„Verliebt, verlobt, verloren“ Dokumentarfilm von Sung Hyung Cho neu im Kino
von Angelika Nguyen
Ja, es geht um Verliebtheit, um Liebe, Heiratspläne und Trennungsschmerz. Also so weit ganz normal. Nur, dass hier die Trennungen nicht durch die Paare selbst veranlasst wurden, sondern von der Weltgeschichte. Es geht um das Schicksal von koreanisch-deutschen Familien, die die Solidarität sozialistischer Bruderländer überhaupt erst zusammen gebracht, bevor die Spaltung des sozialistischen Lagers sie dann wieder getrennt hatte. Junge nordkoreanische Männer kamen Ende der 1950iger Jahre per Abkommen in die DDR zum Studieren. Wie es dazu in Folge des 2. Weltkrieges kam, zeigt gleich zu Beginn ein lustiger Comic, wo auch mal japanische Bombenabwürfe auf Korea in 3D zu sehen sind. Das lockert nicht nur auf, das bildet auch.
So erhält man eine Art weltgeschichtlicher Totale mit Unterhaltungswert, bevor in die Einzelschicksale gezoomt wird. Dazu schmettert ein ostdeutscher Originalschlager aus der Zeit und wiederholt etwas aufdringlich oft die Zeile „Schön wie ein Märchen“. Die deutschen Frauen der Nordkoreaner und deren Kinder sind die Protagonisten. Die Männer selbst sind fast nur auf Fotos und in Briefen gegenwärtig, ein Film auch über eine große Abwesenheit. Renate ist die Erste: Sie erzählt, wie sie damals als Studienanfängerin im Hörsaal der Universität Jena das erste Mal Menschen sah, „die anders aussahen“ als sie selbst, denn „die DDR sei gar nicht weltoffen“ gewesen. Für die Kamera sitzt Renate noch einmal im leeren Hörsaal, dem Ort, wo alles begann. Dann geht der Film wieder auf Abstand und zeigt im Comic – wieder mit lautem Schlager auf der Tonspur – , wie die schwarzhaarigen Männer in der ersten Reihe sich umdrehen nach ihr und lächeln – einer ganz besonders. Eine Liebesgeschichte beginnt –verheimlicht vor deutschen Behörden und der nordkoreanischen Botschaft – aus gutem Grund. Die Nordkoreaner, das bekamen diese oft zu spüren, waren schließlich nicht zum Vergnügen in dem deutschen Bruderland, sondern um eine Ausbildung zu erwerben – Studium der Chemie zum Beispiel – um als hochqualifizierte Fachkräfte nach Hause zurück zu kehren und dem Vaterland zu dienen. Es folgt Ruth, die nächste Frau. Sie erzählt, wie sie „ihren“ Nordkoreaner kennenlernte, breitet Fotos vor der Kamera aus. Nennt sich selbst ganz nüchtern ins „Beuteschema“ passend, blond und blauäugig, so wie die Asiaten offensichtlich ins Visier der Ruths, Margas und Renates gerieten. Ruth ist da inzwischen ganz unromantisch. Noch vor der Geburt des gemeinsamen Kindes Thomas wurden nämlich alle gemeinsamen Zukunftspläne zunichte gemacht, musste der Mann nach Beendigung des Studiums abreisen, für immer. Nicht mal eine Abschiedsheirat wie bei Renate wurde ihnen erlaubt, und für Ruth war die Vorstellung, ganz im Geist der Zeit, ein uneheliches Kind zu haben, der Inbegriff der Hölle. So war sie mehrfach traumatisiert und zog den Sohn allein groß. Thomas, Jahrgang 1960 oder 1961, ist zunächst sehr verschlossen im Gespräch, während er Bagger fährt, erzählt er von sich am liebsten in der dritten Person. Erzählt von den Kindern im Kindergarten, die ihn „Pappchinese“ nannten und „Schlitzauge“. „Das hab ich nie kapiert, weil wenn ich mich im Spiegel gesehen habe, das war ich, das war kein Schlitzauge.“ Sehr verschlüsselt erzählt Thomas von seinen Fragen an die Mutter, die ihm gesagt hätte, „dein Vater ist der und der“. Thomas ist nüchtern, der Schmerz um den fehlenden Vater, das ist etwas, das er tief in sich verschlossen hat und das ein Filmteam nicht so einfach aus ihm heraus zu holen vermag. Was im Gespräch nicht geht, zeigt der Film später auf einer Reise nach Nordkorea, die Thomas gemeinsam mit einer anderen Protagonistin des Films macht : mit Ina. Ina ist wie er Kind eines Nordkoreaners von damals, sie lernten sich im Zuge der Vernetzung der Kinder von damals – alles begann mit einem Text Renates 2006 im Internet – kennen und agieren im Film wie Geschwister.
