Foto zur Glückwunschkarte zum Internationalen Frauentag, 1969, Quelle: Bundesarchiv, BArch DA 5/7378
Interviews Jenz Steiner
Heutzutage kann ich ja meinem Handy die verrücktesten Fragen stellen. Eine strenge Frauenstimme antwortet innerhalb von Sekunden. Auf meine Frage: „Was ist der Frauentag denn heute noch?“ reagierte diese Stimme prompt mit: „Wikipedia sagt: Der Internationale Frauentag, Weltfrauentag, Frauenkampftag, Internationaler Frauenkampftag oder Frauentag ist ein Welttagder am 8. März begangen wird.“ Aha! Danke.
Ich hatte in den letzten Jahren immer mehr das Gefühl, dass ich mein Verhältnis zu diesem Tag einmal neu überdenken muss. Ich gratuliere meiner Mutter und meinen Omas, rufe an, schenke Blumensträuße, schicke Karten. Wahrscheinlich wären sie auch sauer, wenn ich mich nicht melden würde.
Ich mag es nicht, wenn das Leute als „Ostalgie“ abstempeln. Ich ärgere mich darüber, wenn Frauen kein Bewusstsein für den Tag haben und ihn ablehnen oder als DDR-Muttertag bezeichnen.
Deswegen habe ich gestern verschiedene Frauen aus meinem Umfeld dazu befragt.
Ich habe allen dieselben drei Fragen gestellt, teilweise per E-Mail, teilweise via Facebook:
Welche Bedeutung hat der 8. März als Frauentag für Dich persönlich?
Welche Bedeutung hat der Tag generell derzeitig/ noch/ wieder?
Wie steht es um Frauenrechte in Deutschland?
Was alle Befragten eint, sind starke Persönlichkeiten und beeindruckende Lebenswege, die Schnittmengen mit meinem Weg haben und mich in der einen oder anderen Form beeinflusst und geprägt haben.
Einige wollten nicht mit ihrem ganzen Namen oder gar nicht genannt werden. Andere haben nicht geantwortet, also still abgesagt. Welchen anderen Feier- oder Gedenktag muss man so sensibel behandeln? Dass der 8. März im Jahr 2017, noch so ein Reizthema ist, hätte ich nicht gedacht – ein Jahrhundert nach Rosa Luxemburg und Clara Zetkin. Ich lasse alle Antworten unkommentiert im Raum stehen. Ich denke, dass das für mich der richtige Weg ist.
Barbara „Udu“ Uduwerella, Streetworkerin, Gründerin des Vereins Hip Hop Hamburg e.V., Hamburg
Der 8. März ist ein internationaler Frauentag. In Deutschland können wir Ungerechtigkeiten über politische und/oder gewerkschaftliche Initiativen bekämpfen. Das funktioniert in der 3. Welt oft nur unter Lebensgefahr. Es waren Interessengruppen, die für Frauen, die mit Ausländern verheiratet waren, geklagt hatten, damit ihre Kinder die deutsche Staatsangehörigkeit bekamen, wie die Kinder von deutschen Männern, die mit ausländischen Frauen verheiratet waren.
Ebenso wurde die Ungleichheit zwischen nichtehelich geborenen und ehelichen Kindern aufgehoben. Sie sind seitdem mit dem Kindesvater verwandt und erbberechtigt, ebenso beim Unterhalt gleichgestellt.
Einmal an den Wert der Frau zu denken, bringt wenig, kann aber immer wieder ein Einstieg sein, um über Frauenrechte zu reflektieren und um nach weiteren Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Das gilt insbesondere als Thema in Schulen, wo ausländische Schülerinnen im Spannungsfeld zweier Kulturen leben und möglichst beiden gerecht werden sollen. Wichtig ist, dass Frauen sich stärker gewerkschaftlich organisieren, um gleichen Lohn für gleiche Arbeit stärker durchzusetzen. Mit Trittbrettfahrerei erwirbt man keine Rechte und erreicht keine Veränderungen oder Verbesserungen.
Wie steht es um Frauenrechte in Deutschland? Gemessen an den 50er Jahren, als der Ehemann nicht nur das Vermögen der Ehefrau verwalten, sondern auch deren Job kündigen konnte, ist viel erreicht worden. Wer Ungerechtigkeiten feststellt, sollte diese artikulieren, sich Mehrheiten suchen und sie zu beseitigen versuchen. Wer darauf wartet, dass andere Leute sich als Stellvertreter bemühen, wird oft vergebens warten.
