Von Jürgen Schneider
Gerhard Richter: „Verborgene Schätze“ im Kunstpalast Düsseldorf
Derzeit zeigt der Kunstpalast Düsseldorf 122 Werke des Künstlers Gerhard Richter aus privaten Sammlungen im Rheinland. Der Spiegel schreibt: »Der Katalog verschweigt jedoch die Nazivergangenheit eines maßgeblichen Sammlers.« Viele der Exponate in der »Heimatausstellung« Verborgene Schätze sind bislang kaum öffentlich gezeigt worden. Obwohl nicht als Retrospektive angelegt, bietet die Ausstellung einen Überblick über die verschiedenen Phasen der künstlerischen Arbeit Richters. Sie beginnt mit Gemälden aus dem Jahr 1964, als Richter sich nach seinem Weggang aus der DDR (die damals im Westen mit Gänsefüßchen versehen wurde) in Düsseldorf niederließ, und endet mit Werken aus dem Jahr 2017, als Richter altersbedingt Rakel und Pinsel beiseitelegte. Viele der Werke kamen mit den Rahmen in den Kunstpalast, mit denen sie sonst in den guten Stuben oder gar auf der Gästetoilette der Eigentümer hängen. Einige dieser Rahmenungetüme wirken als veritable Werkkiller.
Im Catalogue Raisonné Richters trägt die Nr. 17 von 1964 den Titel ›Schärzler‹. In der Kuratorenprosa heißt es dazu: »Das Bild ist nach Karl Schwärzler benannt, einem Direktor der Ernst Heinkel Flugzeugwerke. Heinkel war in der Zeit des Nationalsozialismus eng in die Kriegswirtschaft des Dritten Reichs eingebunden. Das Unternehmen rekrutierte im großen Umfang Zwangsarbeiter*innen aus den Konzentrationslagern für seine Zwecke. Ein Jagdbomberflugzeug zum Bildmotiv zu erheben war im Jahr 1964 durchaus zwiespältig. Indem Richter aus dem Namen des Direktors den Buchstaben ›w‹ entfernte, lenkte er die Betrachtung ins Groteske.«
Für die Entwicklung von Senkrechtstartern schlossen sich 1959 die Großen der deutschen Luftfahrtindustrie zusammen und bildeten die auf dem Richter-Bild erwähnte Arbeitsgemeinschaft Entwicklungsring Süd (EWR): Bölkow-Entwicklungen (des einstigen Nazis Ludwig Bölkow), Ernst Heinkel
Flugzeugbau und die Messerschmitt AG. Willy Messerschmitt (Jahrgang 1898) gründete bereits 1924 eine nach ihm benannte Firma, die Segelflugzeuge produzierte und bald mit der Bayerischen Flugzeugwerken AG (BFW Augsburg) fusionierte. 1936 erfolgte die Produktionsverlagerung nach Regensburg und die Gründung der Bayerischen Flugzeugwerke Regensburg GmbH als Tochter der BFW AG Augsburg. Baubeginn war wenige Monate später, Schon 1939 wurde das Werk als »NS-Musterbetrieb« ausgezeichnet, im November 1940 in Messerschmitt Regensburg GmbH umbenannt und für seine stark anwachsende Belegschaft ein eigenes Wohnviertel (das »Göringheim«, heute Ganghofer-Siedlung) aus dem Boden gestampft. Um das Werk herum wurden Baracken für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter errichtet. (Siehe: https://www.regensburg-digital.de/regensburg-im-nationalsozialismus-ist-ohne-messerschmitt-kaum-denkbar/14072023/)
Richter sagte einmal: »Mir war wichtig, dass man in meinen Bildern nicht auf irgendwelche Inhalte gestoßen wird. Meist lenkte ich davon ab, dass die Fotovorlagen mitunter auch verhängnisvolle Ereignisse wiedergaben. Es ging mir keineswegs um politische oder familiäre Inhalte, sondern um die Banalität.« (zit. n. Zeit 01/2022)
Lars Eidinger: O Mensch
Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen zeigt im K21 die erste monografische Museumsausstellung des 1976 geborenen Schauspielers und Künstlers Lars Eidinger: eine Auswahl von Fotografien und Videos, die zwischen 2018 und 2024 entstanden. Eidinger fotografiert vor allem mit seinem Smartphone. Sei man mit einer Kamera unterwegs, suche man nach Motiven. Dies sei mit einem Smartphone anders. Er könne sich, so Eidinger weiter, über die Fotografie besser ausdrücken als durch das gesprochene Wort. Er wolle, dass die Betrachterinnen und Betrachter sich bespiegeln, versuchen herauszufinden, wer sie sind. Es gelte, das Unmittelbare wahrzunehmen.
