Der „Arbeitskreis (AK) Geschichte sozialer Bewegungen Ost-West“ hat am 7. Juni 2015 eine Stellungnahme verfaßt und veröffentlicht. Dieser Stellungnahme vorausgegangen waren vor drei Wochen bereits zwei teilöffentliche Briefe von zwei der Unterzeichnenden (namentlich: Renate Hürtgen und Bernd Gehrke), die eine ganze Reihe von Falschdarstellungen eines Konfliktes enthielten, auf die wir als telegraph-Redaktion jedoch nicht reagierten, da wir unsere Energie nicht in ein endloses Erklärungs-Stellungnahmen-Gegendarstellungs-Hin-und-Her stecken wollten. Nun hat der Arbeitskreis jedoch noch einmal eine umfangreiche Stellungnahme nachgelegt. Das auch Willi Hayeks Name unter dieser Stellungnahme steht, bedauern wir sehr, da wir seine Arbeit schätzten.
Die Etikettierung der telegraph-Redaktion als Phobiker, Hysteriker, als Unreflektierte, als Dümmliche, als Ajatollas, Oberste Richter des Antifaschismus‘, als Sektierer, als Stalinisten, als Antideutsche, usw. usf. werden ein weiteres Mal wiederholt. Diesem Beschimpfungs-Kanon wollen wir hier nicht folgen. Wir sehen uns jedoch nun zu einigen Richtigstellungen veranlaßt, wobei wir hier auch nicht auf jede Falschdarstellung eingehen können.
1. Wir hatten uns in einer Erklärung vom 15. Mai 2015 gegen eine Veranstaltung des Arbeitskreises (AK) Geschichte sozialer Bewegungen Ost-West am 15. Mai im Haus der Demokratie mit Peter Brandt ausgesprochen. Wir hatten keine Einwände gegen das Veranstaltungsthema „Zwischen Befreiung und neuer Weltordnung der Blöcke“ formuliert, wie unserer Erklärung zu entnehmen ist. Unsere Erklärung kann auf unserer Internetseite nachgelesen werden.
Bemängelt wurde u.a. an unserer Erklärung, daß wir nicht Peter Brandts Verdienste um die Erforschung der deutschen Arbeiterbewegung nach 1945 würdigen. Eine Erklärung ist jedoch kein Aufsatz über die wissenschaftliche Laufbahn von Peter Brandt, der sich erst der Arbeiterbewegung, dann der preußischen Geschichte und seit über 35 Jahren vor allem der „deutschen Frage“, der „deutschen Einheit“, der „deutschen Nation“ und der „Verfassungsgeschichte“ zuwendete. Für unsere Erklärung war und ist entscheidend, daß Peter Brandt in Medien der „Neuen Rechten“ veröffentlichte, nicht nur einmal (sozusagen „aus Versehen“), sondern regelmäßig wiederkehrend.
Selbst die SPD hat in dem Papier „Handlungs- und Aktionsstrategien. Für eine starke Demokratie – Wirksam handeln gegen rechts!“ von 2005 auf S. 10 formuliert:
„11. Strikte Trennlinie ziehen
Die Abgrenzung demokratischer Politiker/innen gegen rechtsextremes Gedankengut muss klar und eindeutig sein. … Es darf auch keinerlei Beiträge oder Interviews für extrem rechte Zeitschriften geben. Dies gilt insbesondere für Blätter wie die „Junge Freiheit“ und „Criticon“, die sich damit als demokratisch legitimieren wollen.“
Die VVN-BDA nannte es: „Die Tür nach rechts muss zubleiben!“. Wir sind uns sicher: Hätte der VVN-BdA im vergangenen Jahr genauer gewußt, daß Brandt zu denen gehört, die diese Tür öffnen und in den Medien der „Neuen Rechten“ veröffentlicht, sie hätten ihn wohl kaum zu ihrer Veranstaltung im Haus der Demokratie eingeladen. Es ist also unlauter durch die AutorInnen, die eigene Fehlhandlung mit dem Verweis auf das Stattfinden dieser VVN-BdA-Veranstaltung des letzten Jahres zu rechtfertigen.
Weil wir uns gegen national gesinnte Rechte, aber ebenso gegen national gesinnte Linke ausgesprochen haben, macht das uns noch lange nicht zu „Antideutschen“. Dieser Kurzschluß durch die AutorInnen der Stellungnahme ist nur ein Hinweis auf die mangelnde Kenntnis der Positionen der „Antideutschen“ und der grundverschiedenen politischen Position des telegraph. Oder aber, diese Etikettierung erfolgt als eine sehr bewußte Zuschreibung im Dienste der Diffamierung.
