Auf der Tagung 30 Jahre Antifa in Ostdeutschland , am 1./2. Dezember 2017 in Potsdam, gab es ein Panel zur antifaschistischen Kampagnenpolitik in Ostdeutschland
von Dietmar Wolf
Für den 3. Slot der Tagung 30 Jahre Antifa in Ostdeutschland stand zwischen 16:30 und 18:30 Uhr unter anderem das Panel „Antifa heißt Angriff – Antifaschistische Kampagnenpolitik in Ostdeutschland“ auf dem Plan. Im Ankündigungstext hieß es: Aktivist*innen stellen ihre Kampagnen vor und berichten über ihre Erfahrungen, Lehren, Konsequenzen. Was war förderlich, was hinderlich, welche vermeidbaren Fehler wurden gemacht. Danach soll es in der Diskussion um Themen gehen wie: Wer waren die Träger*innen der Kampagne? Wie waren die Erfahrungen in Bündnissen? Gab es in den Kampagnen Erfahrungen mit Gewaltdiskussionen? Welche Rolle spielen Parteien? Was sollen diese leisten, was nicht? Und wie schützt man sich vor politischer Vereinnahmung durch Parteien? Was ist eine erfolgreiche Kampagne? Und wann ist eine Kampagne gescheitert?
Trotz des inhaltlich vollen Tages und der fortgeschrittenen Zeit, interessierten sich rund 60 Menschen für das Panel. Um so erfreulicher die Tatsache, dass alle sehr konzentriert, vielschichtig und rege miteinander redeten und diskutierten. Dabei war es angenehm festzustellen, dass es eben nicht, wie oftmals der Fall, nur Einzelne waren, die monologisierten, sondern dass es durchaus quer Beet durch die Sitzreihen ging. Und so verwundert es auch nicht, dass die zur Verfügung stehende Zeit nur zum Anreißen des Themas reichte und die Diskussion mehr Zeit gebraucht hätte. So musste die Moderation, zum Leidwesen vieler, mitten in der laufenden Diskussion abbrechen und das Panel fast abrupt beenden.
Eingeführt wurde das Panel von vier Aktivistinnen der Antifa Nordost (NEA) Berlin, Dresden Nazifrei, Antifa Suhl/Zella-Mehlis (Thüringen) und einem ehemaligen Aktivisten des 1996er Bündnis Gegen Rechts (BGR) Leipzig. In ihren Kurzbeiträgen stellten sie ihre unterschiedlichen Kampagnen vor, die zum Teil in großen bis sehr großen Bündnissen absolviert wurden, aber auch nur durch die Antifaschistischen Gruppen selbst. Schon durch diese Beiträge wurden viele Probleme und Kritikpunkte deutlich.
So sind Kampagnen, wie z.B. Dresden Nazifrei, nur mit sehr hohem Aufwand an Zeit, Menschen, Material, Technik, Logistik und vor allem viel Geld erfolgreich umsetzbar. Zudem sind sie meist nur punktuell und an einzelne bestimmte Ereignisse gebunden, wie Aufmärsche, Treffen von Nazis, oder Wahlen. Sie sind selten nachhaltig.
Solche Kampagnen können nur in sehr großen Bündnissen realisiert werden und sind oft mit heißer Nadel gestrickt. Sie sind meist fragil und brechen schnell auseinander. Der gemeinsame Nenner ist in der Regel auf niedrigstem Level. Dies geht zu Lasten der Formulierung eigener, linker, linksradikaler, oder antikapitalistischer, politischer Positionen.
Bei Dresden Nazifrei war der einzige gemeinsame Nenner, der gefunden werden konnte: Nazis sind doof und wir wollen nicht, dass die durch Dresden marschieren. Was anfänglich dazu beitrug, dass die klassischen Nazis irgendwann nicht mehr durch Dresden marschierten. Doch nachdem dies mehr oder weniger erreicht war, zogen sich die bundesweiten Strukturen mehrheitlich zurück. Übrig blieben lokale zivilgesellschaftliche Organisationen und Parteien sowie unabhängige linke AktivistInnen aus Dresden. Sie waren kaum noch in der Lage, an die anfänglichen Erfolge der ersten Jahre anzuknüpfen.
