Von Jürgen Schneider
Stellen Sie sich vor, es ergeht Ihnen wie Mr. M. J. Pack aus New York City: Sie linsen durch ihren Spion und sehen einen Pizzaboten vor der Tür stehen, sie haben aber gar keine Pizza bestellt und schon gar nicht bei einem, der eine Schweinsmaske trägt. Wir aber sind ja gar nicht in New York, sondern in Wien. Stellen Sie also sich vor, Sie bestellen ihre Pizza Napoli, und plötzlich steht der Bundeskanzler vor der Tür. So geschah es an der Donau. Zum Auftakt seiner »Mittelschichtkampagne« tauschte einst der Sozialdemokrat Christian Kern Anzug gegen Pizzaboten-Jacke und lieferte an sechs Kunden der Pizzeria ›That‘s Amore‹ höchstpersönlich aus, denn so die kernige Botschaft: »Real life ist da, wo der Pizzamann wohnt.«
Als nun im Herbst 2019 die Herbstbäume wunderbar koloristisch lächelten, entbrannte in der von Wundmalen der Hoffnungslosigkeit gezeichneten SPÖ, die angesichts ihres Standings eigentlich andere Prioritäten setzen müsste, eine Debatte darüber, ob ein Sozialdemokrat mit einem Premiumfahrzeug in das »Die neue Zeit« betitelte »Zukunftslabor« der Partei rasen oder eine teure Armbanduhr tragen, also den Protzbrocken geben dürfe. Da gab der Ex-Teilzeitpizzabote und Ex-Parteichef Kern wieder Wichtigtuergeräusche von sich und verteidigte das Luxus-Gehabe in der SPÖ. Er machte von der Stusswaffe Gebrauch, twitterte ein Foto von Che Guevara und schrieb: »Eine weltweit respektierte und bewunderte Ikone der Revolution trägt eine Schweizer Präzisionsuhr. Kein Mensch hat deshalb an seinen Motiven und seiner Überzeugung gezweifelt.« Nein, Attentionwhoreism war die Sache des Commandante nicht, er hat sich nicht mit einer »Mittelschichtkampagne« an Wählerinnen und Wähler, ranwanzen wollen. Und Che hat auch keine Verträge mit der Zusage von stattlichen 20.000 Euro im Monat für »Strategie«-Berater und »Rot-Shows« ausgemauschelt, wie es Premiumlenker der SPÖ laut Österreich 24 getan haben sollen – mit dem Ergebnis, dass sich in der Partei »gerade alle gegenseitig umbringen«, wie ein SPÖ-Spitzenfunktionär sich gegenüber diesem Blatt geäußert haben soll. In den Salzburger Nachrichten hieß es, »die Partei scheint in einer politischen Todesspirale gefangen zu sein.« Eine »Can-Do-Ausstrahlung«, wie sie der Ich-Erzählerin im Roman Pixeltänzer von Berit Glanz von ihrem IT-Kollegium bescheinigt wird, ist der SPÖ jedenfalls nicht zu attestieren. Im Falter quackelte allerdings ein Tuppes, die SPÖ müsse nicht radikal neu gedacht werden, wie es deren Chefin Pamela Rendi-Wagner fordere, schließlich habe die Partei die dringlichste Kurskorrektur bereits vorgenommen – wie die ÖVP wolle auch sie die Zuwanderung minimieren.
Ernesto Che Guevara (ohne Armbanduhr), Marché aux puces de Clignancourt, Paris (Foto: JS)
Um Protzarmbanduhrenträger ging es 2017 auch in einem Tagesspiegel-Interview mit dem Berliner Galeristen Michael Schultz, zu dessen Kumpels laut BZ Gerhard Schröder, Joschka Fischer und Wolfgang Joop gehören. Schultz erklärte auf die Frage, ob die Legende stimme, dass man als Galerist die Preise von Uhren runterbeten können müsse – weil man an
der Uhr erkenne, welche Bilder ein Interessent sich leisten könne: »Überhaupt nicht! Vor vielen Jahren auf der Art Basel kam einer an meinen Stand, ein Bergsteiger, mit Kniebundhose und kariertem Hemd. Ich war ein bisschen irritiert, weil sogar noch Schmutzspuren an den Stiefeln zu sehen waren. Wir haben uns über einen Keith Haring unterhalten – und er hat ihn dann gekauft. Für 200.000 Mark oder so. Der Mann war Chef einer großen Privatbank.