Katja Richter, Choreografin, Berlin
Es ist eine Mischung aus: „Ah, es gibt einen Tag, der uns Frauen gehört.“ und gleichermaßen würde ich nicht daran denken, wenn man mir nicht sagen würde, es ist mal wieder Frauentag. Mir sagen solche festgelegten Feiertage nicht zu. Ich mag es, jeder/m, den ich gern mag oder für den/ die Sympathie empfinde, unabhängig von Feiertagen zu zeigen und zu sagen, dass es schön ist, dass sie/er da ist.
Ich erinnere mich noch, das wir im Osten Bilder malten oder Blumen bastelten, die wir Mutti dann übergaben. Der Frauentag ist mir als Kind deutlicher in Erinnerung als der Vatertag. Das liegt vielleicht daran, dass der Vater am Vatertag nicht da und Mutti am Muttertag da war. Ansonsten, finde ich es wichtig, uns Frauen zu stärken, speziell in und für Länder, in denen Frauen nicht mal den Ansatz einer Gleichberechtigung haben. Ob da ein Tag reicht, das stelle ich in Frage.
Ansonsten scheint es ein Tag zu sein, an denen Frauen kurz mal „HALLO!“ sagen dürfen.
Frauenrechte in Deutschland sind für mich wie alle anderen Rechte auch … ein Fass ohne Boden.
Ich habe das Glück und das Privileg, von diesen Rechten nicht Gebrauch machen zu müssen. Ich fühle mich als Frau frei und unabhängig. Ich persönlich fühle mich nicht unterdrückt. Dennoch spüre ich Selbstverständlichkeiten, die Männer mit sich bringen, aber ich bin ein Freund der konstruktiven Kritik und begegne eher Männern mit Verstand.
Ich war viel in Asien unterwegs. Ich bin unendlich dankbar, dass ich als Mensch, als Frau in Berlin aufgewachsen bin, denn ich darf lernen, ich darf denken, ich darf sein. Ich fühle mich vollwertig.
Ansonsten wünsche ich mir nach wie vor, dass die Menschheit begreift, dass beide Geschlechter sich bedingen und es sehr wichtig ist, dass ein jedes gleichwertig anerkannt und geliebt ist.
Karin Subo, selbstständige Bookingagentin, Berlin
Ich muss gestehen, ich hatte ihn lange nicht auf dem Schirm, weil er früher weder in meiner Familie noch in der Schule oder auch im Freundeskreis thematisiert wurde. Und auch generell bin ich niemand, die bestimmten Tagen außergewöhnlich große Bedeutungen beimisst. Doch in Bezug auf den Frauentag finde ich das eigentlich fast schade, weil wir als Mensch und Gesellschaft Anlässe brauchen, um uns daran zu erinnern, dass bestimmte Dinge wie jetzt konkret Frauenrechte, aber auch generell Demokratie, Freiheit etc. nicht selbstverständlich sind.
Auch, wenn wir natürlich in einem Land leben, in dem es eher gut um Frauenrechte steht, ist es natürlich kein Geheimnis, dass wir innergesellschaftlich immer noch recht weit von einer Gleichstellung entfernt sind, weswegen es wohl umso wichtiger ist, dass wir uns regelmäßig daran erinnern, dass da immer noch jede Menge Arbeit zu tun ist. Ich denke, auf der Genderebene und bei unbewussten Wertungen/ Handlungen im Alltag passiert vieles, das ein Ungleichgewicht fördert. Jetzt, wo ich selber Kinder habe, versuche ich, selber noch mehr darauf zu achten, dass mir das selbst möglichst wenig passiert und meine Kinder (Sohn und Tochter) gleichermaßen finden, dass sie alles können und dürfen, was ihr Potential angeht, unabhängig von ihrem Geschlecht. Was ein Recht ist, dass sich in den meisten Teilen unserer Welt und vor allem auch geschichtlich gar nicht von selbst versteht.