Mit dem Aufkommen von PEGIDA und deren montäglichen Demonstrationen, traten die grundsätzlichen und strukturellen Probleme der Bündnisse offen zu Tage. Als diese Demonstrationen anfingen, waren die AktivistInnen schnell mit der kontinuierlichen Arbeit überfordert und nicht in der Lage, wirklich funktionierende Konzepte zu entwickeln, welche sie diesen wirksam und nachhaltig entgegensetzen könnten.
Ähnliche Erfahrungen gab es auch mit anderen Kampagnen und Bündnissen. In Thüringen beteiligte sich 2009 Antifa Suhl/Zella-Mehlis, gegen die eigene Überzeugung, aktiv an einer Bündnis-Kampagne, die sich gegen den Parlamentseinzug der NPD in den Thüringer Landtag richtete. Letztendlich wurde dort aber nur bürgerlicher Wahlkampf gemacht: „Geht wählen! Wählt was ihr wollt! Hauptsache nicht die NPD!“. Zwar hat die NPD den Einzug verfehlt, allerding ist nicht messbar, welchen Anteil die Kampagne daran hat.
Eine wichtige Erkenntnis der Antifa Suhl/Zella-Mehlis, bzw. eine Lehre, die sie daraus zogen ist, dass vor die Frage „was kann man machen?“ immer auch die Frage „mit wem kann man das machen?“ gestellt werden muss. Eine weiter Lehre und Grundvoraussetzung vor der und für die Beteiligungen an derartige Kampagnen und Bündnissen wäre, aus einer klaren linker Position heraus eine grundlegen Gesellschaftsanalyse zu betreiben, eine fundierte Kapitalismuskritik zu formulieren und dann im praktischen Ansatz nach der „Nachhaltigkeit“ einer Kampagne zu fragen.
Über eine sehr erfolgreiche Kampagne berichtete die Antifa Nordost (NEA) Berlin. Ihre Kampagne richtete sich gegen die Freien Nationalen in Berlin. Mit ihrer über mehrere Jahre durchgeführten Outing-Kampagne wurden die bis dahin, quasi anonym agierenden Neonazis aus eben dieser Anonymität gezerrt. Es konnte erreicht werden, dass die Neonazis von ihren Aktionen und Anschlägen auf Linke sowie linke Objekte und Treffs abließen. Letztendlich lösten sich die Freien Nationalen in Berlin auf und Teile gingen in die NPD über. Die Kampagnenarbeit der NEA richtete sich danach, mit den gleichen oder ähnlichen Aktionsmustern wie bei den Freien Nationalen, auf die NPD aus.
Darüber hinaus gelang es durch diese Arbeit neue Vernetzungen und Strukturen zu schaffen und neue junge Leute für antifaschistische Arbeit zu gewinnen. Es konnte eine unbefristete, kontinuierliche und vor allem beharrliche Arbeit realisiert werden. Dabei wurden auch punktuelle Bündnisse geschlossen. Das sei aber niemals zu Lasten der eigenen Positionen oder Inhalte gegangen. Es wurde stets darauf geachtet, dass eigene Heft des Handelns nicht aus der Hand zu legen oder es an gesellschaftliche bzw. Parteien-Vertreter abzugeben. Aktuell versucht die NEA ihre Kampagnen-Erfahrungen, welche sie im Kampf gegen Freie Nationale und NPD erlangen konnten, auf die AfD anzuwenden. Ob diese klassischen Antifa-Outing-Kampagnen bei den rechtsextremen Politikern der AfD irgendeinen Sinn macht bleibt zu bezweifeln. Immerhin treten diese stets offen auf und sind bemüht in der öffentlichen Wahrnehmung den Schein von „Rechtsstaatlichkeit“ und „Demokratie“ zu bewahren. Zudem agiert die AfD als zugelassene, von breiten Bevölkerungsschichten akzeptierte und gewählte Partei, nun auch in vielen Parlamenten des Landes. Es bleibt schließlich fraglich, ob die Kampagne mehr als kurzfristige Teileffekte erzielen kann. Dies klang auch in der Diskussion an und wurde stark angezweifelt.
