Von Jürgen Schneider
Schönbrunner Straße, Wien: Wiener Würstchen (Foto: JS)
You go where you must, you always go where you must.
–– Steve Dalachinsky
Zwei Monate Wien stehen mir bevor. Meinen letzten Wien-Aufenthalt hatte ich in dem Büchlein Anilingasse – Ein Wien-Diarium (Edition Baes, 2018) gewürdigt. Vor der Bahnfahrt nach Wien las ich flugs noch die eingegangenen Mails. Es war erschütternd. Ich musste lesen, dass der Belfaster Künstler und Autor Micky Donnelly gestorben war, mit dem mich seit Anfang der 90-er Jahre eine Freundschaft verband, auch weil wir quasi Zwillinge waren, d. h. am gleichen Tag das Licht der Welt erblickt hatten. Dazu passte, dass ich 2007 Mickys Roman Doubletime übersetzen sollte; die Übersetzung erschien in der Edition Nautilus unter dem Titel Belfaster Doppel.
Ende der 1980-er Jahre hatte Micky Donnelly mit seinen Gemälden, mit denen er die Ikonografie der irischen Geschichte hinterfragte, international Aufmerksamkeit erlangt. Einst Aktivist der in der Bürgerrechtsbewegung agierenden Organisation People’s Democracy, gehörte er zu jenen nordirischen Künstlern, die sich angesichts der sog. »Troubles« nicht vom politischen Geschehen abwandten, sondern sich auf vielfältige Weise damit auseinandersetzten. Seine Werke wurden mehrfach auch in Deutschland gezeigt, so etwa 1995 seine Siebdruck-Serie »No Picnic«. Diese ging auf jene medialen Bilder zurück, die nach einem von der IRA in England verübten Bombenanschlag verbreitet wurden. In Plauen integrierte Donnelly in seine Präsentation Bände der Marx-Engels-Werke, die zum Bestand der Sparkasse gehörten, in der die Donnelly-Show stattfand.
In lebhafter Erinnerung habe ich die Geschehnisse nach der Eröffnung von Mickys Ausstellung in Plauen, die im Rahmen eines Irland-Festivals stattfand. In einer gastronomischen Einrichtung spielte ein mediokrer irischer Folkmusiker auf, und es stellte sich heraus, dass er in der selben Pension untergebracht war wie Micky und ich. Als wir nach vielen Bieren ein Taxi riefen, luden wir den Musiker zur Mitfahrt ein. Kaum saßen wir im Wagen, entwickelte sich auf dem Rücksitz eine heftige Auseinandersetzung, weil der ego- und alkprall gefüllte Musiker bildende Künstler mit herabwürdigenden Glossolalien des Deliriums bedacht und Micky, nie verlegen in Sachen Verbalinjurien, ihm treffsicher irgendetwas Beleidigendes an seien Vollgummikopf geworfen hatte. Als sich der Wortwechsel zu Handgreiflichkeiten auswuchs, brachte der Taxifahrer sein Fahrzeug zum Stehen, und die beiden setzten ihren Schlagabtausch auf der zugeschneiten Straße fort. Meine Schlichtungsbemühungen blieben ebenso erfolglos wie die Bitte an den Taxilenker, er möge noch einen Moment warten. Doch der vertschüsste sich wortlos und nahezu panisch, und plötzlich war auch der Musiker irgendwo im heftigen Schneegestöber verschwunden. Zwar rief Micky in die Nacht »Erfrier doch, du Blödmann!«, wir konnten den Zausel, der keinerlei Ortskenntnis oder Orientierung besaß, aber natürlich nicht in Schnee und Eiseskälte zurücklassen, schon wegen der zwölf Kinder nicht, die gezeugt zu haben er in der Kneipe, Gärsud nippend, behauptet hatte. Nach langer Sucherei fanden wir den Jammerbolzen – er kauerte schneebedeckt hinter einer Mülltonne. Der Frost hatte ihm arg zugesetzt, so dass er ohne weiteren Insult hinter uns her zur Pension trottete. Als wir diese am nächsten Morgen verließen, schnarchte der Musiker noch höchst atonal vor sich hin, wodurch uns weitere Dispute erspart blieben.
