aus telegraph 5/1992
Zum (damals) zehnjährigen Bestehen des Anarchistischen Arbeitskreises Wolfspelz in Dresden
Im ersten Teil des Interviews im letzten “telegraph” berichteten Roman und Johanna, wie in Zusammenhang mit einem Aufruf zum Gedenktag an die Zerstörung Dresdens am 13. Februar 1982 aus losen Zusammenhängen von Hippiegruppen ein Kreis von Friedensaktivisten entstand. Die Tendenz einer unabhängigen Basisbewegung, die damals in Dresden, ebenso wie in Jena bestand, wurde immer wieder durch das Angebot der Kirche gebrochen, bitter notwendigen Schutz gegen staatliche Repressionen zu geben. Auch Veranstaltungen schienen nur im Raum der Kirche möglich zu sein, die in der DDR die einzige Institution war, die halbwegs unabhängig vom SED-Regime agieren konnte. Aber die Dresdner Radikalen wollten nicht den Preis zahlen, den die Kirche forderte: Anpassung und Vermeidung von öffentlichkeitswirksamen Aktionen.’ Deshalb wurden sie vom Dresdner Landesbischof Hempel 1985 als “Wölfe im Schafspelz” bezeichnet. Der Kreis nannte sich seitdem “Wolfspelz”. Schon im ersten Teil wurde geschildert, daß die Wolfspelz-Leute in der thematischen Vorbereitung von Aktionen und Werkstätten zunehmend zu anarchistischem Gedankengut fanden.
telegraph: Ich habe immer noch nicht genau verstanden, was Ihr unter Ablehnung von sozialistischen Utopien versteht.
Johanna: Wir sind eigentlich gleich anarchistisch eingestiegen. Irgendjemand hatte ein Bakuninsches Anarchismusmodell ausgebuddelt, Kommunen, die gemeinsam leben und produzieren und untereinander Waren austauschen. Das waren die Vorstellungen, die wir diskutiert haben, ohne das Anarchie zu nennen. Der Begriff Anarchie kam erst im Sommer 1986. Ich lag im Krankenhaus und Roman hat mir “Was tun?” von Tschemi- schewski geschenkt. Das habe ich gelesen und das war das, was ich dachte. Im Vorwort habe ich gelesen, daß Tschemische- wski ein Anarchist war.
Ich dachte, daß ich dann wohl auch eine Anarchistin bin.
Roman: Damit hatten wir endlich den Namen gefunden, für das, was wir empfunden haben.
Johanna: Daraufhin hatten wir im Wolfspelz wieder eine kleine Spaltung, wenn auch nicht so ganz wesentlich. Die Leute, die stark christlich vorgeprägt waren, gingen. Ekki sagte: “Ihr sagt Bakunin, ich sage die Bibel!” Von Bakunin sind wir inzwischen auch wieder weg. Bakunin, Vera Figner und Tschemischewski, das waren damals die ersten Dinge, die wir bekamen. Wir haben zuerst einmal versucht, alles zu lesen, was mit dem Thema zusammenhängt. Damals existierte auch ein Mütterkreis, der sich mit freien Schulen beschäftigte. Wir hatten in der Hohen Tatra einen Lehrer von der Westberliner Freien Schule kennengelemt. Er hat uns Infomaterial geschickt, das komischerweise ankam und wir haben mit ihm Lesungen gemacht. Wir haben auch Material über antiautoritäre Erziehung bekommen und haben im Frauenkreis diskutiert, ob wir einen freien Kindergarten machen können. Wir versuchten, diese Idee sofort zu verwirklichen, was natürlich an keinem Ende klappte. Dann haben wir eine “thematische Meditation” gemacht, ich weiß nicht, ob es das Wort überhaupt gibt. Wir haben Kinderdias gezeigt und dazu einen Vortrag über antiautoritäre Erziehung mit Zitaten, Beispielen und Erlebnisberichten gehalten. Diese Veranstaltungen haben wir dann in Kirchen gemacht. Der Kreis löste sich irgendwann auf, weil sich kein Kindergarten fand, der unsere Ideen verwirklichen wollte.
