Zum Tod des ehemaligen Pfarrers der Ostberliner Zionskirche, Hans Simon
Von David Begrich
Es gibt ein Bild, dass zeigt ihn Ende der 80er Jahre seinem Arbeitszimmer in der Griebenow Straße 15, in Berlin Mitte vor einer Sammlung von Tabakpfeifen. Die Pfeife war sein Utensil, mit dem er in lebhaften Diskussionen gestikulierte, nachdenklich drein blickte, herzlich lachen oder im Zorn erbitterte. Debatten gab es viele zu führen zwischen dem Pfarrer und den jungen Leuten, die im Keller der Zionskirchgemeinde daran gingen, die versteinerten Verhältnisse in der DDR der 80er Jahre zum Tanzen zu bringen. Im September des Jahres 1986 war im Keller des Gemeindehauses die Umweltbibliothek gegründet worden. Hans Simon, seit 1984 Pfarrer in der Zionskirche in Berlin Mitte, hatte sich dafür eingesetzt, der Idee, eine unabhängige Bibliothek und Anlaufstelle der Opposition zu schaffen, in der Kirche Raum zu geben. Seit Anfang der 80er Jahre sammelten sich unter dem Dach der evangelischen Kirche in der DDR oppositionelle Gruppen aus der Friedens- und Umweltbewegung. Anders als heute manchmal dargestellt, empfing die Kirche als Institution die oppositionellen Gruppen nicht gerade mit Begeisterung und offenen Armen. Innerkirchlich führten jene das Wort, die den schwer erarbeiteten Status Quo mit dem repressiven DDR Staat und die damit verbundenen kleinen innerkirchlichen Freiheiten nicht aufs Spiel setzen wollten für Leute, die mit Kirche nicht so sonderlich viel zu tun hatten. Jene, die theologisch und gesellschaftspolitisch begründet dafür plädierten, mit den bunten Vögeln aus den unabhängigen Gruppen auf Augenhöhe zu sprechen, waren in der Minderheit. Hans Simon gehörte dazu. Und setzte sich damit zwischen alle Stühle. Kirchenleitung und SED drangen auf je ihre Weise darauf, dass nicht passieren sollte, was dann geschah: die Umweltbibliothek wurde zum Symbol und zur organisatorischen Schaltstelle der DDR Opposition in der zweiten Hälfte der 80er Jahre. Hier wurden Zeitschriften wie die „Umweltblätter“ produziert, konnte in der DDR verbotene Literatur gelesen werden, fand eine Vernetzung oppositioneller Gruppen statt.
Hans Simon, Jahrgang 1935 wuchs in der Nähe von Zeitz auf. Im ersten Krisenjahr der DDR, dem Jahr des Arbeiteraufstandes am 17. Juni, fuhr die Regierung eine scharfe Kampagne gegen die Kirche, vor allem gegen die „Junge Gemeinde“, denen Kriegshetze, Spionage für die CIA und antikommunistische Propaganda vorgeworfen wurden. Wahr war, dass in vielen Jungen Gemeinden der DDR ein pazifistischer Geist Einzug gehalten hatte, der auf Kollisionskurs mit dem Streben der DDR Führung nach einer eigenen Armee, und einer damit verbundenen Wehrpflicht stand. Wie so viele junge DDR Christen seiner Generation musste Hans Simon die Oberschule verlassen. Sein Abitur konnte am kirchlichen Oberseminar in Potsdam-Hermannswerda nachholen. Im Anschluss daran studierte er an der kirchlichen Hochschule in Berlin-Zehlendorf Theologie. Hans Simon entschied sich für die Arbeit als Pfarrer in der DDR. Dies bot zu Beginn der 1960er Jahre keine sonnigen Aussichten. Wo es ging suchte die DDR die Arbeit der Kirchen zu beschränken. Pfarrer standen, anders als im Westen, in der DDR am untersten Ende der Gehaltsskala, auch wenn sie in bescheidenem Umfang Geld aus dem Westen erhielten. Seine erste Pfarrstelle hatte Hans Simon in Göllingen, im thüringischen Kyffhäuser Kreis. Schon dort hatte die Stasi ihr Auge auf den Pfarrer geworfen, den sie gern anwerben wollte. Doch der lehnte ab. Danach war er lange Jahre in Brielow bei Brandenburg an der Havel tätig.
Im Pfarrhaus der Griebenow Straße gingen Mitte der 80er Jahre, Kirchenleute, Oppositionelle und Künstler ein und aus. Vor dem Haus stand einer der DDR typischen Bauwagen mit Spitzdach. Doch eine Baustelle und Bauarbeiter waren nicht zu sehen. Es war klar, dass von diesem Bauwagen aus die Überwachung der Privat- und Diensträume des Pfarrers stattfand. Gab es mit einem Besucher etwas zu besprechen, was möglichst vor der Stasi verborgen bleiben sollte, war es sicherer, in einem nahegelegenen Park zu gehen.
Ob Mahnwache gegen die Inhaftierung Oppositioneller, ein Überfall von Neonazis aus Ost und Westberlin auf ein Punkkonzert in der Zionskirche oder eine Razzia der Stasi im Keller der Umweltbibliothek: Hans Simon war als Pfarrer der Zionsgemeinde mittendrin. Er vermittelte, verhandelte, stritt und sorgte für einen streitbaren Ausgleich der Interessen zwischen der Gemeinde und den oppositionellen Gruppen. In der Öffentlichkeit der Westmedien hielt er sich zurück. Derart im Mittelpunkt zu stehen, wie es manche seiner oppositionellen Pfarramtskollegen taten, war seine Sache nicht.
Dies mag dazu beigetragen haben, dass seine Rolle als Ermutiger und Ermöglicher von Denk-und Handlungsräumen in der Spät-DDR nach der Wende schnell in Vergessenheit geriet. Nur selten wurde er als Zeitzeuge gefragt. So weit bisher bekannt, hat Hans Simon keine schriftlichen Erinnerungen hinterlassen. Nach seiner Pensionierung lebte er zurückgezogen in Berlin-Zehlendorf. Wer ihn zum Gespräch traf, traf auf einen wachen und kritischen Theologen und Zeitzeugen, der den Weg der Kirche und der Gesellschaft im Osten nach der Wiedervereinigung nicht nur als eitel Sonnenschein betrachtete.
Nach dem Umbruch in der DDR und der Wiedervereinigung zog die Umweltbibliothek in die Schliemann Straße im Prenzlauer Berg. Den Schutz der Kirche, der zuweilen auch eine Bevormundung war, hatte sie nicht mehr nötig.
Die vielfältige Oppositionsszene der DDR und in Ostberlin hat Hans Simon mehr zu verdanken, als vielen heute bewusst sein mag. Am 7. September ist Pfarrer Hans Simon in Brandenburg/ Havel verstorben.