Josephine Apraku, Mitgründerin des IDB | Institut für diskriminierungsfreie Bildung, Berlin
Ich habe im letzten Jahr eine der beiden „Black Lives Matter“-Demos mit organisiert, auf der ich zu meiner großen Freude Hand in Hand mit meiner 14-jährigen Schwester demonstrieren durfte. Als Schwarze Frau in Deutschland mache ich spezifische, von Rassismus eingefärbte Sexismuserfahrungen. Das sind Erfahrungen, von denen ich wünschte, meine Schwester bliebe von ihnen verschont. Ich weiß, dass auch sie einiges wird mitmachen müssen. Aber: Ich kann sie darauf vorbereiten, sie darin unterstützen, eine Sprache zu finden, Schmerzliches zu artikulieren und zu verstehen, dass nicht sie das Problem ist. Es ist unsere Gesellschaft, die so durch und durch von Ungleichverhältnissen geprägt ist, dass Diskriminierung zwischenmenschliches Miteinander in persönlichen privaten Beziehungen erschwert, genauso wie den Zugang zu Ressourcen wie Bildung und Arbeit. Ich möchte, dass sie sieht, dass wir Kämpfe mit anderen Frauen* teilen — wenn auch nicht alle — und wir in Diskriminierungserfahrungen und dem Widerstand gegen die sie hervorbringenden Strukturen nicht allein sind.
Für mich ist der 8. März eine Art Feiertag, der mir und meinen Freund*innen Gelegenheit gibt, uns im Widerstand zu vereinen. Das ist quasi unser Kaffeekränzchen. Die Arbeit und den Aktivismus, den wir auf unterschiedliche Weise in diesen Tag stecken, bestimmt aber auch sonst unseren Alltag. Ein großer Teil von den Frauen*, mit denen ich verbunden bin, ist politisch klar feministisch positioniert, das bestimmt unseren Alltag — immer.
Gerade mit Blick auf Menschen mit Fluchterfahrung hat der 8. März aus meiner Sicht eine neue Bedeutung bekommen: Wir können es uns schlicht nicht leisten, unterschiedliche Lebensrealitäten in feministischen Widerstand nicht mit einzubeziehen. Als Schwarze Deutsche Akademikerin sehen meine Sexismuserfahrungen anders aus als die einer weißen Transfrau oder einer Schwarzen Frau mit Fluchterfahrung. Das ist unumgänglich. Auch dass unsere individuellen Perspektiven unterschiedlich und doch begrenzt sind, ist unumgänglich. Das darf aber nicht dazu führen, dass für die spezifischen Kämpfe von Frauen*, die innerhalb der weißen deutschen Mehrheitsgesellschaft besonders marginalisiert sind, kein Platz und keine Zeit ist. Es muss dazu führen, dass wir, die für die Rechte von Frauen* eintreten, in den Austausch gehen, zuhören und unser Selbst- und Weltbild stets kritisch hinterfragen, um für die Rechte aller Frauen* eintreten zu können.
Es gibt in Deutschland viel zu tun. Ein großes Problem besteht darin, dass sich Deutschland in Bezug auf Sexismus, gerade im Vergleich zu anderen Regionen auf der Welt als fortschrittlich wähnt. Das macht die Thematisierung schwierig, denn es gibt scheinbar keine Schieflage, die es anzugehen gilt.
Anikó, Autorin, Berlin
In meinem Herzen fühle ich mich identisch mit Männern und Frauen. Zwar gibt es Unterschiede, nicht nur physisch oder charakterlich. Aber ein Frauentag grenzt aus. Ich benötige hierfür nicht den 8. März. Der Frauentag wurde gemacht, weil es den Männertag gibt. Nur deshalb.
Ich will, dass zu jeder Sekunde klar ist, dass wir uns allen – ob nun Männer, Frauen, Kinder – dass wir uns gleichwürdig und mit liebevollem Respekt begegnen sollten. Tag für Tag. Und wenn es diesen 8. März braucht, um sich dieser Gleichwürdigkeit gewahr zu werden, dann soll er meinetwegen gerne von vielen Menschen – aber dann von Frauen, Männern UND Kindern, also von allen, gefeiert werden!
Ich kenne nicht den historischen Hintergrund der Gründung des 8. März als Frauentag. Ich kann jedoch sagen, dass es noch ein sehr, sehr weiter Weg ist, bis allen klar sein wird, dass wir erst dann alle gleich sind, wenn wir solche Männer- und Frauentage nicht mehr brauchen. In diesen Zeiten leben wir weit mehr als „Mann sein“, „Frau sein“. Wir können beides sein.
Der Männertag scheint eine Art Fest zu sein, wo Männer sich nochmal wie Kinder benehmen können – Bollerwagen, Blumenkranz und Lippenstift von Freundin ausgeliehen. Nur dürfen diese Kinder ganz, ganz viel Alkohol trinken. Das sieht so traurig aus. Aua.