Das war die Zeit, als wir in immer wiederkehrenden, endlosen Diskussionen Macht und Autorität als das Böse erkannt wurde und vom Kreis der Begriff Anarchie für die eigenen Anschauungen akzeptiert wurde. Wir waren damals natürlich noch völlig pazifistisch.
Im Frühjahr 1986 haben wir – Peter Grimm, ich und andere – dann vergeblich versucht, den Leuten vom DDR-weiten Friedensseminar “Frieden konkret” unsere Machtdiskussion zu vermitteln. Wir haben versucht zu verhindern, daß “Konkret für den Frieden” nach dem Mord an Olof Palme der Witwe ein Beileidstelegramm schickte, einerseits weil es ein Mächtiger war, andererseits weil wir von schwedischen Friedensleuten wußten, daß Olof Palme auch tief im Waffenhandel steckt.
Roman: Es gab endlose Endzieldiskussionen. Wir haben uns mit der Frage nach einer Gesellschaft ohne Geld und mit freien Arbeitsstrukturen beschäftigt. Wir haben festgestellt, daß für uns das Wesentliche nicht Anarchie ist, sondern Anarchismus: Es kommt nicht darauf an, ein Ziel auszumalen, wieder eine neue Utopie in diese Inflation von Utopien hereinzuwerfen, sondern es kommt darauf an, zu leben und einen Prozeß zu gestalten, sich in diesem Prozeß anständig und vernünftig zu verhalten und den Anspruch auf Aktivität nicht aufzugeben.
Johanna: Ganz stark im Vordergrund stand für uns das Vor-Leben. Jeder sollte in dem Bereich, in dem er steht, das tun, was Leute weiterbringt. Eine winzige Sache war beispielsweise eine Gemeinschaftswäscheleine im Haus. Wir wollten versuchen, auf die Menschen, mit denen wir zu tun hatten, gemeinschaftlich einzuwirken. Und die Leute aus unserem Kreis haben das auf Arbeit, in der Schule und zu Hause versucht.
Roman: Es ging um das Begreifen, daß politisches Leben wichtig ist, nicht politische Arbeit. Es kam darauf an, daß es nicht damit getan ist, einmal in der Woche Wolfspelz zu spielen oder alle vier Wochen in einem anderen Kreis. Es kam darauf an, daß du denkst, was du sagst und daß du das, was du sagst, auch wirklich lebst. Weil wir das einfach verkörperten, haben wir unsere politische Papiere an den Arbeitsstellen verteilt und gelesen. Ich habe in einer Firma mit über 1.000 Leuten den “Grenzfall”, die “Umweltblätter” und vieles andere verteilt Ich bekam natürlich Schwierigkeiten und sollte aus dem Betrieb fliegen. Aber die Papiere lagen offiziell auf den Arbeitstischen. Es gab im Betrieb eine Abonnentenliste. Es war einfach normal.
telegraph: Was hat denn die Stasi dazu gesagt?
Roman: Die Stasi hat mich verhört. Die Obrigkeit in meinem Betrieb, dem Zentrum für Mikroelektronik, der Programmiererfirma von Robotron, das waren alles Stasi-Leute. Das ging gar nicht anders. Dort wurde hauptsächlich mit Geräten gearbeitet, die im Westen gestohlen waren. Sie haben immer wieder versucht, mich zu terrorisieren. Gleichzeitig gab es offenbar eine Vorgabe, mich nicht herauszuwerfen. Ich war damals der Beste auf Arbeit und deshalb hatte ich für einen Großrechner die Verantwortung, wäre also normalerweise Schichtleiter gewesen. Da wollten sie dann den “Schichtleiter” in “Master Operater” umbenennen, am liebsten hätten sie den Job “Brühschwein” genannt, aber nicht mehr “Schichtleiter”.
