„Wir wollen Westler sein!“. Aktionskunst wurde Karikatur
Am 1. Juli 1990 trat die so genannte Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der BRD und der DDR aufgrund eines Staatsvertrages in Kraft, der am 18. Mai 1990 von den Finanzministern Weigel (BRD) und Walter Romberg (DDR) unterzeichnet wurde. Diese Währungsunion stellte sich für die meisten DDR-Bürger_innen als großen Einschnitt heraus. Bürger_innen ab 60 Jahren bis zu 6.000 DDR-Mark, Erwachsene bis zu 4.000 DDR-Mark und Kinder bis 14 Jahren bis zu 2.000 DDR-Mark zum Kurs von 1:1 in D-Mark umtauschen. Darüber liegende Sparguthaben wurden zum Kurs 2:1 gewechselt, Schulden wurden ebenfalls halbiert. Löhne, Gehälter, Stipendien, Renten, Mieten und Pachten sowie weitere wiederkehrende Zahlungen wurden zum Kurs von 1:1 umgestellt. Die Guthaben von Personen und Firmen, die nicht ihren Sitz in der DDR hatten, wurden zum Kurs von 3:1 umgetauscht.
Im Vorfeld dieser „Geld und Sparguthaben-Vernichtung“ fand in Ost-Berlin eine Kunstaktion besonderer Art statt, die der telegraph damals dokumentierte.
aus telegraph 8/1990
„Wir wollen Westler sein!“ Aktionskunst am Ostersonnabend gegen 16.30 Uhr auf dem Rosenthaler Platz in Ostberlin wird zur bitteren Karikatur.
In der Ost- und Westpresse wurde wenig über das ebenso peinliche wie bezeichnende Ereignis auf dem Rosenthalter Platz in Ostberlin berichtet. Ein zufälliger Augenzeuge notierte für uns: Als ich dort vorbei kam, zog mich eine Menschentraube an, die sich vor dem Haus Rosenthaler Straße 68 drängelte.
Ich traf dort einen Bekannten, der mir erst einmal erklärte, was eigentlich los war. „Irgendjemand“ hatte in Berlin Flugblätter mit folgender Aufschrift geklebt: „Wir wollen Westler sein!!! Am Samstag, dem 14.4.1990 um 17.00 Uhr 5000,- DM unters Volk Wer Westgeld mag, soll kommen! In Verbindung mit der Herausgabe des Buches „Zur Klärung eines Sachverhalts“ Cafe „Im Eimer“ Der Autor TH/PH“ Ca. zehn vor fünf begann die Menge von rund 500 Personen nervös zu werden, sie drängelten und schubsten und versuchten so sich den vermeintlich besten Platz zu ergattern. Von Kindern bis zu alten Frauen war alles vertreten, die Hände gen Himmel gestreckt, viele nutzten auch extra dafür mitgebrachte Kartons, Tüten oder Schirme, um so viel wie möglich von dem „Goldregen“ zu erhaschen. Es wurden Rufe laut wie: „Rückt die Kohle endlich raus“ und ähnliche Slogans.
Erschreckend waren für mich die Gesichter, die Hoffnung, Glauben und totale Abhängigkeit zeigten. Getroffen haben mich auch Äußerungen von Touristen aus der anderen Republik wie: „Das kann doch nicht wahr sein!“ (Es ist aber leider wahr).
Kurz nach 17 Uhr wurden ungefähr 8-9 Hände voll 1-2 Pfennig- stücke (DM) vom Dach des gegenüberliegenden Hauses geworfen. Gierig wurde sofort nach jedem noch so kleinem Geldstückchen von vielen Händen gegriffen, von denen die stärkste es meist bekam. kurz danach wurde vom Dach die Menge aufgefordert: Wenn ihr noch mehr Westgeld haben wollt, dann ruft: „Wir wollen Westler sein“ – und es wurde gerufen.
Wer dies sah und hörte, mußte sich schämen, daß er ein „Ostler“ war (ich zumindest tat es). Schade fand ich nur, daß diese Aktion keinen richtigen Abschluß hatte. Denn diejenigen, die meiner Meinung nach dabei zum Denken angeregt werden sollten, haben nichts begriffen, (noch nicht mal, daß man sie auf den Arm genommen hatte).
Sebastian Mönnig
P.S.Red.: Unserer Information nach wurden 150 Westmark als Pfennige herabgeworfen. Die Menge wurde dann noch aufgefordert, zu brüllen: „Wir sind manipulierbar!“ Und selbst das riefen einige mit. Ein Teil der Besetzer des Cafe Eimer lehnte die Aktion ab – deshalb blieb das Cafe geschlossen.