Und was und wie sollen „wir“ Frauen den 8. März feiern? Ich bin da sehr ratlos.
Es geht hier nicht um die Frage, was Frauen erreicht haben und nun endlich dürfen. Denn das hieße, sie erreichen dies und dürfen das, was Männer eh schon machen können. Es geht hier einzig um die Frage, ob wir als Menschen uns als Einheit fühlen. Und wir unser Leben in maximaler Autonomie im Rahmen der Humanität und des Kantschen Imperativs (für beide Geschlechter geltend!) leben. Also – für uns. Nicht für ein Datum. Nicht für das Geschlecht. Sondern für uns als Menschen.
Es müsste einen Tag geben, der heißen sollte: Der Wir-Tag. Klingt doof.
Aber es klingt genau so doof wie ein Männer- oder Frauentag aussieht, nämlich wenn sie sich besaufen, so als ob sie nicht wissen, was sie eigentlich sonst an so einem Tag machen sollen…
Wie steht es um Frauenrechte in Deutschland? Die politisch korrekte Antwort wäre: Frauen haben viel erreicht. Sie dürfen schon seit vielen, vielen Jahrzehnten wählen. Sie dürfen jetzt auch bestimmte Chefposten besetzen. Ganz, ganz toll.
Aber warum verdient eine Lidl-Kassiererin weniger als ihr Kollege? Und warum muss wiederum ein Vater sich rechtfertigen, wenn er gerne Hauspapa sein will, weil seine Frau lieber arbeiten möchte als die Elternzeit zu nutzen? Fragen über Fragen. Antwort: Wir brauchen keine Frauenrechte. Sondern Wir-Rechte. Klingt doof. Aber das Wort „Frauenrechte“ auch.
Frau oder Mann oder beides zu sein, sollte grundsätzlich bedeuten, autonom sein zu können, müssen, dürfen. Anders sieht es für mich aus mit dem Kindertag. Denn Kinder, die oft zu jung und unerfahren und zum Teil schutzlos sind, brauchen definitiv gute Fürsprecher für ihre Rechte. Daher ist der internationale Kindertag wichtig.
Vielleicht ist es ein gutes Zeichen, dass ich den morgigen Tag als Frauentag fast vergessen habe. Denn zurzeit lebe ich ein autonomes Leben inmitten meiner Umwelt. In unserer Familie gibt es keine Unterscheide zwischen Mann und Frau. Das ist ein Stück Freiheit, die ich jedem Menschen wünsche. Vor allem denen, die in großer Unterdrückung und Diskriminierung leben müssen.
Laura Jung, Fotografin, Wissenschaftlerin
Am Frauentag bekomme ich vom Betriebsrat eine Glückwunsch-E-Mail, und alle auf Facebook posten Bilder von Suffragetten. Ich glaube, bei vielen waren Grüße zum Frauentag lange eine etwas leere Geste – nett, aber harmlos, so ein bisschen wie Muttertag.
Dieses Jahr sieht es da etwas anders aus. Mit AfD, Pegida und ihren internationalen Konsorten haben sich jetzt Gruppen Gehör verschafft, die Frauen gerne weiße-Kinder-gebärend am Herd sehen wollen. Das hört sich jetzt plakativ an, ist aber wirklich so – werft mal ein Blick in deren Wahlprogramm. Die AfD will eine „Willkommenskultur für Ungeborene“ schaffen, um so dem (Achtung: race baiting und faschistisch) „Bevölkerungsaustausch“ durch Migration entgegenzuwirken. Außerdem wollen sie Abtreibungsrechte zurückrollen. Es gibt also viel zu tun – Frauentag ist auch Frauenkampftag.
Solange Menschen auf der Flucht ihr Leben riskieren müssen – also solange es keine sicheren und legalen Einreisewege für Geflüchtete nach Deutschland gibt – steht es schlecht um die Frauenrechte in Deutschland. Die Fluchtrouten nach Europa sind für alle Menschen gefährlich, aber besonders Frauen und junge Mädchen werden auf der Flucht oft Opfer sexueller Gewalt. Teilweise werden Menschen zu körperlicher Arbeit und Prostitution gezwungen, um ihre Schlepper zu bezahlen. Nur weil es Frauen mit deutschem Pass in Deutschland recht gut geht, heißt es also nicht zurücklehnen und durchatmen.