« Der Banker in der Kniebundhose wird jetzt wohl überprüfen lassen, ob sein Haring ein Haring oder ein »falscher Hering« ist. Denn Schultz wird von der Berliner Staatsanwaltschaft beschuldigt, Kunstwerke mit gefälschten Zertifikaten für Millionensummen an Sammler verkauft zu haben. Andere Werke sollen nach Vorauszahlung schlicht nicht geliefert worden sein. »Günstig gekaufte Gemälde habe Schultz auf echte Meister umpinseln lassen«, wusste das Wiener Gratisblatt Heute. Oder er ließ Gemälde komplett fälschen, wie etwa das Gemälde ›Abstraktes Bild (705-2)‹ (1989) von Gerhard Richter. »Schultz, dessen Galerie seit längerem in den roten Zahlen steckt«, so die Süddeutsche Zeitung, »soll sich bei einem Sammler Geld geliehen haben. Da er den Kredit nicht zurückzahlen konnte, gab er dem Sammler stattdessen das Richter-Gemälde. Der Sammler lieferte es bei Christie’s in New York ein, wo es im vergangenen Mai versteigert werden sollte. Er konnte mit 800.000 Euro bis einer Million Euro dafür rechnen. Zuvor aber bat das Auktionshaus den Leiter des Gerhard-Richter-Archivs der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Dietmar Elger, um Auskünfte und schickte ihm ein Foto des Werks. Elger, der das Originalbild zuletzt 2015 bei einer Ausstellung in Schultz‘ Galerie gesehen und auch fotografiert hatte, erkannte bald, dass es sich bei der New Yorker Version um eine Fälschung handelte.«
Schultz, auf dessen Künstlerliste neben Richter u. a. Georg Baselitz, Helge Leiberg, A. R. Penck, Sigmar Polke, Robert Rauschenberg, Cornelia Schleime und Andy Warhol zu finden sind und der mit dem Motto »Immer on duty, zumindest von Montag bis Freitag« hausieren ging, lässt in Wien »die Angst umgehen« (Heute), weil er regelmäßig bei der Kunstmesse Vienna Contemporary vertreten war. Die Ermittlungen der deutschen Behörden sollen sich deshalb auch auf Österreich erstrecken. In Heute fehlt natürlich nicht der obligatorische Satz: »Es gilt die Unschuldsvermutung.«
Die Galerie des Herrn Schultz legten die Ermittlungsbehörden still, während den Facebook-Seiten des FPÖ-Ehepaars Strache durch seine Parteikameraden der Garaus gemacht wurde. Doch damit nicht genug, auch der Twitter-Account des über das Ibiza-Video1 in Ungnade gefallenen Ex-Parteichefs Heinz-Christian Strache war seinen rechten Kameraden ein Dorn im Auge. Am 21.10. berichtete oe24 allerdings, Strache habe bereits einen neuen Account – »zu Redaktionsschluss zählte der zehn Follower«. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Während Sebastian Kurz (ÖVP) wegen der Regierungsbildung noch sondiert2, »dass die Arschbacken glühen« (Augustin), wurde Philippa Strache am Mittwoch, 23.10., in der konstituierenden Nationalratssitzung »als Mandatarin angelobt«, wie es in der österreichischen Amtssprache heißt. Sie zog allerdings als »wilde Abgeordnete« ein: Obwohl sie bei der Nationalratswahl von der FPÖ auf Platz 3 der Wiener Landesliste gereiht worden war, hatte ihr die Partei die Aufnahme in ihren Parlamentsklub verweigert. Die FPÖ gab am gleichen Tag in einer »Wortspende« (Philippa S.) bekannt, »dass Frau Strache aufgrund der gestern erfolgten schriftlichen Stellungnahme im Rahmen der Ankündigung der Annahme ihres Mandats, die eindeutig parteischädigenden Charakter hatte, aus der Freiheitlichen Partei ausgeschlossen wurde«. In ihrer Stellungnahme hatte Philippa Strache erklärt, die FPÖ habe ihre Diffamierungskampagne gegen sie und ihren Mann »mit Niedertracht inszeniert«, aber sie werde sich nun – ganz hurrapatriotisch – »in den ehrenvollen Dienst ihrer Heimat3 stellen«. Beziehungsweise setzen, in die letzte Reihe des Parlaments nämlich, hinter die Sozialdemokraten, für die Frau Strache einst als Sekretärin in deren Parlamentsklub gejobbt hatte. In oe24 wurde der P.S.-Rauswurf mit den Worten kommentiert, es sei nachvollziehbar, »dass die FPÖler keine mögliche ›Spionin‹ ihres Ex-Chefs im Klub sitzen haben wollen«.
Die Schmocks der österreichischen Medien schreiben oder reden meist nicht von jener Politik, für die Frau Strache steht, sondern von ihrer Vergangenheit als Model und Siegerin eines Schönheitswettbewerbs des Magazins Madonna im Jahre 2007 sowie von ihrer Tierliebe im Dienste der Partei: »Von Sommer 2018 bis Herbst 2019 war Philippa Strache Tierschutzbeauftragte der FPÖ. In dieser Funktion sprach sie sich strikt gegen eine generelle Leinen- und Beißkorbpflicht aus und widersprach damit dem niederösterreichischem FPÖ-Landesrat Gottfried Waldhäusl.« (news.at). Das von der Organisation SOS Mitmensch konstatierte »symbiotische Naheverhältnis«, das in dem finsteren Waldhäusl FPÖ »zu ewiggestrigen, antidemokratischen, antisemitischen und rassistischen Kreisen«, gepflegt wird, bleibt so ausgeblendet.