Über eine andere, wenn auch sehr klassische, Antifa-Kampagnen berichtete der Vertreter des ehemaligen Bündnis Gegen Rechts (BGR) aus Leipzig. Das Bündnis hatte sich im April 1996 konstituiert und legt den Schwerpunkt seiner Tätigkeit auf das faschistische Zentrum Muldentalkreis und dessen Hochburg Wurzen. Unter dem Motto „Den rechten Konsens durchbrechen! Kein Fußbreit den Faschisten“ initiierte das Bündnis eine Kampagne und eine Bundesweite Großdemonstration mit dem Ziel, von Leipzig aus gegen die faschistischen Verhältnisse im Muldentalkreis, besonders in Wurzen aktiv zu werden und die Antifaschisten in Wurzen in ihrem ungleichen und alltäglichen Abwehrkampf gegen die faschistische Gewalt und die faschistischen Zustände in Wurzen direkt zu unterstützen.
Denn den Faschisten in Wurzen und im Muldetalkreis war es zwischen 1991 und 1995 gelungen, mit Mitteln von Gewalt, Hass und Angst aus der sächsischen Kleinstadt quasi eine No-Go Area zu machen und ein alltägliches Klima der Angst zu erzeugen. Dabei konnten sich die Nazis der stillschweigenden Zustimmung und dem Wohlwollen der Mehrheit der Wurzener Bevölkerung erfreuen und gewiss sein.
Das Bündnis gegen Rechts wurde wesentlich durch die Linksradikalen Antifa-Zusammenhänge aus Leipzig getragen und von Linksradikalen und Antifa-Zusammenhängen aus dem ganzen Land unterstützt. Zwar wurden auch Parteien- und Zivilgesellschafts-VertreterInnen in das Bündnis eingebunden, sie waren aber zu keiner Zeit in der Lage, dem Bündnis ihren Stempel aufzudrücken bzw. es parteipolitisch zu missbrauchen.
Letztendlich gelang es dem BGR aber nicht, den faschistischen Konsens im Muldentalkreis und in Wurzen aufzubrechen. Zwar sorgten die Aktionen des BgR für einen öffentlichen Diskurs, für mehr zivilgesellschaftliches Engagement und zwischenzeitlich für einen, teilweise auch spürbaren, Rückgang der Aktivitäten der dortigen Neonazis, jedoch sind der Muldentalkreis und die Stadt Wurzen bis heute Brennpunkt für Neonaziaktivitäten gegen Linke, Andersdenkende und MigrantInnen.
Im Anschluss an die verschiedenen Beiträge kam es zu einer anregenden Diskussion. Diese war sehr geprägt von Aktionsanalysen und selbstkritischen Reflexionen.
So wurde festgestellt, dass in Städten wie Magdeburg und Cottbus das Model von Dresden Nazifrei eins zu eins übernommen und umgesetzt wurde, ohne es auf die eigenen, individuellen, Situation anzupassen, oder zu fragen, ob das dort überhaupt Sinn macht. Nachdem Magdeburg Nazifrei erkannt hat, dass das Konzept auch vor dem Hintergrund der AfD und PEGIDA dort nicht greift, hat man sich dort zur Auflösung entschieden. In Cottbus gab es, mit der gleichen Begründung, zwar auch schon länger Überlegungen sich aufzulösen, es ist jedoch nicht geschehen. Warum blieb leider offen.
Stark bemängelt wurde zudem der Fakt, dass es oft oder meistens keinerlei Vernetzung und Austausch von Gruppen gäbe, die mit ähnlichen oder gleichen Kampagnen-Modellen aktiv sind. Es wird aneinander vorbei gearbeitet, gemachte Erfahrungen werden ignoriert und Fehler anderer Kampagnen wiederholt. Hier wäre eine bessere Vernetzung und gegenseitiger Austausch notwendig und vorteilhaft.