Wenig später musste ich noch einmal nach Plauen reisen, diesmal mit dem nordirischen Schriftsteller und intellektuellen Hooligan John McGuffin, der eigens aus seinem freiwilligen Exil in San Francisco angereist war. In Plauen wollte jedoch niemand dessen alkoholdurchtränkten Geschichten hören. Und das kam so: Die Veranstalter hatten PR betrieben mit Plakaten, denen die Aufschrift: »John McGuffin – Kleist auf Englisch« verpasst worden war. Wer bitte sollte anno 1995 im Vogtland Kleist in englischer Sprache, dargebracht von einem Belfaster Anarchisten, hören wollen? McGuffin schrieb mir später unter Anspielung auf den irischen Folksong »I am a merry ploughboy«1: »I’m not a merry Plauen boy.« McGuffin starb 2002 und wurde in jenem Belfaster Krematorium eingeäschert, in das ihm am 19. September 2019 Micky Donnelly folgte.
Die nächste traurige Nachricht bekam ich während der Zugfahrt nach Wien. Yuko Otomo, die japanische Frau des New Yorker Free-Jazz-Poeten Steve Dalachinsky, dessen deutscher Übersetzer ich bin und mit dem ich per Email nahezu täglich in Kontakt war, teilte mir per Mail mit, Steve habe einen Schlaganfall erlitten, befinde sich auf der Intensivstation und werde sterben. Der Schlaganfall, so erfuhr ich später, ereignete sich nach einer Lesung Steves im Islip Art Museum, Long Island, anlässlich der »10th Anniversary Edition of Ray Johnson’s ›A Book About Death – The Last Waltz‹«. In dem von Steve gelesenen Text heißt es: »You go where you must, you always go where you must«. Vor der Lesung hatte er mit seiner Frau eine Konzert des Sun Ra Arkestra in Manhattan besucht. Als er in die Notaufnahme des Southside Hospital in Bay Shore eingeliefert wurde, sagte er noch: »Vielleicht habe ich eine Überdosis Sun Ra abbekommen.« Seine Frau Yuko, so wurde es mir berichtet, antwortete lächelnd: »Ich hab’s dir ja gesagt.« Dies war das letzte Gespräch der beiden. Steve starb am frühen Morgen des 16. September. Seine Frau und Freunde waren bei ihm und spielten aus der Konserve Stücke der von ihm geliebten Free-Jazz-Musiker, wie etwa John Coltrane, Thelonious Monk oder Albert Ayler. Der Tod ist und bleibt ein Skandal.3
Ein wenig Trost spendeten mir die Zeilen von Andrea Maria Dusl, die in der Wochenzeitung Falter knifflige Fragen der Leserschaft beantwortet. In ihrer Antwort auf die Frage, was ein »Pompfüneberer« sei (nämlich ein Bediensteter der Leichenbestattung), führt sie an, mit welch hübschen Bezeichnungen in Wien der Tod bedacht wird: »in Anasiebzga sei Bestölla, da Buttnhamme, da Goaraus, da gscheade Hansl und da Quiqui. Das Sterben: aushauchn, a Bangl (oder a Bredsn) reißn, bebeiße gehn, begatssn, de Bodschn (de Beg oder de Hiaf) aufschdöön, eks gehn, a Grakssn mochn, maukas gehn, si in Oasch auskegln, sodann die Abgangsverba: obankl, ogräuln, ogrotssn, omakiarn, (o)päckern oder (o)péjgern, oschdraumpen, oseabm und owegräuln.«
Wie kein anderer kannte sich Steve Dalachinsky im Free Jazz aus und war mit deren Protagonisten bekannt, wie etwa mit dem schwedischen Saxophonisten Mats Gustafsson, der in der Nähe Wiens lebt. Als ich den von mir in Wien favorisierten Plattenladen Rave Up Records aufsuchte, stieß ich mehr oder weniger sofort auf die Platte »Marvel Motor« von Mats Gustafsson und dem österreichischen Drummer Didi Kern. Diese LP musste ebenso erworben werden wie später auf einem Hinterhof-Flohmarkt in Ottakring das vergriffene Werk »Discaholics!« von Gustaffsson mit Interviews, die er mit anderen Discaholics geführt hat, etwa mit Thurston Moore (Ex-Sonic Youth), mit dem Steve Dalachinsky einige Projekte verwirklichte. In Ottakring war auch die LP »No More Slavery« von der legendären US-amerikanischen Agit-Prop-Band The Fugs im Angebot. Zu dieser gehörte der Meister der Wortkunst sowie der Zeichnung Tuli Kupferberg, der 2008 Steve Dalachinsky und Yuko Otomo in ihrer Miniwohnung in Manhattan interviewte.