Zur Information an die AutorInnen der Stellungnahme: Wenn wir von einer „Neuen Rechten“ sprechen, meinen wir nicht PEGIDA, wie offenbar die AutorInnen (weil sie betonten, sie hätten „erst unlängst gegen die Neue Rechte mobilisiert“), sondern ein in den 1980er Jahren entstandenes Netzwerk rechter Gruppen und Einzelpersonen, Vereinigungen und Seminarzentren, Zeitschriften und Verlage, die eine Modernisierung des Rechtsextremismus, seines Selbstverständnisses und seiner Ideologie betreiben. Intellektuelle wirken dabei für eine Verankerung rechter Thesen und Diskurse bis in die Mitte der Gesellschaft. Die „Enttabuisierung“ eines deutschen Nationalismus ist einer der Grundbestandteile der Neuen Rechten.
Uns wird vorgeworfen, wir hätten „Peter Brandt ´ins rechte Lager´ [ge]stellt“. Das stimmt nicht. Peter Brandt hat sich durch seine Publikationen in rechtsextremen Medien, seinen Gemeinschaftsarbeiten mit Vertretern der Neuen Rechten und durch seine Auftritte in rechten Veranstaltungsorten selbst in dieses „rechte Lager“ gestellt. Wir haben nur darauf aufmerksam gemacht.
2. Ein Vorwurf, der wiederholt formuliert wurde: auf dem Fest zum 8. Mai würde eine Stalin-Hymne abgespielt und mitgesungen. Tatsächlich: Nach vier Stunden internationalem Musikprogramm (s. Festprogramm auf unserer Internetseite) spielten wir um Mitternacht ein russisches Lied, gesungen vom bekannten Alexandrow-Ensemble.
Nun mögen manche Menschen alles Russische mit Stalin gleichsetzen. Wir tun das nicht.
Das inkriminierte Lied trägt den russischen Namen “Священная Война“, deutsch: „Der heilige Krieg“, englisch: „The Sacred War“. Es wurde 1941 von Lebedew-Kumatsch nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion geschrieben, die Musik komponierte Alexander Alexandrow, wenige Tage nach Kriegsbeginn. Uraufgeführt wurde es in Moskau vor dem Belorussischen Bahnhof, wo Freiwillige an die Front verabschiedet wurden. Zunächst wurde es nur selten ausgestrahlt, da es von einem schweren tödlichen Kampf handelt, statt von einem baldigen leichten Sieg. Ab Herbst 1941 wurde es jedoch jeden Morgen im sowjetischen Rundfunk gesendet. Im deutschen Rundfunk wurde dieses Lied zuletzt in der Sendung „Eine Lange Nacht der Lieder aus den europäischen Widerstandsbewegungen“ im Deutschlandradio Kultur am 2. Mai und im Deutschlandfunk am 3. Mai 2015 gespielt.
Im Liedtext selbst gibt es natürlich keinerlei Bezug zu Stalin, weder im russischen Original, noch in der deutschen Nachdichtung. Tatsächlich ruft es zum Widerstand gegen die Faschisten auf! Warum wird dieses Lied als Stalin-Hymne bezeichnet? Warum sollte der antistalinistische telegraph Stalin-Hymnen abspielen? Dabei hat unser Antistalinismus nichts gemein mit dem „Antistalinismus“ der AntikommunistInnen! Wir haben unsere politische Richtung nach 1989 nicht verloren.
Die Frage, die sich die AutorInnen stellen müssen: Welche Funktion hat diese bewußt und wiederholt eingesetzte Unwahrheit/Lüge?
3. Die AutorInnen werfen uns auch „sektiererische Praxis“ durch „ein einseitig prosowjetisch orientiertes Fest“ vor, während die „Vielfalt und Breite der antifaschistischen Organisationen, die im Haus vertreten sind, … ein Fest [erwarten], welches nicht nur allen Alliierten danken müßte, sondern vor allem den Soldat/innen, Partisan/innen und Widerständler/innen.“ Diese Formulierung finden wir besonders unverschämt.
Die „Vielfalt und Breite der antifaschistischen Organisationen“, die für das Haus der Demokratie behauptet werden, diese sollten gar kein Fest passiv „erwarten“, so meinten wir, denn seit Jahren gibt es eine offene Vorbereitungsgruppe für dieses Fest, in die sie sich hätten aktiv einbringen können.
Die TeilnehmerInnen des Festes werden ohnehin ein anderes Fest in Erinnerung haben, als das von den AutorInnen beschriebene „einseitig prosowjetische Fest“. Jede Leserin, jeder Leser, die am Fest nicht teilnahmen, können diesen Vorwurf sehr leicht prüfen, indem sie sich die Festeinladung und das Programm zum 8. Mai 2015 auf telegraph.cc, die Sondernummer des telegraph zum diesjährigen Fest, ebenfalls auf telegraph.cc durchlesen. Wo ist das „Einseitig-Prosowjetische“?
