„Gundermann“, Spielfilm, Dt.2018, Regie: Andreas Dresen
Von Angelika Nguyen
Bild: Pandora Film Medien GmbH
Die erste Szene spielt 1992. Gundermann sitzt im Wohnzimmer und singt das anrührende Lied von Vater und Mutter und Zuckerbrot, dazu Gitarre. Es ist ein Vorsingen, Gundermann sucht eine neue Band, fünf Leute hören ihm zu, wie er über seine Kindheit singt, seine Ost-Kindheit. Und sie nehmen die Bewerbung an, die Band „Die Seilschaft“ wird gegründet.
Mit dem Band-Namen trat Gundermann die Flucht nach vorn an. Seilschaft assoziierte zu dieser Zeit vor allem die Stasi, die wie nichts anderes das negative Geschichtsbild vom Staat DDR symbolisiert. Gundermann war nämlich selbst Stasi-Spitzel, und auch ziemlich lange, acht Jahre lang ab 1976. Was 1992 noch niemand weiter wusste.
Der Film stellt, auch wenn er noch anderes erzählt, vor allem die Stasi-Mitarbeit Gundermanns und sein eigenes Ringen damit ins Zentrum, wobei seine konkrete Spitzeltätigkeit an den eigenen Freunden praktisch nicht gezeigt wird.
Gundermann wird auf zwei Zeitebenen erzählt: Gundi in den 1970ern und Gundi in den 1990er Jahren. Der Film hat beschlossen, immer hin und her zu springen zwischen den beiden Zeiten und kreiert Gundermanns zwei Lebens-Frisuren (blonder Vokuhila in der DDR und dünn-grauer Zopf in der BRD) als Orientierung, in welcher der Zeiten man sich gerade befindet. Eine gute Idee, denn einerseits bietet es die Möglichkeit, die tiefste DDR mit noch intakten Machtstrukturen zu erzählen, wo ein unzufriedener Kommunist wie Gundermann noch in die Partei wollte, trotz Biermann-Krise, und glaubte, dort etwas zur Verbesserung der Lage beizutragen. Wo in jedem Haushalt noch Blümchentassen standen und die Autobahnen noch frei waren, wo es Zuckerbrot zum Frühstück gab und Sandmännchen am Abend, Ostseesand im Sommer und richtig knirschenden Schnee im Winter, wo noch die blauen HO-Logo-Figuren an den Kaufhallen prangten und wo noch der Tagebau Spreetal mit Gundermann als Baggerfahrer auf Hochtouren lief . Diesen Details widmet der Film viel Aufmerksamkeit und präsentiert sie mit verhaltenem Stolz.
Dem Arbeiter-Kitsch entkommt er nicht ganz. Im Angesicht ausgebaggerter Mondlandschaften, in seinem Fahrerhäuschen, so stellt der Film sich vor, da grübelte und dichtete Gundermann nun. Das inszeniert Dresen gern und oft und wird dabei manchmal etwas pathetisch. Mehr als einmal fährt die Kamera in die Totale und versinkt begeistert im Anblick solcher Authentizität von Körper-Arbeitswelt, wo das wahre Leben im Schichtsystem pulsiert.
Und eben andererseits kann der Film den Bruch des Mauerfalls und der Abschaffung der DDR erzählen, was tief ins Leben der „Leute von Hoy Woy“ und also auch Gundermanns Leben eingriff.
Während die Zeit in der DDR sehr liebevoll und sozial lebendig geschildert wird, mit jenen unzähligen Requisiten von hohem Wiedererkennungswert für Ossis, erscheint Dresens Bild vom Anfang der Neunziger seltsam leer, entrückt. Die Zeit steht still. Kein Jubel, kaum einer redet über Arbeitslosigkeit, keiner über die gerade stattfindenden Pogrome gegen ehemalige Vertragsarbeiter, keiner über Freiheit oder Währungsunion. Alle sind gelähmt, nur Gundermann rennt herum und bekennt überall seine Stasischuld („Ich bin echt nicht stolz auf die Stasi-Nummer.“) – mit der Bitte um Absolution: vor seiner Band, seinen Kollegen im Tagebau, schließlich vor seinen Fans am Ende des Films. Die meisten verzeihen ihm in aller Stille. Richtig reden will Gundermann darüber ohnehin nicht im größeren Kreis, nur mit Conny allein oder mit Volker, der Gundermann seinerseits für die Stasi bespitzelt hat oder, sehr hilflos, gar mit einem Mitarbeiter der Stasibehörde, der ihn mit seiner Täter-Akte überrascht.