Meine Nachmittage verbringe ich im Café Rüdigerhof, wobei ich mich auf dem Fußweg dahin wundere, warum so viele Wiener nach dem Motto »Was in mir ist, das geb‘ ich hin« zu leben scheinen, sind doch die Bürgersteige an vielen Stellen von Erbrochenem und Urinlachen markiert.
Vor 1914, als Wien eine wichtige Station russischer Emigranten war, haben Revolutionäre wie Leo Trotzki, Bucharin oder Lenin den Begründer der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, Victor Adler, im Vorwärtsgebäude besucht, das von 1910 bis 1934 Sitz der Parteizentrale und des Vorwärts-Verlages war, und auch das nahegelegene Café Rüdigerhof häufig frequentiert.
Im Rüdigerhof wird auf Muzak verzichtet, und die Belästigung durch Smartphone-Addicts hält sich sehr in Grenzen. Bei einem gepflegten Bier lassen sich in aller Ruhe die ausliegenden Zeitungen studieren, die sich derzeit en gros und en detail dem Wahlkampf widmen, denn in Österreich wird am 29. September gewählt.
Im sogenannten »Ibiza-Video« war im Mai zu sehen, wie der Chef der rechten FPÖ, Heinz-Christian Strache, mit Assistenz seines Kompagnons Johann Gudenus Österreich an eine vermeintliche russische Oligarchennichte verscherbelt und verraten hatte, die Kronen-Zeitung und das Wasser gleich mit. Strache musste zurücktreten, Gudenus auch. ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz ließ die Koalition mit der FPÖ platzen, und die angekündigte Entlassung von Innenminister Herbert Kickl führte dazu, dass die anderen FPÖ-Minister ihre Ämter niederlegten. Seither wird das Land von Nichtpolitikern regiert, eine Höchstrichterin, Bürokraten und Beamte bilden das Kabinett, »beliebte Biedermeier-Beamte« (Kurier).