Nora Gielke, Drehbuchautorin und Kulturwissenschaftlerin, Berlin
Für mich persönlich ist das ein Tag, an dem ich noch stolzer bin als sonst eine Frau zu sein und ein Tag, an dem ich mich besonders verbunden fühle mit allen Frauen dieser Welt. Es hat etwas so kraftvolles sich vorzustellen, dass alle Frauen ihre Kraft und ihren Mut bündeln und gemeinsam an sich glauben und an noch mehr Veränderung hin zu einer Gesellschaft, die klug mit ihrem stärksten Geschlecht umgeht . In meiner Familie beglückwünschen sich alle Frauen zum Frauentag gegenseitig. Und als mein Opa noch lebte, hat dieser charmante Feminist immer seine Töchter und seine Frau und auch die Enkelinnen feierlich beschenkt mit Blumen und Musik.
Ich bin immer erstaunt, wie präsent er heute wieder ist. Der Frauentag galt längere Zeit, was ich so mitbekam, als ein Überbleibsel aus dem Osten, wie ein Relikt aus einer anderen Zeit. Meine Freunde aus dem Westen feierten eher den Muttertag als den Internationalen Frauentag, dabei ist er doch international und wird weltweit gefeiert.
Frauenrechte…tja, es gibt zu wenig Regisseurinnen und Autorinnen im Film, im Theater und wenn, sind sie gezwungen, härter zu sein als Männer. Manchmal und werden so bitchy. Frauen stehen so sehr unter Druck in vielerlei Hinsicht. Sie müssen immer herausragend sein, um was zu gelten. Die Gesellschaft nimmt den Druck nicht unbedingt. Es ist erstaunlich, wie viele Frauen zum Kinder kriegen tatsächlich in alte Rollenklischees verfallen und damit voll okay sind. Es ist ja auch weniger anstrengend. Aber als Frau ein autonomes Leben führen, ist hart. Man kommt schwer gegen so eingefahrene Lebens- und Denkweisen an.
Lina Ernst, Illustratorin, Berlin
Der Frauentag hat für mich persönlich keinerlei Bedeutung. Kurz dachte ich gerade, dass der Vater- bzw. Männertag immer ein Feiertag ist, aber da ist ja auch Himmelfahrt. Warum liegt der Frauentag nicht auf ’nem schönen Feiertag? Aber grundsätzlich denke ich nicht über den Tag nach.
Angesichts der anhaltenden Ungerechtigkeiten in der Belohnung ist der Tag generell sicherlich ein guter Anlass, dafür erneut Bewusstsein zu schaffen bzw. zu erhalten. Weltweit betrachtet, denke ich, soll jeder für sich bestimmen, wann und wie er aktiv für Frauenrechte eintreten möchte.
Zu Frauenrechten in Deutschland kann ich wenig sagen, vielleicht zu rechten Frauen? Ich fühle mich nie benachteiligt, anders behandelt und/oder bedroht.
Marina Sawranskaja, Literaturwissenschaftlerin, wissenschaftliche Sekretärin des Staatlichen Bulgakow-Museums, Moskau
In mir kämpfen immer zwei Ideen gegeneinander. Einerseits ist es ein Feiertag für die Rechte der Frauen, andererseits ist es für die Mehrheit ein Feiertag der Blümchen und netten kleinen Geschenke. Einerseits gibt der Tag die Gelegenheit für ernsthafte Gespräche, andererseits läuft alles darauf hinaus, dass es ein Feiertag des Frühlings und der Weiblichkeit ist.
Natürlich ist der 8. März ein Relikt der Vergangenheit. Frauen, die weit vom Feminismus entfernt sind, ärgert es, dass sich Männer ihrer nur am 8. März erinnern. Feministische Frauen reizt die Transformation des Feiertags in einen Marketing-Event. (Kauft alles Rosafarbene an diesem Tag und schenkt es den Frauen!).
Mir scheint, das Hauptproblem in Sachen Frauenrechte in meinem Land ist das Problem der häuslichen Gewalt. Nicht nur am 8. März spricht man darüber nicht gern, auch sonst nicht. Darüber hinaus hat meine Regierung Schläge in der Familie legalisiert (obwohl es mir schwer fällt, diese Staatsmacht „meine Regierung“ zu nennen), denn seit dem 2. März ist Gewalt in der Familie nicht mehr Bestand des Strafrechts. Das ist, denke ich, heute das Problem Nummer eins. Das Problem Nummer zwei ist die ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen. Frauen verdienen für dieselbe Arbeit 27 Prozent weniger Geld als Männer.
