Allgemein, Medien, Osten, Politik

„Der Drops muss doch jetzt langsam mal gelutscht sein!“

Der Ost-West-Konflikt war auch Thema auf der Ost-Antifa Tagung in Potsdam

von Dietmar Wolf

TAGUNG AM 1. UND 2. DEZEMBER 2017 IN POTSDAM

TAGUNG AM 1. UND 2. DEZEMBER 2017 IN POTSDAM

Wie auch hier auf telegraph.cc angekündigt, fand am 1./2. Dezember 2017 in Potsdam eine Tagung zum Thema 30 Jahre Antifa in Ostdeutschland statt. Zum Auftakt der Tagung am Freitag, wurde auf einer öffentlichen Podiums-Veranstaltung im Rechenzentrum am Freitag, dem Thema Neonazis in der DDR – Hintergründe antifaschistischen Engagements Ende der 1980er nachgegangen. Samstag fand dann im Freiland Potsdam, mit unterschiedlichen Arbeitsgruppen, die eigentliche Tagung statt, mit Themen, wie: Nazis und Plattenbau, Subkultur Politisierung und Freiräume, Antifa in der Fanszene, Kontinuität und Brüche, Repression, feministischer Antifaschismus, Strategien antifaschistischer Intervention, antifaschistische Kampagnen- und Gedenkpolitik.

Eine weitere Arbeitsgruppe hatte das Thema: „Ob Ost ob West, gemeinsam gegen die Nazipest?!“ In der Ankündigung zur Arbeitsgruppe hieß es dazu wie folgt:

„… Ab 1989 begegneten sich Linke und Linksradikale aus beiden deutschen Staaten. Der linke Aufbruch in der DDR einerseits – vor allem die starke HausbesetzerInnenbewegung – und die flächendeckende rechte Gewalt andererseits, schufen Bezugspunkte zwischen ost- und westdeutschen HausbesetzerInnen und Antifas. Die Begegnung war jedoch fast nie konfliktfrei. Bis heute lassen sich Trennlinien zwischen Linken aus Ost- und Westdeutschland nachvollziehen, immer noch brechen daran Konflikte auf. Wir wollen fragen, welche Bedeutung hatten diese Konflikte für die Entwicklung der Antifa in den letzten dreißig Jahren.

Wir wollen auch fragen, welche unterschiedlichen Analysen und Erfahrungen liegen ihnen zugrunde. Reflektieren wollen wir dabei, welche szeneinternen Diskussionsschemata und Hierarchien die Verständigung zwischen Antifas aus Ost- und Westdeutschland bis heute erschweren und so versuchen, einen Teil zu ihrer Überwindung beizutragen. …“

Da das Angebot der Tagung, wie bereits erwähnt, mit zwölf Veranstaltungen ausgesprochen groß war und über 200 Menschen die Qual der Wahl hatten sich in jedem der drei angebotenen Slots zwischen vier gleichzeitig stattfindenden Panel zu entscheiden, ist es ausgesprochen beachtenswert, dass sich immerhin siebzig Menschen für das Thema Ost/West entschieden haben.

Nach einer kurzen Begrüßung durch die Moderatorinnen und einem Hinweis, dass von dieser Veranstaltung ein Audiomittschnitt gemacht wird, wurden die drei angekündigten „Inputgeber“ begrüßt, vorgestellt und das Wort kurzerhand an diese übergeben.