Der österreichische Wahlkampf wird primär im Fernsehen ausgetragen, »in atemloser Frequenz«. Mit inhaltsmageren Pointen, die durch ostentatives Wiederholen selten besser werden, scheint Österreich gerade einen neuen Typus des Politikers kreiert zu haben: den politischen Fulltime-Fernsehdiskutanten.« (Der Standard)
Wenn er nicht auf Sendung ist, steht der fesche Sebastian Kurz (ÖVP), noch keine 40 Jahre alt, mit »verblasstem Charisma« im Altersheim und fragt ebenso jovial wie herablassend in die Runde: »Und habts schon mittaggegessen, jo, jo?« (Der Standard)
Strache-Nachfolger Norbert Hofer umarmte beim Partei-Oktoberfest innig Ex-Parteichef Strache, von dem behaupteten »Zerwürfnis« wegen des Ibiza-Videos keine Spur. Punkten wollte Hofer mit der Suspendierung des niederösterreichischen Klubobmanns Martin Huber, der 2014 auf seiner Facebook-Seite Hitler zum Geburtstag gratuliert hatte. Hofer, so die Kronen-Zeitung, habe »wegen Gefahr im Verzug nicht lange gefackelt«. Im Boulevard Blatt Heute verkündete Stefan Petzner, einst Vertrauter und Pressesprecher des FPÖ-Politiker Jörg Haider, dieser »würde 2019 eine neue Blütezeit erleben«. Haiders dem Nazijargon entlehntes Motto lautete: »Am Kärntner Wesen kann auch Österreich und die EU genesen.« Der rechtsradikale Haider war am 10. Oktober 2008 in seinem VW Phaeton mit 142 km/h und 1,8 Promille in den Tod gerast. Bereits 1991 hatte Elfriede Jelinek das Homoerotische, das Jörg Haider und seinen politischen Jungmänner-Harem umgab, thematisiert. Auf den einstigen schwulen Parteigenossen Haider möchte sich die FPÖ heute aber offenbar nicht mehr beziehen. In einem quadratblöden FPÖ-Hetero-Wahlkampfvideo rettet FPÖ-Hofer ÖVP-Kurz vor einem grünen Hippie-Girl. Allein und mit einem türkisen Cocktail bewaffnet sitzt ein Kurz-Double an der Bar, und schon bald entschließt sich ein grünes Hippie-Mädel zum Angriff: »Den reiß ich mir auf!« Sebastian zögert wie es sein Nachname will, zeigt sich dann aber für die Avancen der grünen Verführerin durchaus empfänglich. Dann tritt Hofer auf und spielt den Retter: »Mit ihr kann es nicht funktionieren.« »Logische Konsequenz des blauen Spots: ›Wer ÖVP wählt, bekommt die Grünen‹.« (Österreich 24)
Und was machen die Grünen? Unter der Überschrift Wahlkampfzeug berichtet Der Standard: »Wirklich nachhaltig ist das Wahlkampfgeschenk der Grünen: Samen der Biogarten-Kresse. Ein, wie es in der Beschreibung heißt, anspruchsloses Küchenkraut, das auf alle Suppen passt. Ob das eine politische Selbstcharakterisierung sein will?« Für die Kronen-Zeitung sind die Grünen »Beibootsegler (die klimaneutrale Variante des Trittbrettfahrers)«.
Finster, so die Kronen-Zeitung, sieht es für die Sozialdemokraten (SPÖ) aus. »Obwohl die unzulässig zivilisierte Parteichefin das Spiel mit einer Entourage aus Pülchern2 und Hooligans umzudrehen versuchte, rekrutiert in den Glasscherbenvierteln von Innsbruck un Großenzersdorf: Die FPÖ in ihrer Kernkompetenz anzugreifen, blieb aussichtslos.«
Die ›Alternativen Listen/Kommunistische Partei Österreichs/plus Linke : Unabhängige‹ kommen bei der »quasselnden Klasse« (Christian Fleck, Der Standard) so gut wie nicht vor. Dabei können sich die Forderungen durchaus sehen lassen, gehen sie doch über die der zahmen deutschen Linkspartei hinaus. Gefordert werden u. a.: eine 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich; ein lohnsteuerbefreiter Mindestlohn von 1.750 Euro; der Ausbau des öffentlichen Verkehrs, wobei Nahverkehr auf dem Land und in den großen Städten kostenlos sein soll; der Ausstieg aus allen fossilen Energieträgern bis 2030; eine soziale Wohnungsbauinitiative für ganz Österreich sowie bindende Mietobergrenzen; eine Begrenzung der Politiker*innengehälter auf 2.300 Euro.
