Von Peter Korig
Unter den unzähligen wegen der COVID19-Pandemie abgesagten Veranstaltungen zum 75. Jahrestag der Befreiung Europas von der deutschen Besatzung findet sich die eine oder andere, die besonderer Beachtung wert gewesen wäre. Zu diesen gehört auf jeden Fall eine Denkmalseinweihung, die in der kroatischen Hafenstadt Rijeka, einer der beiden „europäischen Kulturhauptstädte“ des Jahres 2020, am 3. Mai, dem 75. Jahrestag der Befreiung der Stadt durch die Partisaninnen und Partisanen der Jugoslawischen Volksbefreiungsarmee, stattfinden sollte. Im Zentrum der Stadt ragt „der Wolkenkratzer“ empor, ein zwischen 1939 und 1942 nach Plänen eines italienischen Architekten errichtetes modernistisches Hochhaus. Nach der Befreiung der Stadt nutzten die Partisanen dieses markante, weithin sichtbare Bauwerk, um ihren Triumph zu markieren und stellten auf dessen Dach einen großen roten Stern.
Wolkenkratzer in Rijeka 1945, Foto Reddit
75 Jahre später plante der Rijekaer Künstler Nemanja Cvijanović unter dem Titel „Denkmal für das rote Rijeka“ erneut einen roten Stern an dieser Stelle aufzubauen. Errichtet als Stahl-Beton-Konstruktion sollte der Stern seine Farbe durch 2.800 in seine Oberfläche eingelassene Bruchstücke farbigen Glases erhalten. Diese 2.800 Glasscherben verweisen einerseits auf die 2.800 bei den Kämpfen um Rijeka gefallenen Partisaninnen und Partisanen und andererseits auf den Umstand, dass viele Denkmäler für den antifaschistischen Befreiungskampf in Kroatien (wie auch in anderen ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken) in den letzten Jahrzehnten Opfer von Vernachlässigung und nationalistischem Vandalismus wurden.
Partisanen im befreiten Zagreb 1945, Foto: public domain, Wikimedia
Der neue rote Stern von Rijeka würde als „Denkmal für die Erinnerung und die Krise der Erinnerung“ diesen Umgang mit der Geschichte des Landes thematisieren, mit seiner zersprungenen Oberfläche aber auch darauf verweisen, dass ein von Widersprüchen geglättetes, heroisierendes Erinnern an die Partisanen heute kaum mehr möglich ist. Vor allem aber würde dieses Denkmal in seiner Machart, eine stabile Betonkonstruktion mit einer durch Brüche gekennzeichneten, scharfkantigen Oberfläche, sich praktisch selbst verteidigend möglichem Vandalismus entgegenstellen. So verwirft dieses Denkmal symbolisch die Option, dass sich – wie von Nationalisten überall in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens erhofft – durch das Beseitigen von Denkmälern und das Umschreiben von Geschichtsbüchern die Erinnerung an den revolutionären und antifaschistischen Befreiungskampf zum Verschwinden bringen lässt. Das fachte die Empörung der Rechten auf beiden Seiten der Adria an. Denn auch in Italien erregte der „rote Stern über Rijeka“ Anstoß. Vor allem deshalb, weil Rijeka unter dem italienischen Namen Fiume für die italienische Rechte eine geradezu mythische Bedeutung hat. 1919 hatte der nationalistische Dichter Gabriele D´Annunzio mit einem Trupp Freischärler die Stadt besetzt, um sie für Italien zu erobern. Dieses „Unternehmen“ stellte einen wichtigen Ausgangspunkt der faschistischen Bewegung dar. 2019 war das hundertjährige Jubiläum dieser Ereignisse in Italien mit einer pompösen Ausstellung, dickleibigen Publikationen und einer Denkmalseinweihung gefeiert worden. Der Traum vom italienischen „Fiume, Istria e Dalmazia“ wird von neofaschistischen und revisionistischen Organisationen aufrechterhalten. Im kroatischen Parlament hingegen forderte der rechtsradikale Historiker und Politiker Zlatko Hasanbegović, der die Niederlage des faschistischen kroatischen Ustascharegimes 1945 als „die größte Tragödie unserer Nation“ ansieht, die Aufstellung des Kunstwerkes zu unterbinden, allerdings erfolglos. Dabei bezog er sich auf die im September 2019 angenommene „Entschließung des Europäischen Parlaments zur Bedeutung des europäischen Geschichtsbewusstseins für die Zukunft Europas“, die im Geiste des Antitotalitarismus munter „die kommunistische und die nationalsozialistische Ideologie“ gleichsetzt und die die Benutzung der „Symbole totalitärer Regime in der Öffentlichkeit“ ebenso missbilligt wie den Fakt, „dass es im öffentlichen Raum einiger Mitgliedstaaten (z.B. in Parks, auf Plätzen oder in Straßen) noch immer Denkmäler und Gedenkstätten gibt, die totalitäre Regime verherrlichen“. Und tatsächlich liegt eine gewisse Ironie darin, dass, während mittlerweile auch auf EU-Ebene die Verbrechen der deutschen Besatzer Europas mit dem Kampf dagegen gleichgesetzt werden, im Rahmen des unter der Ägide der EU stattfindenden Kulturhauptstadtprogrammes in Rijeka die Erinnerung an den jugoslawischen Antifaschismus revitalisiert werden soll. Denn dieses Programm steht in Rijeka unter dem Motto „Hafen der Vielfalt“. In durchaus explizitem Widerspruch zur Geschichte von Nationalismus und Krieg der letzten Jahrzehnte möchte man damit an die Idee eines friedlichen und multiethnischen Zusammenlebens anknüpfen. Dass dazu auch eine explizit positive Bezugnahme auf die Geschichte des Antifaschismus gehört, wurde während der Eröffnungszeremonie des Kulturhauptstadtjahres am 2. Februar unterstrichen. Während das Partisanenlied „Bella Ciao“ als Opera Industriale aufgeführt wurde, die auch an die Geschichte der Stadt als Hafen und Werftstandort erinnerte, projizierte eine Lichtinstallation die Wörter Toleranz, Respekt, Koexistenz, Frieden, Antifaschismus, Kunst, Europa und Kultur übers Ufer der Adria. Und auch wenn sich das durchaus als kulturindustrieller Akt des Stadtmarketings kritisieren lässt: die Diskussion darüber, wie sich nach Jahrzehnten des Nationalismus, der Gewalt, der Plünderungsökonomie und der Verarmung auf dem Balkan die Gesellschaft menschenfreundlicher einrichten lässt, wird nicht ohne eine Auseinandersetzung mit der Geschichte, den Ideen und den Erinnerungen an den revolutionären antifaschistischen Befreiungskampf der jugoslawischen Partisaninnen und Partisanen auskommen. Zu hoffen bleibt, dass der „rote Stern über Rijeka“ als künstlerischer Beitrag zu dieser Diskussion trotz COVID19 später doch noch realisiert werden wird.
Foto: Wolkenkratzer Rijeka Creative Commons 4.0, Wikimedia