BesetzerInnenZeitung Nr. 43, vom 26.3.1993, 3. jahrgang

BesetzerInnenZeitung Nr. 43, vom 26.3.1993, 3. Jahrgang

Zunächst redete Andrej Holm. Dieser, doch allgemein eher als Fachmann für Globalisierung, Miete und Wohnen bekannt, war dort allerdings als ehemaliger Ostberliner Hausbesetzer, Mitinitiator der so genannten Ostvernetzungstreffen, sowie als ehemaliger Redakteur und Autor der Ostberliner Zeitschrift telegraph. Andrej Holm beschrieb Ursachen und Gründe, warum es für große Teile der ostdeutschen linksradikalen Zusammenhänge in der ersten Hälfte der 1990er Jahre (1992-1994/1995) notwendig war, sich von der Dominanz und dem „kolonialen Verhalten“ der westdeutschen radikalen Linken in allen Bereichen (Antifa, Infoladen, Antimilitarismus, Anarchismus, 3. Welt) abzugrenzen. Dies gipfelte 1993/94 im Ostvernetzungstreffen, und in der Umwandlung der BesetzerInnenZeitung (BZ), im dritten Jahrgang, in die Zeitung für die besetzte Zone. In Berlin organsierten und mobilisierten Ostberliner Autonome am 1. Mai 1992 für den ausgesprochen ernst gemeinten aber trotzdem satirischen „Singende klingende Ossi-Block“ und nahmen mit 200 Menschen auf der 1. Mai Demo in Berlin Kreuzberg teil. Das führte zu großen Irritation bei vielen Westberliner/Westdeutschen Autonomen. Danach erinnerte Andrej Holm daran, dass es die Ostberliner Autonomen waren, die durch ihre harte Kritik und strikte Ablehnung der fundamental-maoistisch Kleinstpartei RIM dafür sorgten, dass deren Teilnahme erstmals thematisiert wurde und ein Ausschluss der RIM folgte. Dies wiederum brachte die RIM dazu, die 1. Mai-Demo am Startort mit Eisenstangen und Holzlatten abzugreifen und sich endgültig und nachhaltig selbst zu diskreditieren. Letztendlich versuchten Teile, des aus dem Demo-Ostblocks entstandenen, gleichnamigen Diskussionszirkel O.S.T.B.L.O.C.K., ab 1996 bis 1998 eine Definition der Kolonie Ostdeutschland zu entwickeln und das in Form eine eigene Theorie und Handlungspraxis für die Ostdeutsche Linke zu generieren. Letztendlich muss man aber feststellen, dass es dazu nicht gekommen ist und die Hoffnungen im Ansatz stecken geblieben sind.

„Hinter den Kulissen“ 1/1994 – Antifaschistische Recherche-Zeitschrift für Brandenburg

„Hinter den Kulissen“ 1/1994 – Antifaschistische Recherche-Zeitschrift für Brandenburg

Als nächstes referierte Isabella Wohlmann. Sie sprach über die Umland-Antifa und dem Agieren als Ost-West-Berliner Gruppe in der Brandenburger Region der 1990er Jahre. Sie bewertete ihre Arbeit als positiv und erfolgreich. So seien sie dort nicht kolonial eingeritten, sondern stets achtsam und respektvoll an die Gruppen in Brandenburg herangetreten.  Statt vorgefertigter Schema F – Konzepte boten sie den Gruppen vor Ort, Unterstützung und Solidarität an. Sie berücksichtigten stets individuell, die Gegebenheiten in den jeweiligen Orten und Städte. Ganz im Gegensatz zur AAB0, die versucht, zur gleichen Zeit die Brandenburger Gruppen dogmatisch in ihr Organisationskorsett zu pressen und „denen dabei die Luft zum eigenständigen atmen genommen haben“. Hier gab es heftige Konflikte zwischen Umland-Gruppe und AAB0. Letztendlich war es logische Konsequenz, dass die AAB0 in Brandenburg scheitern musste. Sie hingegen haben maßgeblich zur nachhaltigen Stärkung vieler Antifa-Strukturen in Brandenburg beitragen können.

Der dritte Beitrag kam von Danielo Starosta, vom Kulturbüro Leipzig. Wenn rhetorisch auch sehr unterhaltend, war was er sagte, doch etwas eigenartig und für viele inhaltlich schwer einzuordnen. Es ging um seine politisch-sozio-kulturellen Erfahrungen als Mensch, der als Migrant in der DDR und nach der Wende dann im Osten und Westen gelebt, sich dort auch in der Musikszene und aber auch linken Politszene bewegt hat. Dabei versuchte er zu erklären, was seine persönliche und etwas naiv-romantische Definition für Links war, was gut und böse, worauf er Lust hatte und worauf nicht. Es waren gut erzählte Geschichten. Aber es wurde nie so richtig klar, was er eigentlich sagen wollte. Letztendlich müssen sich die Organisatoren des Panels fragen, ob Danielo Starosta thematisch nicht ein Fehlgriff war.