Neben dem Wahlkampf war in den vergangenen Tagen das mediale Topthema der Mord an der 85-jährigen im Bauwesen zur Millionärin gewordene Emma Sch., die in ihrem Haus in Niederösterreich vermutlich »mit einem prall gefüllten Sparstrumpf« (Österreich 24) erschlagen wurde. Die Tat gestanden hat mittlerweile ein 61-jährige Banker, der nach der Tat vor einen LKW gelaufen war. Doch »es gilt die Unschuldsvermutung«, wie es in solchen Fällen in den österreichischen Blättern heißt. Die Boulevard-Gazetten geben sich fassungslos, ganz so, als seien Banker, die sich normalerweise nicht selbst die Hände schmutzig machen, Menschen aber jederzeit der Not oder dem Tod übereignen, um finanziell zu reüssieren, zu einer solchen Bluttat nicht im Geringsten fähig. Stattdessen wird die Karriere des Vermögensberaters der alten Dame ausgestellt: kometenhafter Aufstieg, Leiter der nobelsten Filiale des Branchenprimus am Graben in der Wiener City, abgeworben von der Konkurrenz, als Executive Director Betreuer der betuchtesten Kunden des Geldinstituts.
Weniger erfolgreich war der ehemalige ungarische Polizist Joszef K. (51). Laut Österreich am Sonntag fiel mehreren Passanten nahe der Post in Wieselburg ein roter Opel auf, der ein Kennzeichen aus Pappendeckel mit handgeschriebenen Ziffern und Buchstaben hatte, die eine Spur nach Slowenien legen sollte. Im Auto, so das Blatt weiter, saß ein übernervöser Mann, der mit Wuschelfrisur, Brille und einem offenbar angepappten Schnauzer dem Pornoproduzenten des Films Boogie Nights aus den 70-er Jahren glich. In der Hand hielt er eine Schreckschusspistole. Als er soeben aussteigen wollte, um die Post zu überfallen, war der Opel auch schon von Polizisten umstellt, die bei der Verhaftung des Dümmsten aller Ex-Polizisten fast einen Lach-Flash erlitten.
Im Falter-Kalender stieß ich auf den Hinweis auf die Eröffnung der Ausstellung »Zwischen Feuer & Feuer – Ukrainische Kunst Jetzt«, die bis zum 8. Oktober im Atelierhaus an der Akademie der Bilden Künste Wien zu sehen ist. Gezeigt werden primär Werke, die seit den Ereignissen auf dem Maidan entstanden sind: Fotos vom Krieg im Donbass neben Fotos von Raves, die sich in der Ukraine besonderer Beliebtheit erfreuen. Ein Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf dem Umgang mit Denkmälern. Herbeigeschafft wurden übergroße Reliefs von einem Panzerfahrer, einem Infanteristen, einem Piloten und einem Marinesoldaten, die bis zum Frühjahr 2019 im westukrainischen Lwiw auf einem hohen Sockel standen und Teil eines Denkmals des militärischen Ruhms der sowjetischen Streitkräfte waren. Der anarcho-kommunistische Künstler David Chichkan ging mit seinem Werk ›Zerstörung nach der Ukrainisierung‹ der Frage nach, warum in der Ukraine die Lenin-Denkmäler in den Nationalfarben gelb und blau angepinselt werden, bevor Lenin vom Sockel geholt wird.
In dem einige Kilometer außerhalb von Wien gelegenen Museum Gugging werden bis zum 26. Januar 2020 unter dem Titel die »sammlung prinzhorn.! art brut vor der art brut« 115 Werke aus der Heidelberger Prinzhorn-Sammlung präsentiert. Diese Ausstellung ist neben der von Werken der Gugginger Künstlerinnen und Künstler zu sehen. Mit Testzeichnungen auf postkartengroßen Formaten, die in den 50-er Jahren zunächst für diagnostische Zwecke von dem Psychiater Leo Navratil an der Landesnervenanstalt Maria Gugging verwendet wurden, hat in Gugging alles begonnen. Mittlerweile werden die Werke der Künstler aus Gugging weltweit ausgestellt und gesammelt.