Dass Gundermann zugleich Stasi-Täter und Stasi-Opfer war, scheint erst mal absurd, aber es hat seine eigene Logik im System. Gundermann selbst war die Verkörperung seines Satzes: „Nur mit seinem Gegenteil ist etwas wahr.“ und litt daran – dieses Leiden zeigt der Film an einer merkwürdig isoliert wirkenden Figur – immer ist etwas zwischen dem dünnen, grüblerischen Mann mit der großen Brille und der Welt um ihn herum – und gleichzeitig wollte er mit seinen Texten nicht nur im Baggerhäuschen sitzen, sondern in Konzerten den Menschen etwas mitteilen, seinen Zorn und seinen Widerspruch zu dieser Art Sozialismus. Mehr als einmal wird der Film-Gundermann wütend: auf den Tagebauleiter wegen fehlenden Arbeitsschutzes, auf seinen schmierigen Führungsoffizier und auf den CIA, der an Dutzenden von faschistischen Militärputschen beteiligt war.
Eine Stärke des Films ist, dass er es schafft, die Schuld seiner Figur zu erzählen, ohne ihn zu beschädigen. Dass einer nicht nur gut und nicht nur böse war und dass jemand Größe dadurch gewinnen kann, dass er später die Auseinandersetzung darüber sucht und darüber krank wird. Und eine Schwäche des Films ist, dass er das überlebensgroße Ostidol Gundi doch nicht richtig anzugehen sich traut, sondern zum Teil – wenn auch sehr gekonnt – nur bebildert.
Vergnüglich sind seine vielen kleinen Figuren, die von vielen guten Schauspielerinnen und Schauspielern dargestellt werden. Neben der Tour de Force des Hauptdarstellers Alexander Scheer leuchten drei Nebenfiguren aus dem Ensemble heraus: der alte Parteifunktionär und KZ-Überlebende, der Gundermann wieder aus der SED wirft, grandios gefährlich funkelnd gespielt von Peter Sodann; die von einem langen Arbeitsleben im Tagebau zerfurchte, wortkarge Baggerfahrerin Helga, gespielt von Eva Weißenborn – und jener von Gundermann bespitzelte Puppenspieler, der mit dem stechenden, unbestechlichen Blick von Thorsten Merten dem ehemaligen Freund den Verrat bis zum Schluss nicht verzeihen kann. Doch bewegender als die Lieder und als Gundermanns Begrüßung seiner neugeborenen Tochter Linda (mit der extra drapierten Platte „Jazz, Lyrik, Prosa“ von 1964/65 im Regal), bewegender als der Besuch am Sterbebett des fern gewordenen Vaters und auch als die Liebesgeschichte mit Conny ist diese eine Szene gegen Ende des Films, als der Puppenspieler eine selbst gebaute Gundermann-Marionette an ihren Fäden zieht und den ehemaligen Stasi-Täter Gundermann mit dieser kleinen Inszenierung konfrontiert. Scheer-Gundermanns Reaktion darauf ist blass.
Eine Facette neuer Ost-Reflexion bleibt der Film in jedem Fall. Die DDR gibt’s inzwischen zwei Mal: einmal als historischen Fakt und zum Zweiten als Kunststoff und Deutungsfeld. Ist Zonenland oder Revolutionsland oder Stasiland oder Jugendliebeland oder Sehnsuchtsland verlorener Kindheit oder alles zusammen.
„Gundermann“ ist ein Film, den die Fans im Kino beklatschen und zustimmend beseufzen und der bestimmt ein paar deutsche Filmpreise bekommen wird. Andreas Dresen ist eine Marke geworden.
Vielleicht hilft dieser Film ja auch bei der Rückgewinnung der Deutungshoheit von Ost-Künstlern und eines Ost-Publikums über ihre eigene Geschichte. Wo Requisiten nicht bloß Requisiten, sondern auch Selbst-Biographie-Stücke der Filmemacher sind.
Aber „Gundermann“ zelebriert eben auch einen bestimmten eingezäunten DDR-Blick. Seine gewisse Beschränktheit offenbart der Film spätestens im Abspann, wo nur halb noch gehört vom Publikum und doch bedeutend platziert, Gundermanns Lied „Ich mache meinen Frieden“ erklingt.
Und Gundermann, der den ganzen Film über unversöhnlich mit seiner Stasischuld hadert und sich nicht verzeihen kann, verzeiht dafür ausgerechnet den „Glatzen“. Mehr noch, der Text spielt sympathisierend auf den Röhm-Putsch 1934 an, der historisch auch „Die Nacht der langen Messer“ genannt wird: „und auch mit jeder Glatze / die die Welt nicht bessern können, aber möchten/ mit viel zu kurzen Messern in viel zu langen Nächten“ Das problematisiert der Film keineswegs, im Gegenteil, er schafft in seinem letzten Leinwand-Moment so eine Art Weltaussöhnung des Gundermann am Ende seines Lebens, zuletzt gesungen auf dem Konzert 1998 kurz vor seinem Tod, also längst mit der Erfahrung der Pogrome von Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen, den Brandanschlägen von Mölln und Solingen. Das uns was genau sagen soll? Die Nazis – verirrte Weltverbesserer? Ein seltsamer Schluss.