Wie bereits erwähnt, wurde im Verlauf der Diskussion festgestellt, dass sich die bisherigen, antifaschistischen Kampagnen und Aktionsmodelle, für die aktuellen Herausforderungen (wie z.B. AfD, Pegida, etc.), als zunehmend unwirksamer und ungeeigneter herausstellen. Das richtete sich auch explizit an die Berliner Antifagruppe. Deren klassisches Aktionskonzept (Demo, Outing, etc.) sei zwar für klassische, so genannte Stiefel-Nazis, bzw. Freie Kräfte geeignet (Freien Nationalen, NPD, und andere)., aber für die aufgekommenen rechtsextremen, sozialen Bewegungen wie PEGIDA oder rechtsextreme Massenparteien aus der so genannten Mitte der Gesellschaft, wie die AfD, vollkommen ungeeignet und ist wahrscheinlich schon im Ansatz zum Scheitern verurteilt. Hier muss grundsätzlich neu gedacht werden.
In diesem Zusammenhang kam der Einwand aus der Runde, dass bei zum Teil 46 Prozent AfD in Sachsen, nicht mehr von der Mitte der Gesellschaft gesprochen werden könne. Das greife viel zu kurz. Außerdem kann nicht gesagt werden, dass es alles Nazis seien. Folglich muss viel analytischer gefragt werden: Was ist denn da los? Und was die gesamte Linke und mit ihr die Antifa-Zusammenhänge selbst in der Vergangenheit falsch gemacht haben.
Als eine mögliche Antwort auf die Frage, was in der Vergangenheit falsch gemacht wurde, bezog sich eine Diskussionsbeitrag und auf die AktivistInnen in Thüringen. So sei es tatsächlich seit langem versäumt, vermieden und verlernt worden, eine gesellschaftliche, antikapitalistische Kritik von Links zu formulieren bzw. wurde es zu Gunsten des kleinsten gemeinsamen Nenners vermieden.
Eine andere Person bezog sich kritisch auf den so genannten Antifa-Sommer (Aufstand der Anständigen). Dieser sei, so die geäußerte Meinung, der Genickbruch für eine linksradikale antifaschistische Bewegung mit Klassenkritik und Standpunkt, zu Gunsten einer verbürgerlichten, zivilgesellschaftlich eingebetteten NGO-Antifa, mit Staatskohle und Minimal-Konsens: „Schöner leben ohne Nazis“. Diese hätten sich unnötig von „staatlicher Finanzierung“ abhängig und erpressbar gemacht und die eigene Unabhängigkeit einer scheinbaren finanziellen Sicherheit geopfert. Und letztendlich würden diese Gruppen und Initiativen aus Angst vor ökonomischen Sanktionen, die eigenen Positionen aufgeben oder verwässern.
Interessant sind hierbei unübersehbare Parallelen zu den 1990er Jahren, als viele linke Projekte, besonders im Osten, auf Gedeih und Verderb den Verlockungen einer staatlichen Finanzierung durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) erlagen. Dadurch begaben sich die Projekte in eine ökonomische Abhängigkeit, die vielen von ihnen die Existenz kostete, spätestens nach dem diese ABM durch den Staat beendet wurden.
Was sich durch die gesamte Diskussion zog war die Auffassung, dass es von Seiten der Antifa, bzw. von antifaschistischen Zusammenhängen zu PEGIDA und AfD momentan keinerlei Antworten, Lösungs- / Aktionsansätze jenseits klassischer Antifa-Strategien gibt. Neben dem Gefühl einer guten, offenen, konstruktiven und vor allem selbstkritischen Diskussion, war dies am Ende des Panels fast greifbar zu spüren. Die Erkenntnis: So wie bisher kann es nicht mehr weiter gehen.
Ob diesen Erkenntnissen tatsächlich auch Taten folgen werden, scheint fraglich und bleibt abzuwarten.