschnur. Auch wenn diese nach mancher Auslegung aus China eingeführtes Gebäck waren, weisen ihre Namen doch auf Nudeln hin. Und Nudeln, ob aus Weizen oder Buchweizen, erfreuen sich in Japan größter Beliebtheit. Unterschieden werden nach Mehl und Zubereitung somen, udon, soba und rāmen. Den regionalen Vorlieben geschuldet, gibt es eine Vielzahl von Nudelgerichten. In Stuttgart werden diverse Nudelmahlzeiten wie in den Auslagen japanischer Nudellokale als täuschend echte aussehende Polyvinylchlorid-Nachbildungen auf einem Regal präsentiert.

Erlesenere Exponate sind in der Fisch-, Meeresfrüchte- und Seegemüse-Abteilung zu sehen, in der uns vor Augen geführt wird, was in Japan aus dem Meer auf den Tisch kommt. Wer je auf dem weltgrößten Fischmarkt von Tokyo war (der in der Ausstellung in einem Film vorgestellt wird), hat nicht nur die Mengen an Thunfisch gesehen, die dort jeden Tag versteigert werden, sondern auch allerlei Getier, das für europäische Augen ein völliges Novum ist. Es scheint, so die oben zitierte Renate Schumacher, Japaner hätten fast alle eßbaren Meerestiere und –pflanzen probiert.

In Japan gilt auch der Wal als Fisch und wird als solcher gefangen, wie auf einer Querrolle aus dem Jahre 1801 in der Ausstellung zu sehen ist. Als Nahrungsmittel kommt dem Wal in Japan heute allerdings keine Bedeutung mehr zu. Auf einer der Fisch-Darstellungen des Meisters des Farbholzschnittes, Utagawa Hiroshige (1797-1858), sind die Seriola, ein für Sushi und Sashimi beliebter Fisch, dargestellt sowie »fugu«, der Kugelfisch, den man nur genießen sollte, wenn ihn ein ausgebildeter Fugu-Koch zubereitet hat, denn in der Leber und den Eierstöcken dieses Fisches verbirgt sich ein tödliches Gift. Vertraut man den Künsten eines im Zerlegen dieses Fisches ungeübten Koches, besteht die Gefahr, dass der Spruch »Fugu wa kuitashii inochi wa oshishi« (Ich möchte Fugu essen, doch ich möchte nicht sterben) nicht in Erfüllung geht.

Eindrucksvoll sind die Schwarz-Weiss-Fotografien, mit denen Iwase Yoshiyuki (1904-2001) seit Mitte der 1920er- bis in die später 1960er Jahre den »Meerfrauen« Japans (ama) ein Denkmal gesetzt hat. Iwase dokumentierte den harten Arbeitsalltag dieser Frauen, die nach Meereschnecken, aber auch nach Seetang und Algen tauchen.

Auch dem besonders während der Kirschblüte beliebten Picknick widmet sich die Ausstellung. Auf einem Stellschirm aus dem 17. Jahrhundert ist eine Blütenschau (hanami) zu bewundern. Bis heute finden sich Familien und Freunde zur Blütenschau in Parks und Gärten zusammen und veranstalten ein Picknick unter der blassrota Blütenpracht. Ein Einssein mit der Natur, das (wenn überhaupt noch) nur in der Stille zu erfahren ist, wird sich bei diesem Trubel kaum herstellen lassen.

Renate Schumacher schrieb bereits 1989, dass durch die sogenannte Modernisierung der Landwirtschaft jahreszeitliche Erzeugnisse, wie sie seit Jahrhunderten in der japanischen Küche üblich waren, mehr und mehr von Instantgerichten verdrängt werden. Sie berichtete von den Verbraucherinitiativen, durch die vor allem Frauen sich gegen den Verfall japanischer Eßgewohnheiten wehren und gesunde Lebensmittel sowie den biologischen Anbau von Obst und Gemüse fordern. »Ihre Losung ›Wie man ißt, so lebt man‹, ergänzen die japanischen Bauern durch die Feststellung ›Wie man das Land behandelt, so lebt man‹, womit sie die Frage der japanischen Landwirtschaft zur Überlebensfrage der Japaner und natürlich auch ihrer traditionellen Eßkultur erklären.« Diese Frage ist nach Fukushima sehr viel dringlicher geworden, wird aber in der Ausstellung weitgehend ausgeblendet.

Neben der Japan-Ausstellung bietet die schwäbische Metropole derzeit auch die sehr zu empfehlenden Ausstellungen »Francis Bacon – Unsichtbare Räume« (Staatsgalerie, bis 08.01.2017) und »[un]erwartet – Die Kunst des Zufalls (bis 19.02.2017)«.

 

»Oishii!« – Essen in Japan. Ausstellung im Linden-Museum Stuttgart (bis 23.04.2017); Katalog, hrsg. von Uta Werlich, Inés de Castro und Toko Shimomura. – Stuttgart: arnoldsche ART PUBLISHERS, 2016, 224 S., 288 Farbabbildungen, Hardcover, 34 Euro