Kultur

Joyce-Irre dieser Welt vereinigt Euch: Heraus zum 16. Juni!

Von Jürgen Schneider

Es ist wieder so weit: Der Bloomsday, der höchste Feiertag der Joyce-Irren dieser Welt, steht bevor. Am 16 Juni wird jener Tag begangen, an dem der grandiose Roman »Ulysses« von James Joyce spielt, das bekannteste nicht gelesene Buch der Weltliteratur, eine – so Joyce – »spaßhaft-geschwätzige allumfassende Chronik mit vielfältigstem Material.« Die »kubistische Collage« (László Moholy-Nagy) erschien in Buchform am 2. Februar 1922 in Paris. Am 16. Juni 1954 versammelten sich in Dublin einige trinkfreudige Wortwerker zu einem Ausflug nach Sandycove zum Martello Tower, zu jener Befestigung an der »rotzgrünen Irischen See« also, in der James Joyce das erste Kapitel seines Ein-Tages-Romans »Ulysses« ansiedelte und in der er ein paar Tage gewohnt hatte.

Anthony Cronin, John Ryan und Patrick Kavanagh am Martello Tower, Sandycove, Bloomsday 1954 (National Library of Ireland, Dublin)

Anthony Cronin, John Ryan und Patrick Kavanagh am Martello Tower, Sandycove, Bloomsday 1954 (National Library of Ireland, Dublin)

Die ersten Bloomsday-Pilger kehrten auf dem Weg zu ihrem Bestimmungsort in so vielen Pubs ein, dass sie sich schließlich kaum noch auf den Beinen halten konnten. Von dem Ereignis ist ein kurzer Film erhalten geblieben.

Für die folgenden Tage zu Ehren Blooms, des Pflastertreters aus dem »Ulysses«, war mit der Pubbekriechung von 1954 ein alkoholgetränktes Zeichen gesetzt.

Weltweit werden auch dieses Jahr wieder allerlei Aspekte des »Ulysses« aufgegriffen und dargeboten werden, nirgendwo aber die in dadaistischer Manier verfasste, in einem Bordell spielende, »Circe«-Episode, in der allerlei Spuren des »viehischen Empire« aufscheinen. In »Circe« wird jedoch weniger das Militärische als vielmehr die Anglisierung der kulturellen Sphäre thematisiert. Der betrunkene Stephen ruft »Ich werd euch schon zeigen, was eine Harke ist« und schlägt im Freudenhaus mit seinem Eschenstock den Kandelaber kaputt, »zerschmettertes Glas und stürzendes Mauerwerk«, und weiß, dass der Kampf um die Unabhängigkeit Irlands im eigenen Kopf beginnt: »Doch hier drinnen steht, daß ich den Priester und den König töten muß.«

Ulysses Erstausgabe 1922

In München wird am 16. Juni unter der Überschrift »Bloomsday – Wenn die Triebe sprießen« erotische Lyrik und Unverblümtes geboten von der bayerischen Poetry-Slam-Meisterin Meike Harms, dem Vollbluttschüttelreimer Ludwig Müller, dem Mitglied der Lach- & Schießgesellschaft Frank Klötgen sowie von dem kraftbayrischen Dichter Anton G. Leitner (Heppel & Ettlich, Feilitzschstr. 12, 80802 München, 16.06.23, 20:00 Uhr).

Seit 2004 wird in Hannover der Bloomsday mit Zeremonienmeister Heiko Postma gefeiert. Auch in diesem Jahr wird ein Kapitel aus dem »Ulysses« vorgelesen, doch anders als bei den Feiern zuvor wird Leopold Bloom diesmal weitgehend von außen beleuchtet. Denn an diesem Bloomsday soll Molly Bloom das Sagen haben. Die Schauspielerin Christiane Ostermayer liest die berühmte Schlusspassage des Romans, das »Penelope«-Kapitel, in dem Molly in ihren Nachtgedanken interpunktionslos nicht bloß den ziemlich ereignisreichen Tag Revue passieren lässt, sondern auch ihre Kindheit in Gibraltar, ihre bescheidene Karriere als Sängerin und immer wieder ihre Ehejahre mit Leopold. Robert Paterson, ein zeitgenössischer Barde aus Belfast, wird dazu Lieder zum Vortrag bringen, darunter ›Love´s Old Sweet Song‹, ein Lied aus Mollys Repertoire (Do., 15.06.23, 19.30 Uhr, Literaturhaus Hannover, Sophienstraße 2, 30159 Hannover). In Bregenz im österreichischen Bundesland Vorarlberg lädt das Kunsthaus zu einem Atelierbesuch bei Gottfried Bechtold mit dem Kunsthausdirektor Thomas D. Trummer. »Nicht ohne Absicht« lautet der Titel einer neuen Serie von Bechtold’schen Druckgrafiken zum »Ulysses«. Nebst einem Gespräch zwischen Künstler und Kunsthausdirektor wird auch die ein oder andere Textzeile aus dem Romanklassiker rezitiert werden (16.06.23, 16 Uhr, Eichholzstraße 5, A-6900 Bregenz). In Salzburg geht es musikalisch zu, es werden neue Werke von Simone Fontanelli, Jakob Gruchmann, Alexandra Karastoyanova-Hermentin u.a. zu hören sein. Der Intendant des Literaturhauses Salzburg, Thomas Friedmann, spricht mit dem Comic-Künstler Nicolas Mahler über dessen Graphic Novel »Ulysses« (Kleines Studio, Mirabellplatz 1, 5020 Salzburg, 17 Uhr).

Bereits am 14.06.23 um 18 Uhr hält der Joyce-Forscher Terence Killeen im Joyce Tower zu Sandycove den Vortrag ›The Space of Ulysses‹.

Zu den vielen Bloomsday-Events in Dublin zählt ein Abend mit Musik, auf die Joyce im »Ulysses« verweist, die auf das Leben in Dublin zu Joyces Zeiten sowie auf den Palestrina-Chor Bezug nimmt, der in diesem Jahr sein 120jähriges Bestehen feiert. (16.06.23, 19.30 Uhr, St. Mary’s Pro-Cathedral, 83 Marlborough Place, Dublin). Der Einakter »Nora and Jim« von Nora Connolly, der Joyce und seiner Lebensgefährtin und späteren Gattin Nora Barnacle gilt, kommt am 17. und 18.06. jeweils um 19.30 Uhr im James Joyce Centre (35 North Great George’s Street, Dublin) zur Aufführung.

Die Bloom’s Tavern (East 58th Street, Manhattan, New York City) feiert in diesem Jahr zum zehnten Mal den Bloomsday. Zusammen mit den Irish American Writers and Artists lädt die New Yorker James Joyce Society zu ihrem Bloomsday-Spektakel ein, das auf der Straße stattfinden wird (16.06.23, 16.30-19.30 Uhr, Dive 106, Amsterdam Avenue/106th St.) Performer vom Elevator Repair Service werden zwei Szenen aus einer »Ulysses«-Adaption darbieten. Außerdem wird aus dem »Ulysses«- gelesen werden, und es gibt T-Shirts sowie zum Ausklang der Veranstaltung Musik von Liz Hanly, der die irische und US-amerikanische Folkmusic von ihrem Vater und Großvater in Boston nahegebracht wurde. Von morgens um 11 Uhr bis abends 20 Uhr richtet das Rosenbach Museum in Philadelphia (2008-2010 Delancey Place), in dem Joyce’sche Manuskripte aufbewahrt werden, sein Bloomsday Festival mit Lesung und Musik aus.