Eidinger zeigt merkwürdige architektonische Details, elende Versuche, die Natur zu domestizieren, Menschen bei seltsamen Tätigkeiten, Obdachlose, die Tristesse unserer Großstädte. Mit »O Mensch« ruft Eidinger mit einem Gedicht von Friedrich Nietzsche die existentielle Dimension der Fotos und Videos auf. Hatte der Kritiker Simon Strauß die Fotos von Eidinger als »Symbolbilder einer erschöpften Zeit« bezeichnet, so fragt Boris Pofalla, ein Schreiber von Springers Welt, was diese Fotos im K21, der Gegenwarts-Abteilung der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, neben Arbeiten von Mike Kelley und demnächst Yuko Ono und Katharina Sieverding zu suchen hätten. Eidinger habe keine Kunstakademie besucht und nicht über längere Zeit Kunst gemacht. Eidinger hatte beim Pressetermin ausgeführt: »Was erzählt die Frage über unsere Gesellschaft, ob ein Schauspieler fotografieren darf? Warum definieren wir uns über Berufe? Was ist das für eine komische Konsequenz einer Leistungsgesellschaft? Ich selbst definiere mich nicht über meinen Beruf. Vielleicht bin ich morgen was ganz anderes.“ In Eidingers Bildern, so Pofalla, erkenne die Direktorin Susanne Gaensheimer »große Empathie und einen sezierenden Realitätssinn« sowie ein »aufrichtiges Bewusstsein für die eigene Brüchigkeit«. Pofalla weiter: »Man sieht bei Lars Eidinger kaum jemals Gesichter, die ja das wichtigste Ausdrucksmittel des Menschen sind. Empathie stellt sich bei Menschen vor allem über Mimik und Gestik her. Fotos, die einen ergreifen, zeigen fast immer Gesichter, hier sieht man eher Haarschöpfe und Hinterköpfe.« Ausgerechnet ein Welt-Schreiber spricht von Empathie, der Schreiber eines hinlänglich als vulgärliberal und empathielos bekannten Blattes. Dort wurde u. a. die Frage aufgeworfen, was einem ein besseres Leben verschaffe, Ellenbogen oder Mitgefühl. Oder die Springer-Schmocks verstiegen sich in die kühne Behauptung, Angela Merkel sei »das Medium der Empathie«.
Mark Dion: Delirious Toys. Die Spielzeugwunderkammer
Der US-amerikanische Installationskünstler Mark Dion, selbst ein obsessiver Sammler, erkundete monatelang die umfangreichen Bestände der Spielzeugsammlung des Stadtmuseums Berlin, die zu den größten ihrer Art in Deutschland gehört. Er entdeckte Wundersames und Wohlbekanntes, das er zunächst im Berliner Museum Nikolaikirche präsentierte. Nun hat er, das Verschwinden analogen Spielzeugs vor Augen, ein famoses begehbares Gesamtkunstwerk, eine Art Wunderkammer für die Bonner Bundeskunsthalle zusammengestellt. Dort finden sich u. a. historische Puppenhäuser, eine Riesentruhe voller Teddybären, eine Pyramide der Tiere, eine Rennbahn mit Fahrzeugen aller Art, also auch solche der flugtauglichen Art, ein Labyrinth aus Brettspielen sowie eine Kriegslandschaft, in der Figuren aus allen Zeiten dem Mordgeschäft nachgehen.
Als Künstler, so Dion, ordne er Dinge nicht nach Chronologie, Material oder ihrer sozialen Bedeutung an. Und er wollte, dass die Spielzeug-Ausstellung weniger didaktisch, sondern eher etwas deliriös und unheimlich ist. Inspiriert wurde er von seinem Sohn, dem Erstklässler Fairfield, für den es völlig akzeptabel ist, wenn Batman und ein Pokémon gegen einen Dinosaurier und ein Matchbox-Auto antreten.
Gerhard Richter, Verborgene Schätze. Kunstpalast Düsseldorf, bis 2. Februar 2025
Lars Eidinger, O Mensch. K21 Düsseldorf, bis 26. Januar 2025
Mark Dion, Delirious Toys. Bundeskunsthalle Bonn, bis 9. Februar 2025