Wir haben dann unter den Leuten, die an diesem Rechner arbeiteten, eingeführt, daß jeder für sich selbst die monatliche Leistungsbewertung macht. Dahinter stand hartes Geld, 200 bis 300 Mark Unterschied. Jeder hat sich selbst eingeschätzt, und wir haben sehr gute Erfahrungen damit gemacht. Es war auch sehr integrativ. Beispielsweise wurde zu mir, weil ich das schwarze Schaf war, ein Schwererziehbarer an die Anlage geschickt, der eigentlich nichts als dumme Sprüche konnte und kein Wort geradeaus geredet hat. Der Typ kam einfach nicht mit dieser Leistungsgesellschaft zurecht. Aber ich denke, er hat bei uns seine Komplexe verloren. Ein ganzer Mensch, konnte vielleicht nie aus ihm werden, aber er konnte sich jetzt annehmen. Ich denke, daß es wichtig war, darauf zu achten, in dem Job zu bleiben und in einer Gesellschaft, wie sie real existiert, sich nicht selbst auszugrenzen.
Wir wollten auf keinen Fall eine Elitegeschichte machen. Deshalb unsere Fixierung auf Dresden, die Ausrichtung auf die betriebliche Arbeit und die Kiezarbeit, wie das heute heißt. Wir wollten Leute in unserer Umgebung rebellisch machen.
Johanna: Ich muß sagen, daß ich auch sehr gute Erfahrungen gemacht habe. Mein Berührungskreis war Mütterkreis, Kinderberatung, wo ich mich sozusagen unter normalen Menschen herumgedrückt habe. Z.B. hat uns die eine Frau, die ich bei der Mütterberatung kennengelemt habe, geholfen, als uns eine Haussuchung drohte. Sie hat die Sachen in ihrem Kinderwagen versteckt und hat sie an Adressen verteilt. Die Leute aus dem Haus haben geklingelt und gesagt, daß die Stasi unten steht. Einmal saß ich mit den Kindern auf dem Hof und die Stasi fragte die Nachbarin, wo ich bin. Sie hat gesagt, daß ich nicht da bin. Die Leute haben natürlich nicht aktiv mitgemacht, sie haben uns aber unterstützt. Einmal kam sogar ein Bulle und sagte uns Bescheid, daß eine Haussuchung kommt. Damit weiß ich bis heute nichts anzufangen.
Roman: Das gab es einfach. Das ist eines der Mysterien dieser DDR, daß es Leute in den protegiertesten Stellungen gegeben hat, die sich auf die andere Seite geschlagen haben. Und es hat Leute gegeben, die haben bei Verhören das Tonband zurückgespult. Es hat Leute gegeben, die haben in Verhörprotokollen ganze Passagen unterdrückt oder Fragen weggelassen.
telegraph: Ich denke, wir sollten wieder in die Ereignisse einsteigen.
Johanna: Ja, 1986 haben wir unter anderem eine Wahleingabe gemacht. Das war ein Riesentext mit einer langen Unterschriftenliste. Mit der Eingabe zusammen haben wir unsere Wahlaufforderungskarten urückgeschickt.
Roman: Die Eingabe bestand aus zwei Teilen. Den ersten Teil konnten sehr viele unterschreiben, er richtete sich gegen das Wahlsystem. Im zweiten Teil hatten wir uns, gutmütig wie wir waren, wirklich einmal Gedanken gemacht, wie man im Sozialismus leben könnte. Es kam so eine Art Rätemodell heraus, mit dem Primat der Entscheidungen in den Wohngegenden, mit kommunalen Entscheidungsprivilegien.
Johanna: Wir haben die Eingabe eingeschickt und am Tag der Wahl eine Wallfahrt nach Wählen gemacht, das ist so ein Ort. Vorher gab es noch einige Unruhe, weil einige von uns zu Wahlhelfern bestimmt wurden.