1) »Schoaf« (dt.: scharf) hatte H.-C. Strache die vermeintliche russische Oligarchennichte auf Ibiza genannt, mit der er ins Geschäft kommen wollte. In dem Pornofilm Ibiza-Oligarchin aus Bad Ischl, der laut Falter nicht mit versteckter Kamera gedreht wurde, will nun eine Frau in einer Villa Politiker zu einem Deal überreden und setzt dabei alle Mittel ein. Einen »Skandal-Porno« nennt der österreichische Hersteller ÖKM den Film, »in dem die geilen Machenschaften der tabulosen russischen Milliardärin Olga Muschikova gezeigt werden. Die heiße Olga umgarnt Politiker, um ihre skrupellosen geschäftlichen Ziele zu erreichen«. Es handele sich um eine Parodie des Ibiza-Skandals, der die heimische Politik in ihren Grundfesten erschüttert habe. ÖKM-Chef Janisch hob gegenüber dem Standard hervor, der Pornostreifen sei »eine der erfolgreichsten Produktionen der letzten Jahre«. Überlassen wir diesen Streifen den Pornoisseuren. Was ist schon die Aufklärung eines Skandals gegen einen Film, in dem man sich an hochkarätigen Schenkeln aufgeilen kann?
Die Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek hat ein Stück zur Ibiza-Affäre geschrieben. Es heißt Schwarzwasser und soll Anfang Februar zur Uraufführung gebracht werden.
In der vom Burgtheater veröffentlichten Inhaltsangabe heißt es: »Eine spanische Insel, ein österreichischer Politiker, eine russische Oligarchennichte: eine toxische Kombination. Denn vor laufender, heimlich installierter Kamera verspricht der Mann der Frau die Herrschaft über die nationale Medien-Landschaft, um die eigene Macht zu stärken. Die heimische Natur verkauft er ihr in seinem dionysischen Rausch gleich mit: Flüsse und Seen könne man gewinnbringend privatisieren, Berge und Täler für den lukrativen Straßenbau nutzen. Als der Plan publik wird, zerreißt es den Politiker samt Regierung. Auch der junge Kanzler fällt, der erst einmal nur kurz im Amt war, aber für viele unverändert als Heilsbringer gilt …« Die Namen der handelnden Personen in Schwarzwasser seien hinlänglich bekannt, »spielen jedoch keine Rolle, denn wie stets geht es Elfriede Jelinek um Grundsätzliches«, heißt es weiter. »Virtuos verknüpft sie Tagesaktualität mit antiken Dramen … hier vor allem Euripides‘ Die Bakchen – und zeigt, wie sich rechtspopulistische Positionen, einem Virus gleich, rasend schnell ausbreiten und sämtliche Lebensbereiche infizieren. Nachhaltig vergiften sie das Klima, gesellschaftlich wie ökologisch, bis die globale Katastrophe droht.«
2) »Eine Mehrheit von fast zwei Dritteln der Österreicher wünscht sich eine schwarz-grüne Bundesregierung. Die Angst vor Haschtrafiken ist offenbar gebannt. Die Sondierungen laufen angeblich gut.« (Falter 43/19, S. 11) Grünen-Chef Kogler musste sich bei seinem Comeback nach zwei Jahren Parlamentsabsenz »geradezu durchbusseln«. Als der FPÖ-Klubchef Kickl sich gegen die Klassifizierung eines Grünen ereiferte, die FPÖ sei rechtsextremistisch, sagte Kogler: »No problem, wir kommen in friedlicher Mission.« (oe 24)
3) Michael Fleischhacker schreibt in seinem Text ›Gegen die Welt‹, der Heimatsbegriff der FPÖ sei rückwärtsgewandt, ab- und ausgrenzend und gemahne an die Blut- und Boden-Ideologie. Dort ist die FPÖ »dahoam«.
In der österreichischen Nachkriegsliteratur habe sich der Erfolg der Heimatschriftsteller fortgesetzt, während jedoch von einer neuen Generation ein Gegenangriff gestartet und aus dem Heimatparadies die Heimathölle geworden sei. Diese neue Generation habe zeigen wollen, »›wie es wirklich war‹, nämlich brutal bis aufs Blut, und zwar im wahrsten Sinn des Wortes. Das ländliche Idyll der abgeschiedenen Höfe bot mit seinen hermetischen Sozialsystemen, in denen eklatante Machtasymmetrien herrschten geradezu Idealbedingungen für Missbrauch aller Art.« (Michael Fleischhacker, Gegen die Welt, in: Addendum, Nr. 8, 2019, S. 14)
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