Die Geschichte von Ina Sim erzählt das Ausmaß und die Verarbeitung der kindlichen Traumata wohl am eindringlichsten. Zu beobachten, wie Ina von ihrer Kindheit mit väterlicher Abwesenheit, Ausgrenzung, Alltagsrassismus erzählt (in Inas Klasse wurde gern, um sie zu verletzen, das Lied „Und dem Baum ein Kuckuck – Simsalabim – …saß“, weil da ihr koreanischer Name Sim vorkam), wie sie von anfänglicher distanzierter Gefasstheit allmählich zu Tränen kommt und dass sie das zulässt, das bewegt und beeindruckt. Und erreicht seinen Höhepunkt, als Ina Teile des Films als Reisetagebuch selber dreht, weil es dem Filmteam verboten war, mit diesem Thema (und dem südkoreanischen Pass der Regisseurin) in Nordkorea zu drehen. Getarnt als Touristen in einer Reisegruppe, reisen Thomas und Ina ins Land ihrer Väter und verfolgen die mehr als kargen Spuren. Die Todesnachricht, die Ina noch vor Reiseantritt erreichte, enthielt weder Adresse noch Biographie. So sei der Bahnhof von Pjöngjang, berichtet Ina, der einzige koreanische Ort, von dem sie mit Sicherheit weiß, dass ihr Vater dort war. Wo das Grab sei, so Ina mit tränenerstickter Stimme, wisse sie schon nicht mehr.
Das erzählt einen Prozess, wie er in den besten Dokumentarfilm-Familien vorkommt. Lange zuvor – seit 2007 – hatte sich Regisseurin Sung Hyung Cho mit ihren Protagonisten getroffen, bevor sie 2013 anfing zu drehen. Vertrauen sei das Wichtigste, sagt sie.
Ethnische Identität, Culture Clash und geteiltes Heimatgefühl – das sind Themen, die die geborene Südkoreanerin und heutige Deutsche Sung Hyung Cho (Jahrgang 1966) von jeher beschäftigten – auch in Deutschland, wo sie ihnen in der Trilogie „Heimatfilme“ konkrete Geschichten gab: „Full Metal Village“ über das Dorf Wacken, in das jedes Jahr Hard Rocker zum Festival einfallen, „Endstation der Sehnsüchte“ über nordkoreanische Frauen, die als Krankenschwestern jung nach Westdeutschland kamen und als Rentnerinnen „heimkehren“ wollen. Und jetzt, als Abschluss „Verliebt, verlobt, verloren“ Für diesen Film hat Cho lange nach einem TV-Sender gesucht, der den Film finanziert. Dem MDR passte das Konzept nicht, die ARD stieg wieder aus, erst der rbb-Sender kam am Schluss der Produktion dazu, zum Glück. Denn der Film berichtet von Ereignissen, die unbedingt zur Geschichte des Sozialismus gehören und nach wie vor verborgen oder verdrängt werden, obwohl oder vielleicht gerade weil sie einen grundlegenden Widerspruch des realen Sozialismus als Auslöser tragischer Lebensläufe zeigen – den zwischen Abschottung und Internationalität.
Die Kinder und die Mütter: der Film erzählt ihre Geschichte als Puzzle. Erst am Schluss wissen wir genau, wer zu wem gehört. Ein Gruppenbild der Protagonisten am Strand, im Off wieder der Schlager von der Märchenliebe.
„Ich dachte immer, ich bin allein.“ sagt Thomas einmal zu Beginn des Films. Das ist er jetzt nicht mehr.
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Foto auf der Titelseite: Copyright Kundschafter Filmproduktion GmbH