Roman: Ein paar Leute hatten noch eine Aktion auf der Straße gemacht. Sie sind auf den Altmarkt gegangen und luden ein zum Wahlkarten abgeben. Und einige Leute haben tatsächlich ihre Wahlkarten abgegeben. Das war natürlich schön.
Johanna: Dann gab es das Menschenrechtsseminar in Berlin im November 1986. Dort haben wir das Thema Kinder- und Jugendrechte mit vorbereitet. Wir sind zum Friedensseminar in Meißen gefahren.
Roman: Wir sind zu sehr vielen-Veranstaltungen mit vorbereiteten Themen gegangen und haben versucht, dort etwas zu machen. Nach Tschernobyl sind wir zu Urania-Vorträgen gegangen und haben versucht, dort unsere Standpunkte einzubringen. Wir sind bei Kulturbundveranstaltungen gewesen, haben versucht, eine Menschenrechtsarbeit auf die Beine zu stellen. Zum Tag der Menschenrechte wollten wir eine gemeinsame Fahrt all der Leute an die tschechoslowakische Grenze organisieren, die Reisebeschränkungen hatten. Das ist dieselbe Idee, die später die Berliner mit einer gemeinsamen Flugreise nach Prag hatten. Nur, daß wir kein Medienspektakel machen wollten, sondern versuchen wollten, aus der Sache eine öffentliche Veranstaltung zu machen.
Johanna: Zum Olof-Palme-Marsch durfte man ja wegen des gleichzeitigen Besuchs von Honecker in Bonn zum ersten Mal offiziell eigene Plakate mitbringen. Wir hatten ein Flugi gemacht, in dem stand, daß das, was heute Ausnahme ist, eigentlich politischer Normalzustand werden müßte. Das haben wir von der Empore heruntergeschmissen. Die Emporen waren zugeschlossen, weil sie etwas spitz gekriegt hatten. Da habe ich gelogen und gesagt, der Superintendent Ziemer hätte bestimmt, daß die Emporen offen sind. Der Hausmeister hat aufgeschlossen und Ziemer war dann ganz entsetzt. Am nächsten Tag gingen 500 bis 600 Leute mit eigenen Plakaten zum Theaterplatz, die FDJ-Leute hielten ihre Fahnen davor, damit man das nicht sehen kann.
Roman: Die Zeit wurde dann immer hektischer. Permanent wurden irgendwo irgendwelche Leute verhaftet, wie beispielsweise Du, Wolfgang, im November 1987, und wir haben uns solidarisiert Wir mußten allzuoft oft nur reagieren, was mir gar nicht so gefällt.
Johanna: Ende 1987 hatten wir dann unseren eigenen Skandal. Im September war in Berlin der Überfall von Nazis auf ein Konzert in der Zionskirche. Daraufhin haben wir hier in Dresden die Anti-Nazi- Liga gegründet, und Angelos und ich haben die Flugblätter dazu bei Euch in der Umwelt-Bibliothek gedruckt. Beim Flugblattverteilen in Dresden wurden dann einige Leute erwischt und es gab einen Haufen Verhöre. Ihr habt dann einen, der beim Verhör umgefallen war, in einem Häuschen in der Nähe von Berlin versteckt, der rückte dann aber wieder aus. Dann bin ich zusammen mit Elisa zu Dir nach Berlin gefahren, aber Du warst bereits verhaftet. Ich wurde in der Umwelt-Bibliothek hart angefahren, daß die ganze Sache an Dresden liege, telegraph: Das war natürlich völliger Unsinn und wahrscheinlich ein von Inoffiziellen Mitarbeitern verbreitetes Gerücht, um Verunsicherung zu schaffen. Unsere Verhaftung hatte damit gar nichts zu tun, es war die “Aktion Falle” bei der es der Stasi darum ging, die Zeitschrift “Grenzfall” und die Umwelt-Bibliothek zusammen zu erledigen.