Rote Hilfe Zeitung 4/2016 - "Siegerjustiz - Verfolgung und Delegitimierung eines sozialistischen Versuchs seit 1990"

Rote Hilfe Zeitung 4/2016 – „Siegerjustiz – Verfolgung und Delegitimierung eines sozialistischen Versuchs seit 1990“

Ein vierter Punkt sollte eigentlich der sehr aktuellen Rote Hilfe-Konflikt, um die Ausgabe 4/2016: „Siegerjustiz – Verfolgung und Delegitimierung eines sozialistischen Versuchs seit 1990“ und die damit verbundenen Kritik von Gruppen aus dem Osten, der Abwiegelei und Missachtung durch Bundesvorstand und Rote-Hilfe-Zeitung, sowie letztendlich dem geschlossenen Austritt der Rote Hilfe Gruppe Dresden sein. Da sich aber niemand aus Dresden bereitfand, in diese Arbeitsgruppe zu gehen, wurde das Thema durch die Moderation angesprochen. Das allerdings wurde von diesen viel zu verkürzt und nur ungenügend angerissen, was sich auch in der späteren Diskussion zeigte.

Die Diskussion drehte sich zunächst darum, ob das Ost West-Thema heute überhaupt noch relevant ist. Ein Mensch aus dem Westen, der von 17 Jahre in den Osten gekommen sei, meinte dazu dann auch, dass er schon damals nicht verstanden habe, was das alles soll. Und „… der Drops muss doch jetzt langsam mal gelutscht sein …“ Das sahen einige andere auch so. Allerdings wurde durch einen Großteil der Diskussionsbeiträge deutlich, dass das für viele offensichtlich nicht ganz so der Fall sei. Hier wurde, wie bereits erwähnt, auch mehrmals Bezug auf den Rote-Hilfe Konflikt genommen. Allerdings versäumten es die Moderatoren auch an dieser Stelle, konkreter auf diesen Konflikt einzugehen und die etwas rückwärts gewandte Diskussion mehr in die aktuelle Zeit zu holen.

Karikatur

Bildquelle: telegraph 7/8 1993

Stattdessen machte sich die Diskussion zunächst eher an den Erfahrungen mit Westlinken und der AAB0, in den 1990er Jahren fest. Und an dem Phänomen, dass die ostlinken der 1990er und Anfang/2000er, dass bei diesen, durch ihre der Erfahrungen mit der zentralistisch-poststalinistische DDR, im Osten eher eine Organisations-Phobie Verbreitung gefunden hat, die sich über einen langen Zeitraum nachhaltig verfestigt habe. Zudem wurde schnell klar, dass die Gruppen in dieser Zeit, zum Beispiel wegen der Überpräsenz und alltäglichen Bedrohung durch Faschisten und Nazi-Hools, ganz andere Probleme hatten, als sich um Dinge wie Strukturen, Statuten, Organisationsnamen und -logos zu kümmern. Man sei deshalb aber nie gegen Organisierung oder Vernetzung gewesen. So stellte eine Frau aus Dresden klar, dass sie sich lokal auch immer vernetzt und organisiert hätten, aber eben nicht in große überregionale Organisationen gehen wollten.

Jemand aus der Lausitz erklärte am Beispiel von „Ende Gelände“, dass sich das politisches Agieren dieses Bündnisses in der Lausitz, als überregionaler Organisation, für die kleinen regionalen Gruppen vor Ort nicht ausgezahlt habe. Pfingsten 2016 mobilisierte die „Interventionistische Linke (IL)“, von Berlin aus, so genannten „Ende Gelände“ – Anti-Braunkohle-Proteste, mit Blockaden und Baggerbesetzungen, im Lausitzer Braunkohle-Tagebau. Was passierte dort? Für ein verlängertes Wochenende karrte die IL bis zu 1.000 Aktivisten in die Lausitz. Dort agierte Sie dann, generalstabsmäßig organisiert, politisch spektakulär und Medienwirksam. Es gelang kurzfristig, das öffentliche und mediale Interesse auf die Lausitz und den dortigen Braunkohle-Tagebau zu lenken. Doch als das Wochenende vorbei war, reisten die IL und die 1.000 Aktivisten wieder ab. Die kleinen regionalen Gruppen vor Ort blieben wieder sich selbst überlassen. Da war für sie „Ende Gelände“. Das Ergebnis war tatsächlich eine hohe Presseaufmerksamkeit und spektakuläre Bilder. Doch war die Aktion nur kurzzeitige Wirkung und verpuffte schnell im Tagesgeschäft der medialen Landschaft. Thematisch war diese Aktion in keiner Weise nachhaltig.

Sein Resümee: Eine kleine Gruppe vor Ort ist zwar nicht so spektakulär und kurzfristig erfolgreich, macht aber in kleineren Schritten kontinuierliche Politik vor Ort und kann langfristig erfolgreicher sein als die IL mit ihrer groß angelegten PR-Shows.

