Kultur, Politik

»Willkommens
kultur« am Münchner Hauptbahnhof

von Jürgen Schneider

Münchner_Hauptbahnhof
Foto: Richard Huber, Münchner Hauptbahnhof, Wikipedia, Lizenz CC BY-SA 3.0

Ungefähr zur gleichen Zeit, als am gestrigen Sonntagabend die Deutsche Bahn bekannt gab, sie unterbreche auf Weisung der Bundesbehörden ab sofort den Zugverkehr von und nach Österreich bis Montag morgen um 6.00 Uhr, soll im Münchner Hauptbahnhof in der Nähe des Infopoints ein Bombenspürhund angeschlagen haben. Dies, so hieß es in Medienberichten, habe sich um 18.05 Uhr zugetragen.

Um 18.36 Uhr kommt der voll besetzte EC Bologna-München auf Gleis 11 des Münchner Hauptbahnhofs an, also exakt ein halbe Stunde, nachdem der Bombenspürhund angeschlagen haben soll. Warum lässt man einen Zug in den Bahnhof einfahren, wenn doch die Gefahr einer Bombenexplosion besteht? Warum wurde der EC nicht bereits am Bahnhof München-Ost an der Weiterfahrt gehindert?

Die aus dem EC ausgestiegenen Fahrgäste kommen nur ganz langsam Richtung Bahnhofshalle voran. Aus dem Bahnhofslautsprecher tönt die Ansage, aufgrund polizeilicher Ermittlungen seien die Gleise 15 bis 21 sowie die Bahnhofshalle gesperrt. Schließlich wird klar, warum am Bahnsteig 11 kaum ein Vorankommen ist. Beamte der Bundespolizei haben sich am Ende des Bahnsteigs breit aufgebaut und selektieren die Fahrgäste: Menschen mit weißer Hautfarbe dürfen nach links in Richtung Bahnhofshalle weitergehen, während Menschen anderer Hautfarbe rechts stehen bleiben müssen und von Polizisten umstellt werden. Gefragt, ob ihm die Selektion Spaß bereite, antwortet ein Polizist im Brustton der Überzeugung: »Das ist unser Job.«

Die weißen Fahrgäste sehen sich nun allerdings dem Versuch der Polizei sowie des DB-Sicherheitsdienstes gegenüber, durch Absperrung per Plastikband eine fünf Meter breite Schneise durch die Bahnhofshalle ziehen zu wollen. Eine blonde Mitarbeiterin des DB-Sicherheitsdienstes schlägt einen Ton an, der einer Kommandeuse unrühmlicher Zeiten alle Ehre gemacht hätte. Ein alter Herr auf zwei Krücken wird unsanft zur Seite geschubst. Durch die Schneisenbildung werden Fahrgäste in die Richtung des Ortes gedrängt, an der angeblich der Bombenspürhund angeschlagen hat, wovon sie freilich nichts wissen. Ins Freie zu gelangen ist mühsam, weil direkt vor der Bahnhofstür ein großer Polizeitransporter geparkt wurde und so nur schmale Durchgänge zu beiden Seiten des Fahrzeuges bleiben. Eine Auskunft per Lautsprecherdurchsage der Polizei oder der Bahn, aus welchem Grund der Bahnhof geräumt wird, gibt es nicht. Gerüchte, Flüchtlinge hätten im Bahnhof »an etwas manipuliert«, machen die Runde. »Es sind einfach zu viele von denen da«, lässt sich eine Dame vernehmen.

Schließlich öffnet ein Polizist die Hecktür des den Fluchtweg versperrenden Polizeitransporters, redet hektisch etwas von einem Einsatz in Afghanistan und gibt den Blick frei auf einen Delaborierungsroboter, den er in die Bahnhofshalle steuert. Ein Journalist, der das Geschehen fotografiert, wird von einem Polizisten angeherrscht, er solle ihm schleunigst seine Kamera aushändigen. Das Fotografieren der polizeilichen Maßnahme und der Gerätschaften sei nicht erlaubt. Der Journalist erwidert dem Staatsdiener, er denke gar nicht daran, seine Kamera abzugeben, es herrsche doch wohl noch Pressefreiheit in diesem Land. Der Gesetzeshüter erwidert: »Hier nicht.« Auf die Frage »Wo sind wir denn?« antwortet der Untergebene des CSU-Innenministers Herrmann, der nicht einmal ein ordentliche Polizeiuniform trägt: »Wir sind in Bayern. Und wenn es Ihnen hier nicht passt, können Sie ja wegfahren.« Als seien die meisten Menschen nicht just aus diesem Grunde am Bahnhof – sie wollen weg, werden aber mehr als zwei Stunden an der Abfahrt gehindert.

Seit dem angeblichen Anschlagen des Bombenspürhundes ist mehr als eine Stunde vergangen, als die Menschen, die keine eindeutig weiße Hautfarbe haben, umzingelt von Polizisten, aus der Bahnhofshalle heraus- und weggeführt werden. Willkommenskultur am Münchner Hauptbahnhof: Menschen werden bewusst dem Risiko ausgesetzt, Opfer einer Bombenexplosion zu werden. Wenn denn ein Bombenspürhund überhaupt angeschlagen hat. Es wäre nicht das erste Mal, dass sich die Behauptung »Bombe am Hauptbahnhof« als nachrichtendienstlich gesteuerte Provokation zur Erzeugung von Angst in der Bevölkerung erwiese, vor deren Augen man den vermeintlich »Schuldigen« abführt: den Flüchtling. Die Sprache der Münchner Bahnhofsräumung ist die Sprache der Reaktion.