Johanna: Ich nahm in Berlin an der Mahnwache für Euch teil und stand telefonisch mit Dresden in Verbindung. Die Wolfspelz-Leute versuchten währenddessen eine Solidaritätsaktion für Euch auf die Beine zu stellen. Wir haben in der AG Frieden versucht, etwas zu bewegen, ohne Erfolg. Wir haben daraufhin beschlossen, daß wir eine Kirche besetzen. Den Kirchenleuten haben wir gesagt, wenn sie wollen, daß wir verhaftet werden, sollen sie ihre Kirchen geschlossen halten. Wir machen dann eine Aktion auf der Straße.
Roman: Ich habe den Dresdner Landesjugendpfarrer Brettschneider angerufen, der saß in Berlin zusammen mit dem Berliner Stadtjugendpfarrer Hülsemann in einer Sitzung und führte am Konferenztisch seinen privaten Kampf mit dem Staat. Ich habe ihn herausrufen lassen und habe ihm gesagt: “Lieber Harald, ich wollte Dir bloß sagen, daß wir morgen verhaftet werden, weil in Dresden die Solidarfähigkeit der Kirche auf Null gesunken ist. Wir werden unsere Mahnwache auf der Straße machen.” Er wurde hektisch und ich habe aufgelegt. Am nächsten Abend kam er zu uns. Wir haben dann die Mahnwache doch nicht gemacht, weil wir den Anfang vom Neubeginn der Mahnwache in Berlin abhängig gemacht hatten. Dort waren ja mittlerweile einige Forderungen erfüllt worden, anderes war abgewiegelt worden.
Diese Versuche, Solidaritätsaktionen auf die Beine zu stellen, haben aber bei den Leuten persönliche Veränderungen ausgelöst. Superintendent Ziemer beispielsweise hat sich stark verändert. Einerseits waren die Kirchenleute noch ärgerlicher auf uns und konnten noch schwerer mit uns umgehen, andererseits begriffen sie, daß wir es ernst meinen und ernst zu nehmen sind. Und so ist im Endeffekt die Solidarfähigkeit der Leute gewachsen.
Johanna: Das kam dann alles Schlag auf Schlag. Es kamen immer mehr Leute zu Wolfspelz, sodaß wir dann verschiedene Gruppen gebildet haben.
telegraph: Das war ab Januar 1988, als überall die Ausreisewilligen in die Gruppen kamen.
Johanna: Es waren auch Ausreisewillige dabei, das war aber nicht die Masse. Wir haben Gruppen gebildet, eine zum Thema Menschenrechte, eine zur Ökologie, eine zur Kindererziehung, eine zur Nazifrage. Die Arbeit der Menschenrechtsgruppe bestand darin, zu versuchen, sich offiziell anzumelden. Das erwies sich natürlich als unmöglich.
Roman: Naja, ich denke, sie haben damit mehr versucht, sich in diesem Staat abzumelden. Das waren 12 Ausreisewillige. Johanna: Die Gnippen lösten sich leider schnell wieder auf. Die Anti-Nazi-Grup- pe hat einen sehr guten Vortrag gemacht, der bei vielen Veranstaltungen gehalten wurde.
telegraph: Lösten sich die Gruppen im Ergebnis des unentschiedenen Ausgangs der Luxemburg-Affäre im Februar 1988 aus?
Johanna: Diejenigen, die in den Westen gehen wollten, gingen in den Westen. Und andere blieben weg. Wolfspelz ist ja ohnehin eine Gruppe, die schnell wächst oder schrumpft. Heute abend ging es, manchmal kannst du gar nicht mehr treten vor lauter Leuten, dann sind mal wie letzte Woche nur 5 Leute da.