Der deutsche Psychiater und Kunsthistoriker Hans Prinzhorn sammelte zwischen 1919 und 1921 Werke von Patientinnen und Patienten psychiatrischer Anstalten. 1922 veröffentlichte er das Buch Bildnerei der Geisteskranken. Ein Beitrag zur Psychologie und Psychopathologie der Gestaltung, in dem er »zehn Meister« der in Heidelberg eingetroffenen Werke vorstellte. Der üppig bebilderte Band fand bald auch Aufmerksamkeit bei den künstlerischen Avantgarden. Der von Prinzhorns Buch beeindruckte Jean Dubuffet prägte für derlei Kunst den Begriff L’Art Brut. Die Prinzhorn-Sammlung gilt als bedeutendste historische Sammlung im Bereich Art Brut.
Zur Eröffnung der Gugginger Prinzhorn-Ausstellung wies der Museumsleiter und Kurator Johann Feilacher besonders auf zwei Werke von Louis Umgelter hin, über dessen Leben so gut wie nichts bekannt ist. Nachweisbar ist ein Aufenthalt in der Privatanstalt Herzoghöhe in Bayreuth für die Jahre 1906 bis 1914. Von Umgelter hängen in Gugging die Schädel-und Hirnzeichnungen von einem Alkoholiker und von einem dem religiösen Wahn Verfallenen. Diese Charaktere, so Feilacher, seien in gewisser Weise typisch für Österreich, Paranoiker kämen hier nicht so häufig vor. Es gibt allerdings traditionsbewusste Damen, wie etwa die Landeshauptfrau von Niederösterreich, Johanna Miki-Leitner (ÖVP). Die hl. Johanna vom Dirndl bat die Besucher in ihrer Eröffnungsrede, sie möchten doch auch die Dirndl-Show in Klosterneuburg besuchen.
Im Kurier hatte ich unter der Überschrift »Immerwährende Wiesn« die folgenden Zeilen gelesen: »Alle Freunde der Idee, aus karierten Tischdecken Oberbekleidung herzustellen, um diese anschließend unter dem Absingen von deutschen Alpinschlagerimitat spazieren zu tragen und dabei die mutige Behauptung aufzustellen, das alles sei ›Brauchtum‹, dürfen sich freuen: Es wird ab dem nächsten Jahr eine zweite ›Wiesn‹ in Wien geben, eine Frühjahrs-Wiesn. Sommer-, Winter-, Übergangszeit-, Weihnachtszeit- sowie Sauf–wann-du-willst-Wiesn sind in Vorbereitung. Angeblich hat ein Hersteller bereits ein ›Wiesn für daheim‹-Baukastenset entwickelt, es enthält eine Einweg-Lederhose aus Plastik, ein Dirndl aus essbaren Pressspanplatten und die Best-of-CD einer ostungarischen Gabalier4-Coverband.«
1) »I am a merry ploughboy / and I plough my fields by day, / Until a thought came to my mind, / That I should run away. / For I’ve always hated slavery, / since the day that I was born, / So I’m off to join the IRA, I leave tomorrow morn…«
2) Bei meiner Google-Suche, was denn ein Pülcher ist, stieß ich auf diese mundartliche Definition: »Unta an Pülcher, aa Pücha oda Büücha, vastäd ma in Österreich an Gauna, Stroich, Asozialn oder Hoibstoakn.«
3) Nachruf auf Steve Dalachinsky s. http://telegraph.cc/vorstossen-ins-unbekannte/
4) Der Stern nennt den selbsternannten »Volks-Rock’n’roller« Gabalier einen »megaparkkompatiblen Eckbank-Elvis« und schreibt, »er müsse sich den Vorwurf gefallen lassen, womöglich mehr völkischer als Volksrocker zu sein. Auf dem Cover seiner 2011-er CD zumindest verharrt Gabalier in einer derart unnatürlich und letztendlich auch ungesund verkrümmten Pose, dass nicht nur Mediziner sich streiten: ›Spastiker oder Swastika?‹ Leni Riefenstahl zumindest hätte die Inszenierung gefallen, und wenn man bedenkt, dass bei der Auswahl eines CD-Covers dem Künstler circa 500 Motive vorgelegt werden, dann befremdet es schon ein wenig, dass er sich schlussendlich für genau DAS entschieden hat, auf dem er wirkt, als hätte er es im (Haken-)Kreuz.«
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