Zur uns vorgeworfenen Ignoranz gegenüber den Leistungen der Alliierten, des Widerstandes, der PartisanInnen nur kurz einige Auszüge aus den Ankündigungen des Festes (alles nachlesbar auf unseren oben genannten Internetseiten).
In diesem Jahr (2015): Спасибо! Thank you! Merci! Danke! Am 8. Mai 1945 beendete der Sieg der Anti-Hitler-Koalition den Zweiten Weltkrieg in Europa. Die Aggression des Deutschen Reiches hatte Millionen Menschen das Leben gekostet. … In Europa feierten die Soldaten der alliierten Streitkräfte, ZwangsarbeiterInnen und KZ-Häftlinge, AntifaschistInnen und WiderstandskämpferInnen die Befreiung vom Faschismus.
Im letzten Jahr (2014): Der 8. Mai 1945 markiert das Ende des nazi-deutschen Terrors. Mehr als 55 Millionen Menschen wurden durch den deutschen Krieg getötet oder in den Vernichtungslagern ermordet. Für Millionen von KZ-Häftlingen, ZwangsarbeiterInnen, WiderstandskämpferInnen und AntifaschistInnen aus den Ländern Europas ist der 8. Mai der Tag der Befreiung vom Faschismus und des Widerstandes gegen alle seine modernen Ausprägungen. Ein Grund zum Feiern und gegen das Vergessen.
Im vorletzten Jahr (2013): Der 8. Mai 1945 markiert das Ende des nazi-deutschen Terrors. Mehr als 55 Millionen Menschen wurden durch den deutschen Krieg getötet oder in den Vernichtungslagern ermordet. Für Millionen von KZ-Häftlingen, ZwangsarbeiterInnen, WiderstandskämpferInnen und AntifaschistInnen aus den Ländern Europas ist der 8. Mai der Tag der Befreiung vom Faschismus und des Widerstandes gegen alle seine modernen Ausprägungen. Ein Grund zum Feiern und gegen das Vergessen.
Auch das Fest-Logo symbolisiert eindeutig die Vielfalt der Befreier vom Faschismus.
Die Frage, die sich die AutorInnen stellen müssen: Welche Funktion hat diese bewußte Falschdarstellung?
Sicher, es muß auch erwähnt werden, daß die Hauptlast der Niederwerfung des deutschen Faschismus die Rote Armee leistete und die Sowjetunion die meisten Opfer zu beklagen hatte. Natürlich könnte man diese historischen Tatsachen verschweigen, ein Verschweigen wäre aber sicher nicht im Sinne des AK Geschichte. Und es muß erwähnt werden, daß Berlin, der Ort, in dem wir feiern, durch die Rote Armee der Sowjetunion und durch polnische Soldaten der 1. und 2. Armee befreit wurde.
4. Der AK Geschichte formuliert, daß er in der „Zerstörung nicht nur bürgerlicher, sondern gerade auch linker Mythen“ seine Funktion sieht. Das ist anerkennenswert. Gegen das Nachdenken und Diskutieren über Nation und Nationalismus hatten wir gar keine Einwände formuliert, mit wem diskutiert wird, ist jedoch entscheidend. Die uns zugeschriebene Tabuisierung ist eine weitere Unterstellung, sowie die häufig ganz allgemein und undifferenziert formulierte “linke Tabuisierung des Nationalen“ ein Mythos ist, an dessen Erhalt offensichtlich auch Interesse besteht. Zehn Minuten Internet-Recherche können das Gegenteil nachweisen (Hilfe: Die Stichworte für die Suchmaschinen etc. sind: Linke + Nation). Allerdings, das ist wohl deutlich geworden, wir beharren auf Grenzsetzungen gegenüber den Rechtsextremen und gegenüber denen, die in deren Medien veröffentlichen.
Wir wissen, daß die Geschehnisse der Zeit beides erfordern: die antifaschistische Aktion und die theoretische Auseinandersetzung. Doch meinen wir, daß es eher notwendig ist, sich zum Schutz von Menschen vor eine Flüchtlingsunterkunft zu stellen, um eine „Deutschland-den-Deutschen“-Meute abzuwehren, als sich in ein „Über die deutsche Nation und den deutschen Patriotismus“-Seminar zu setzen, um brennende Fragen des 19. Jahrhunderts zu thematisieren.
Berlin, 16. Juni 2015 Redaktion telegraph