Roman: Das wesentliche an einer solchen Gruppe ist ja, daß eine Integration stattfmdet. Die Dynamik, die bei jungen Leuten leicht in Destruktivität abdriftet, muß ein bißchen dirigiert werden. Es muß sich jemand darum kümmern, daß eine Gruppe funktioniert. Sonst funktioniert sie nicht, jedenfalls nicht unter Menschen, wie wir es sind. Bei aller Anarchie und aller Ungebundenheit muß doch für den Gruppenzusammenhalt gesorgt werden. In einigen der damaligen Gruppen fehlte das.
Johanna: Dann gab es ziemlich viel Streß mit Verhören. Dazu kam, daß Kiste fortwährend Intrigen spann und wir sehr viel Zeit damit vertaten, freundschaftliche Beziehungen zwischen Leuten wieder geradezurücken oder Positionen zu beziehen. Es war eine Zeit von unangenehmem persönlichen Streit.
telegraph: Kiste, der “IMB Raffelt”, war ja 20 Jahre im Dienst der Staatssicherheit. Hat er bis 1988 nichts gegen Euch unternommen?
Roman: Kiste war im großen ganzen bis dahin kooperativ. Kiste war aber, egal welche Funktion er für die Staatssicherheit erfüllt hat, ein Schwein. Er hat mit Johanna und mir Schwierigkeiten gekriegt, und er hat versucht, uns kaputtzumachen. Ich denke, das hat er nicht nur als IMB, sondern auch persönlich versucht.
Johanna: Er hat mit ausnahmslos jeder Frau, die bei ihm auftauchte, versucht zu schlafen und hat gegen jede Frau, bei der er das nicht geschafft hat, eine Hetzkampagne gestartet.
Roman: Er hat im Wissen, daß in Berlin ohnehin wegen dieser Flugblattaffäre schon böse Zungen gegen uns existierten, gegen uns gehetzt. Kiste hat mit seinem Telefon und seinen landesweiten Verbindungen zu Leuten gegen uns gearbeitet. Er erzählte allen, daß Johanna einen Hungerstreik macht. Tom Sello von der Umwelt-Bibliothek kam eigens deshalb nach Dresden und traf Johanna beim Abendbrot an. Aber die Berliner Prominenten hat das Dementi von Tom nicht interessiert, sie hatten von ihrem zuverlässigen Freund Kiste die Information, daß Johanna Hungerstreik macht. Er hat mit diesem Verfahren großen Erfolg gehabt.
telegraph: Ich denke, Ihr könnt das nicht nur als persönliche Aktion werten. Das ist ein eiskalter Zersetzungsplan, der von der Stasi angeordnet wurde.
Roman: An bestimmten Stellen war es sicher auch ein Zersetzungsplan. Klar war, daß Kiste Schallplatten, die vom französischen Fernsehen geschickt wurden, um mit dem Geld Wehrdiensttotalverweigerer zu unterstützen, einfach behalten hat. Er hat gesagt, die Schallplatten sind nicht angekommen. Plötzlich hatte er zwar hunderte französische Schallplatten, aber die hatte er eben von Roland Jahn aus Westberlin gekriegt. Roland Jahn schickte eine Masse Bücher von Wensierski für uns ab und keins kam an. Und Kiste posaunte herum, daß er gerade Geld auf das Konto der Dresdner Friedenskreise eingezahlt habe. Gerade die Leute mit Promi-Neigung, wozu ich Ralph Hirsch oder Bärbel Bohley, Kuli und Kaktus zählen möchte, haben das alle für bare Münze genommen und überhaupt keinen Widerspruch geduldet. Er kannte all diese Promis. Und ein echter Promi braucht einen Günstling, sonst ist er kein Promi. Er ist der Hund der Leute gewesen, die seine Hunde waren. Johanna: Wir hatten auch Probleme mit Euch. Er ließ die “Umweltblätter” für uns abholen und hat sie dann nicht an uns weitergegeben. Und Ihr habt da mitgemacht. Selbst als er dann in Mecklenburg war, lag die Dresdner Aboliste für die “Umweltblätter” in Mecklenburg. Ihr habt unsere “Umweltblätter” an Kistes Leute gegeben und Kiste hat sie dann an seine Günstlinge weitergegeben. Wir haben ewig gebraucht, bis wir genügend “Umweltblätter” für unsere Abos hatten. Als wir dann genügend hatten, wurde die Aboliste geklaut.