Anja Pietsch, Fotografin, setzt kulturelle Bildungsprojekte um, Berlin
Der Frauentag erinnert mich immer an meine Kindheit. Im Kindergarten oder in der Schule haben wir immer Bilder gemalt oder gebastelt für unsere Mamas, aber auch für die Frauen aus Patenbrigade. Irgendwie muss ich auch immer an Primeln denken. Wahrscheinlich waren das die Blumen, die dann an die Frauen verschenkt wurden.
Als ich mal zum Frauentag in Moskau war, war ich ziemlich überrascht, wie viel Bedeutung die Menschen dort diesem Tag beimessen. Jede Frau bekommt Blumen geschenkt und der Tag ist medial sehr präsent. Fast jeder kennt dort übrigens Clara Zetkin.
Für mich hat dieser Tag eher eine symbolische Bedeutung. Blumen, Geschenke oder auch Glückwünsche finde ich irgendwie komisch. Es fühlt sich irgendwie seltsam an, wenn man Blumen bekommt, weil man eine Frau ist. Als ob man beglückwünscht wird, dass man schon so lange durchgehalten hat.
Aber trotzdem denke ich, dass solche Gedenktage wichtig sind, weil es uns Abstand zur Routine und dem Alltag ermöglicht, etwas, was dem alltäglichen Leben übergeordnet ist und dadurch erst Sinn verleiht. Ein Tag, der irgendwie den Fokus auf all die verschiedenen Themenfelder, Facetten und Herausforderungen richtet, die zu den verschiedenen Aspekten von Frau sein dazugehören und das hat eine gesellschaftliche Bedeutung, aber auch eine persönliche, indem man die eigene Situation in einem gesellschaftlichen Kontext betrachtet.
Frauen sind meiner Meinung nach in einer schwierigen Positionen. Öffentlich vertreten durch eine Behörde (Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugendliche), die also fast alle Bevölkerungsgruppen vertritt, bis auf die männlichen Singles im Alter von 26-65, erscheint es mir fast lächerlich, Frauenrechte punktuell festschreiben zu wollen, wenn dieses System eine sehr männliche Struktur aufweist. Eine Struktur, die es Frauen generell schwer macht teilzuhaben, geschweige denn aufzusteigen. Natürlich ist es ein Skandal, dass Frauen in den gleichen Positionen wesentlich weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen. Aber ist das nicht auch Teil einer gesellschaftlichen Ungerechtigkeit, die darauf basiert, dass letztlich alles verhandelbar ist.
Sandra, Berlin
Für mich persönlich bedeutet der 8. März als Feiertag nicht viel. Das liegt aber nicht am Thema, sondern daran, dass ich Feiertage generell als zu abstrakt empfinde, als dass ich sie mit irgendeiner Emotion verknüpfen könnte.
Das mag anderen aber anders gehen, deswegen will ich dem Tag seine generelle Bedeutsamkeit natürlich nicht absprechen.
Wie es um die Frauenrechte in Deutschland steht, möchte ich ungern verallgemeinernd beurteilen. Ich persönlich fühle mich in fast allen Bereichen des täglichen Lebens gleichberechtigt und bin dankbar für all die Kämpferinnen und Kämpfer, die diese Freiheiten erstritten haben und noch heute erstreiten.
Ich fühle mich – jetzt und hier – nicht von Männern dominiert, sondern von einer Gesellschaft, in der Demokratie vom Geld demontiert wird. Das mag seinen Ursprung im Patriarchat haben. Ich weigere mich aber, bestimmte Attribute von Persönlichkeit an den Geschlechtern festzumachen. Bin ich deshalb keine Feministin? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Ich finde die Frage falsch. Ich wünsche mir eine Welt, in der sich die Menschheit als Ganzes von ihren selbst geschaffenen Schimären zu befreien imstande ist und Ungleichheiten aller Art abzuschaffen lernt. Was Europa angeht, so finde ich, dass Rassismus und soziale Unterdrückung ein wesentlich schlimmeres Übel sind als die ungleichen Gehälter von Männern und Frauen. Wir sollten das Geld lieber abschaffen, anstatt darüber nachzudenken, wie Frauen mehr verdienen können. Aber vielleicht ist das ein zu hohes Ziel. Ich finde jedenfalls, dass es sich lohnt, darüber nachzudenken. Auch und vielleicht vor allem am 8. März.