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Jubiläum ohne Jubelfeier

(neues-deutschland.de 26.11.2014)

Ein kleiner Kreis links gebliebener DDR-Oppositioneller verteidigt mit der Zeitschrift «telegraph» seine Träume von ’89

Von Burga Kalinowski

Der «telegraph» war eine wichtige Stimme im Wendeherbst 1989. Heute fehlt Geld für regelmäßiges Erscheinen – auch ein Befund zum Zustand der Republik im Jubiläumsjahr.

Natürlich ist es langweilig: Mittlerweile feiert fast jeder Furz (s)ein 25-jähriges Jubiläum. Langsam artet das in Terror aus und übertrifft in puncto Pathos, Protz und Propaganda mühelos jede kommunistische Kalenderkampagne. Geschichte als Legitimationsdekor für aktuelle politische Schieflagen – freundlich formuliert. Man kann es auch Instrumentalisierung nennen, oder so ausdrücken, wie ein Mittfünfziger in Berlin: «Hinter den Politaltaren staut sich der Muff aus 25 Jahren», eine reimende Erinnerung auch an 68er Ereignisse. Nein, seinen Namen will er nicht sagen, aber sehr gern, dass er diese Jubeltermine satt habe. Die Bemerkung hat was, denn an diesem Abend findet im BAIZ, der Kultur- und Schankwirtschaft in der Schönhauser Allee, eine Diskussion statt – zum 25. Jahrestag der DDR-Oppositionszeitschrift «telegraph».

Deshalb ist der Laden voll. Männer zwischen 35 und 65. Sie rauchen Club und Cabinett, haben ein Bier vor sich, diskutieren. Die meisten kennen sich. Ein Trupp Unentwegter, die ihren Idealen treu geblieben sind, kritisch und aufrichtig wie damals. Keine großen Worte, keine schwulstigen Beschwörungen der schönen neuen Welt, keine Phrasen über überwundenes Elend im Unrechtsstaat – kurz, nichts von dem, was üblich ist und wohlfeil in diesem Herbst. Die hier versammelt sind, jubeln nicht. Sie erinnern sich an Dinge, die sie selbst gemacht haben. Ja, genau – zum Beispiel die Zeitung «telegraph». Sie war Nachfolge der berühmten Umweltblätter, die seit 1987 von der Berliner Umweltbibliothek – legendärer Treffpunkt der linken DDR-Opposition – herausgegeben wurden und eine Gegenöffentlichkeit zum staatlichen Informationsmonopol in der DDR schufen. Mit Themen wie Waldsterben, Tschernobyl oder den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan.

Bis zum September 1989 erschienen 32 Ausgaben der Umweltblätter. Spätestens da war klar: «Die SED hat zustande gebracht, was kapitalistischen Ideologen nie gelungen ist. Indem sie behauptete, ihre Behördendiktatur sei der einzige Weg zum Sozialismus, wurde die Idee des Sozialismus bei der Bevölkerung der DDR völlig diskreditiert. Diese Art von Politik steht jetzt vor ihrem politischen und wirtschaftlichen Bankrott» – heißt es in der 89er Septemberausgabe. Da zieht sich die Zeit gerade den Mantel der Geschichte an und die Redaktion bringt am 10. Oktober 1989 die erste Nummer der neuen alten Zeitung heraus. Mit kollegialer Hilfe der Samisdatblätter «Friedrichsfelder Feuermelder», «Grenzfall» und «Antifa-Infoblatt-Ostberlin». Die zweite Ausgabe erscheint schon einen Tag später, die dritte am 15. Oktober, jeweils in einer Auflage von mehreren Tausend Exemplaren. Es war die Geburtsstunde des «telegraph».

«Der Vater ist Wolfgang Rüddenklau gewesen, der große alte Mann der DDR-Umweltbewegung und Mitbegründer der Umweltbibliothek», sagt Andreas Schreier. Er gehörte damals zum Unterstützerumfeld, verteilt die Zeitung, ist aktiv in Punk-, Umwelt- und Friedensgruppen der Kirche. In der Wende geht er für die Vereinigte Linke an den Zentralen Runden Tisch, Arbeitsgruppe Sicherheit. Seit 1998 arbeitet er in der «telegraph»-Redaktion mit, sieht seinen Platz als Linker nun in der außerparlamentarischen Opposition. Heute gehe es wieder um Gegenöffentlichkeit und Veränderung.

Die Festivitäten in diesem Herbst vernebeln die Sicht auf die damalige Wirklichkeit. Geschichte und die Erinnerung daran sind zur Ware geworden – und mancher Ex-Bürgerrechtler verkaufte sich gleich mit. Auch ein Pöstchen in Politik oder Behörde wird gern genommen. Dafür sagt man schon ein paar passende Parolen am Pult auf. Unmissverständlich wird im Editorial des «telegraph»-Jubiläumsheftes folgendes als geschichtliche Wahrheit ausgesprochen: «Einmal mehr feiert der bundesdeutsche Mainstream neben der Deutschen Einheit den ›Fall der Mauer‹ als Höhepunkt der ›deutschen Revolution‹.» Die Erinnerung jedoch, dass während der revolutionären Ereignisse im Herbst 1989 niemand wirklich für den Abriss der Mauer auf die Straße ging, sondern für Demokratie und einen echten Sozialismus, konnte nach 25 Jahren noch nicht aus allen Köpfen gedrängt werden.«

Durch Wende, Wirren und Widrigkeiten im Einheitsland hindurch hat der telegraph unbeirrt Stellung gehalten, hat sich verändert – von der Zeitung zur Zeitschrift, ist jetzt ein Jahresalmanach geworden. Auch gut, vor allem aber eine Frage des Geldes. Nicht jeder Text in der aktuellen Ausgabe wird jeden interessieren, manches ist inhaltlich sperrig oder sprachlich gestelzt – und dann gibt es einige großartige Texte, wie den von Helmut Höge über »DDR-Landwirschaft heute«. Ein abtörnender Titel, doch ein eindrucksvolles Beispiel für die emotionale Wucht sachlich reportierter Fakten zur Geschichte des Dorfes Passee in Mecklenburg-Vorpommern oder über das Schicksal der Leute aus einer LPG bei Pritzwalk. Das muss man lesen. Ohne Wortgeschwurbel wird beschrieben, wie mit Hilfe von eigens geschaffenen Gesetzen – formal rechtlich wasserdicht und bestens geeignet für gnadenlose Ausnutzung des vorgefundenen Ost-Territoriums samt seines Humankapitals, wie also streng rechtsstaatlich ungestraft betrogen und belogen, geklaut, geraubt und zerstört werden darf, kann, soll. Da denkt man über Unrechtsstaat nach und an Schurkerei. Und erinnert sich an die »Resolution der Kommunarden« aus den »Tagen der Commune« von Brecht:

In Erwägung, ihr hört auf Kanonen

and’re Sprachen könnt ihr nicht

versteh’n

müssen wir dann eben,

ja das wird sich lohnen

die Kanonen auf euch dreh’n.

telegraph 129-130/2014 ist für 9 Euro in ausgesuchten Läden und auf Bestellung erhältlich, per E-Mail: info@telegraph.cc; per Post: Redaktion telegraph, Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin und online: www.telegraph.cc.

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