Roman: Es blieb uns einfach nichts anderes übrig, als diesen Typen selbst fertig zu machen.
Johanna: Das war für uns eine Überlebensfrage.
Roman: Wir haben ihm hier das Agieren unmöglich gemacht. Wir haben mit ihm um die Dresdner Szene gekämpft. Wir haben ihn überall madig gemacht. Johanna: Von einem, der einen kleinen Teil unserer Akten gelesen hat*, habe ich erfahren, daß Kiste endlose Jammerberichte geschrieben hat. Ich hätte konkret gesagt, daß er ein Stasi-Mann ist und hätte versucht zu beweisen, daß er Bücher und Geld unterschlagen hat, daß er Leute auseinanderbringt und Informationen nicht weitergibt. Wir haben ständig mit Leuten geredet und versucht, zu beweisen, daß Kiste, wenn er nicht von der Stasi ist, jedenfalls alles kaputtmacht,
telegraph: Ihr habt also nichts anderes gemacht, als die Dinge, die Kiste ohnehin tat, öffentlich zu machen.
Johanna: Wir haben uns beispielsweise über die Leute lustig gemacht, die bei ihm gerade Hausdiener machten. Und mit solchen Dingen haben wir ihn sehr schnell geschafft. Er ist dann im Sommer 1988 nach Mecklenburg umgezogen.
Johanna: Nach der Relegierung der Schüler von der Berliner Ossietzky-Schu- le haben wir auch wieder gegen den Widerstand von Kirche und Friedenskreisen Veranstaltungen gemacht. Da hieß es dann wieder, daß die Eltern der relegierten Kinder darum gebeten hätten, daß keine Veranstaltungen gemacht werden. Dann ging diese Scheiße mit den Verhaftungen in Leipzig los, im Januar 1989. Wir haben uns nur noch damit beschäftigt, irgendwelche Protestgottesdienste zu organisieren, mit Pfarrern und Kirchenkreisen zu verhandeln. Einmal waren wir sogar in einer katholischen Kirche.
Roman: Da wimmerten sie dann: “Herr, Herr, erhöre uns, erhöre unseren Protest!” Irgendwelche Leute gingen nach vom, stellten Kerzen hin und salbaderten irgend etwas.
Johanna: Ja, Gott sollte den Herrschenden den Verstand zurückgeben. Ich weiß nicht, wie er das anfangen sollte, telegraph: Das erste Dresdner Ereignis im Jahr 1989 waren dann die Aktionen gegen den Aufbau des Reinstsilizi- umwerkes i,n Dresden-Gittersee? Johanna: Die Gittersee-Aktionen begannen schon im Herbst 1988. Das hat in Gittersee die Kirchgemeinde zunächst vollständig im Gemeinderahmen gemacht. Jeden ersten Sonntäg im Monat wurde eine Veranstaltung gegen dieses Werk gemacht. Das sprengte diesen Rahmen, je mehr Leute das mitkriegten. Die Umweltgruppe Pax hat das früher davon gehört als wir. Jedenfalls haben sie schon mitgemacht, als wir dazu kamen, das war im Juli. Da gingen die Leute zum ersten Mal zum Zaun des Werkes und brachten dort ihre Protestplakate an. Es passierte nichts, weil das ZDF gerade filmte. Wir haben dann im August angeboten, daß wir eine Veranstaltung vorbereiten. Am 6. August gab es am Zaun eine Polizeiaktion und wir wurden abgeräumt. Es folgten schlimme Ordnungsstrafen, auch wegen der Aufnäher, die die Pax-Leute und wir gemacht hatten.