Der Fokus der Diskussion wurde in der zweiten Hälfte auf die vermeintlich erfolglosen Versuche verschiedener Westdeutscher Organisationsgründungen, wie zum Beispiel „AAB0“, „IL“, oder „ums ganze“ gerichtet, auch im Osten relevant zu werden. Einer der Moderatoren stellte die Frage, warum derartiges bisher, bis auf kleinere Ausnahmen in Ostdeutschen Großstädten, immer scheitert. Selbst die Ortsgruppen-Bildungen in eben diesen Großstädten, so vermutete der Moderator, seine nur deshalb möglich gewesen, weil Mitglieder westdeutscher Ortsgruppen in den Osten gezogen seien um dort dann eine „Ost-Gruppe“ ihrer Organisation zu gründen. Und er nannte dafür die Gründung der Berliner AABO-Gruppe „AAB“ in den 1990er Jahren und die Dresdener Ortsgruppe von „ums ganze“, im Jahr 2015. Und dies eben mit der Zielsetzung, das Desinteresse und die Ablehnung der ostdeutschen Aktivisten zu umgehen.

Das wurde ausgesprochen kontrovers diskutiert. Ein Mensch der sich selbst als Mitglied von „ums ganze“ vorstellte, bestritt ausdrücklich, dass die Dresdner Gruppe eine reine Westgruppe sei, gäbe es doch mittlerweile auch “drei“ Menschen aus Dresden selbst und dem Dresdner Umland, die Teil dieser Gruppe seien. Allerdings räumte er ein, dass die Gruppengründerinnen aus dem Westen nach Dresden gezogen seien. Dies wollte er allerdings keineswegs als gezielten Kader-Export von „ums ganze“ stehen lassen. Stattdessen habe es sich gefügt, dass sie aus rein persönlichen Gründen nach Dresden gezogen seien und dann dort ihre Organisationsarbeit fortgesetzt hätten.

Letzteres wurde von verschiedener Seite unterstützt und eher dem Glauben, das man eher nicht von einer expliziten, bzw. gezielten Missionierung und Kader-Delegierung durch Organisationen reden kann, Ausdruck verliehen. Für die AAB0 allerdings sprechen die eigenen Protokolle und Strategiepapiere eine ganz andere, sehr deutliche Sprache.

Zeitschrift telegraph 1/98: Kolonie Ostdeutschland

Zeitschrift telegraph 1/98: Kolonie Ostdeutschland

Im letzten Abschnitt der Diskussion wurde nach den Gründen gesucht, warum es Organisationen im Osten so schwer haben. Während immer wieder die Erfahrung aus der DDR genannt wurde, bzw. die massiv schlechten Erfahrungen mit den „Besser-Wessis“ und dem kolonialistischen Verhalten großer Teile der westdeutschen Linken, besonders im Verlauf der 1990er Jahre, wurden auch strukturschwache Ausgangspositionen der Ost-Regionen, durch Wegzug und Flucht in große Städte genannt. Gründe dafür seien zum einen die massive gewaltsame Vertreibung durch Neonazis, als auch die Komponenten einer systematischen, wirtschaftlichen, sozialen, politischen Bevormundung durch die alte BRD nach der Maueröffnung und eine gezielte Deindustrialisierung des Ostens, zu Gunsten westlicher Wirtschaftskonzerne. An dieser Stelle kam noch einmal, auf Nachfrage, der Begriff „Kolonie Ostdeutschland“ ins Spiel.

Einige Menschen formulierten die Auffassung, dass es ihnen Heute gar nicht mehr um einen Ost-West-Konflikt gehen würde, sondern um einen Stadt-Land-Konflikt, bzw. um organisieren vs. Organisation. So würden Aktivisten, die irgendwo in kleineren Orten Brandenburgs aktiv seien und mit Westlern so niemals zu tun hatten und haben, regelmäßig mit einer großen Arrogant von Aktivisten aus Brandenburger Großstädten konfrontiert.  Diese wiederum erlebten und erfuhren dies durch Berliner / Potsdamer Aktivisten.

Letztendlich reichte die Zeit nicht ansatzweise aus. Das Thema konnte gerade einmal angerissen und an der Oberfläche diskutiert werden. Für eine tiefergehende Diskussion waren zwei Stunde viel zu knapp. Dennoch zeigen die hohe Teilnehmerzahl und die rege und konstruktive Diskussion, das das Thema nach wie vor brennt.

Und eins ist klar: Der Drops ist noch lange nicht gelutscht.