Alle Artikel mit dem Schlagwort: Film

Im historischen Nichts

„Transit“ , Dt. 2018, Regie: Christian Petzold



Von Angelika Nguyen


Der Film kokettiert mit einer Idee: seine Fluchtgeschichte spielt zwar 1941, aber in den Kulissen von heute. Moderne Autos, Graffitis, Polizeiuniformen, das heutige Paris, das heutige Marseille. Das Resultat ist, dass die Geschichte – die Romanvorlage von Anna Seghers spielt 1941 – nirgends mehr verortet ist. In welchem dramatischen Raum also bewegen sich die Flüchtenden, die, wie die Hauptfigur einmal sagt, vor „den Faschisten“ fliehen; von wo kommen sie, was ist ihr Ziel? Eine Schiffspassage nach Amerika? Welches Amerika? Das von heute oder das von damals? Und sollen die durchweg weißen, deutschsprachigen Figuren – vorwiegend dargestellt von unserem Standard-Fernseh-Ensemble – etwa die Flüchtenden aus Syrien, Afghanistan, Marokko, Somalia symbolisieren? Oder fliehen sie vor Angela Merkel?

Der vergessene Whistleblower

„The Post“ („Die Verlegerin“), USA 2017, Regie: Steven Spielberg



Von Angelika Nguyen



Die ersten drei Filmminuten sind vielversprechend. Vietnam 1965. Eine Einheit der US-Army schleicht durch den dämmrigen Dschungel, eine leise Frage „Wer ist denn der Neue?“, und eine Antwort: „ Ellsberg oder so “.

Der Working-Class-Touch

„Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ (USA 2017), Buch/Regie: Martin McDonagh Von Angelika Nguyen Wie lebt ein Mensch, der ein schweres Trauma erlebt hat? Eine Mutter, deren jugendliche Tochter vergewaltigt, ermordet und verbrannt wurde? Und kein Mörder ist gefasst. So ein Mensch kann versteinern oder er kann aktiv werden. Mildred Hayes wird aktiv. Nach sieben Monaten der Trauer um ihre Tochter Angela und der Ergebnislosigkeit polizeilicher Ermittlungen in dem kleinen Ort Ebbing/Missouri ergreift Mildred die Initiative. Hier setzt der Film ein. Am Ortseingang sieht Mildred drei riesige, ewig nicht benutzte Plakatwände, sie steigt aus und begibt sich in die Landschaft mit den drei Billboards. In Mildreds Gesicht bewegt sich nichts, sie guckt nur. Die Größe ihrer Idee erzählt der Film mit anderen Mitteln: Musik und eine totale Landschaftsaufnahme, die die Dimension der Wände zeigt. So pathetisch werden wir in die Geschichte hineingezogen. Aber dann geht es sehr nüchtern weiter: Mildred handelt mit dem widerstrebenden Vermieter, der Ärger im Ort vermeiden will, die Monatsmiete für die Werbewände aus und gibt für jede Wand einen Satz in Auftrag: …

Eine Frau sieht rot

Sie lebt mit ihren geliebten zwei Hunden in einem kleinen polnischen Ort der Sudety, der ehemaligen deutschen Sudeten, nahe der tschechischen Grenze, ist Mitte 60 und ein bisschen verrückt: Janine Duszejko, die darauf besteht, bei ihrem Nachnamen genannt zu werden. Wäre sie vollständig verrückt, könnte die Leute sie ignorieren, aber sie ist durchaus auch von dieser Welt: sie hat früher mal Brücken gebaut und unterrichtet jetzt noch Englisch an der örtlichen Grundschule.



Von Angelika Nguyen

Liebe in den Zeiten der Massentierhaltung

„Körper und Seele“, Ungarn 2017, Buch und Regie: Ildiko Enyedi



Der Film beginnt in großer Stille, in einem Wald. Dort leben eine zierliche Hirschkuh und ein kapitaler Hirsch zusammen, ein Pärchen, sie horchen, trinken, laufen, ungestört und frei, Hufe kratzen, Blätter rauschen.



Von Angelika Nguyen

Das rettende Klopfzeichen

„Die guten Feinde – mein Vater, die Rote Kapelle und ich“, Dokumentarfilm von Christian Weisenborn

Von Angelika Nguyen

Das Problem vieler Deutscher seiner Generation, Sohn eines Nazivaters zu sein, hatte Christian Weisenborn (Jahrgang 1947) nicht. Im Gegenteil, sein Vater, Günther Weisenborn, Widerstandskämpfer der Roten Kapelle, wurde eine Identifikationsfigur des Anti-Establishments in der restaurierten Bundesrepublik, dann Idol der 68er Bewegung und später sogar Symbolfigur des rebellischen Filmemachers Reiner Werner Fassbinder, der ihn in seinem Film „Lili Marleen“ selbst verkörpert. Die Szene zeigt der Film gleich in den ersten Minuten.
Eine 8-mm -Familienaufnahme zeigt dann die jugendlichen Brüder Sebastian und Christian Weisenborn auf einem Bahnsteig, wie sie beide im Spaß versuchen, ihren Vater auf Händen zu tragen; mit Einverständnis, Zärtlichkeit und Liebe zwischen den Generationen, wovon andere nur träumen.

Des Menschen nackte Haut

„I’m Not Your Negro“ , Dokumentarfilm mit James Baldwin, 2017, Regie: Raoul Peck

Nicht Heimweh trieb den jungen schwarzen Schriftsteller James Baldwin 1957 zurück in sein Geburtsland USA, sondern ein Zeitungsfoto, das eines Tages überall an den Pariser Kiosken zu sehen war: er sah das fünfzehnjährige schwarze Mädchen Dorothy Counts in North Carolina, bespuckt und verhöhnt vom weißen Mob, in eine Schule gehen, die es neuerdings per Gesetz besuchen durfte. „Jemand von uns hätte an ihrer Seite sein müssen. Ich musste heimkehren und meinen Beitrag leisten.“

„Ich wollte schick im Westen ankommen.“

„Der Ost-Komplex“ Dokumentarfilm von Jochen Hick, 2016

Von Angelika Nguyen

In seinen Lieblingssachen habe er sich damals auf den Weg gemacht, erzählt Mario Röllig (Jahrgang 1967), auf die Flucht über die ungarisch-jugoslawische Grenze, 20jährig: mit pinken Socken, schwarzen Lackschuhen, Karo-Jeans. „Warum denn das?“ fragt Hick verwundert. „Na, ich wollte schick im Westen ankommen, nicht so räudig.“ lautet die Antwort.