Roman: Im Frühjahr haben wir ein Seminar in der Versöhnungskirche zum Thema “Quo vadis DDR?” gemacht, ein Plattformseminar für die Friedenskreise Dresdens. Schon die Vorbereitung war übergreifend. Es gab eine neue Gruppe, die hieß IDE (“Initiative demokratische Erneuerung”), die Pax-Leute, von denen einige früher im Wolfspelz gewesen waren. Die Werkstatt kam ziemlich gut an, vor allem die Idee, daß wir durch Wahlbeobachter in den Einzel Wahllokalen das tatsächlich Wahlergebnis ermitteln wollten. Dieselben Leute, die diese Werkstatt vorbereitet hatten, haben dann angefangen, diese Wahlauszählung vorzubereiten. Das war ein ziemlicher Erfolg.
Johanna: Die radikalsten Leute aus den verschiedensten Kreisen haben einen Kreis gebildet, der sich traute, auch heiße Sachen zu machen.
Roman: Wir haben eine Reihe von guten Flugblättern gemacht und auch die Wahlauszählung hat geklappt. Es sind nur zwanzig Wahllokale in der Stadt nicht ausgezählt worden. Dadurch rückten die Leute sehr stark aneinander und es wurden immer mehr. Auch die Arbeit der normalen Friedenskreise hat sich politisiert. Zu den Gittersee-Andachten kamen ebenfalls immer mehr Leute und sie versuchten auch, irgendwie die Stimmung noch anzuheizen.
Dann kam “Trommeln für den Frieden” nach dem Massaker auf dem Platz des himmlischen Friedens in Peking. Das haben in Dresden Leute gemacht, die früher zum Wolfspelz gehörten. Sie haben die Kreuzkirche besetzt und zu trommeln begonnen. Ein riesiges Bullenaufgebot umgab die Kreuzkirche, wo getrommelt wurde. Rundherum standen viele Leute und klingelten mit ihren Schlüsselbunden.
Johanna: Jeder, der aus der Kirche herauskam, wurde festgenommen. Der Pfarrer Müller von der Kreuzkirche und die Frau von Superintendent Ziemer haben sich dann bemüht, die Situation zu entschärfen. Sie haben uns aus der Kreuzkirche bis zur Straßenbahnhaltestelle gebracht. Wir sollten auf keinen Fall eine Demo machen, aber dadurch, daß wir so viele waren, waren wir wieder eine Demo. Es war lustig. An der Haltestelle verabschiedeten sich die Pfarrer und sofort kamen die Bullen. Ich hatte Schwein, ich hatte das ganze Material unter der Matratze im Kinderwagen. Ich kam noch in die Straßenbahn. Alle anderen wurden von den Bullen gegriffen. Es gab dann Ordnungsstrafen über Ordnungsstrafen. Aber wie gesagt, es war keine Aktion von uns.
Roman: Das ist, denke ich, nicht zu trennen. Einige Dinge wurden von anderen Gruppen gemacht, einige von uns. Es gehörte in diesem Dresdner Raum alles irgendwie zusammen.
Das Gespräch führte r.l.
* Red: Die Gruppe Wolfspelz bekommt von der Gauck-Behörde ihre Akten nur einzeln und geschwärzt. Wenn sie als Gruppe ihre Akten bekommen wollten, müßten sie eingetragener Verein werden. Eben das wollen sie aber aus Überzeugung nicht.
Beim nächsten Mal:
- gewaltsame Auseinandersetzungen in Dresden im Oktober 1989
- Versagen der DDR-Basisgruppen – Ansätze zu einer Fehlerdiskussion
- Versuche des Kreises, sich im neuen Deutschland einzubringen
- Perspektiven und Perspektivlosigkeiten
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