Von Jürgen Schneider
Österreich hat gewählt, die Fadigkeit des Wahlkampfes hat ein Ende. Die Bierpartei Österreichs erhielt bei der Nationalratswahl 3.649 Stimmen. Damit haben die Gärsud-Freunde mehr Stimmen bekommen als die Christliche Partei, die Allianz der Patrioten, die Sozialistische Linkspartei und die Liste Gilt zusammen, für einen Trinkerplatz im Parlament reichte es aber nicht. Auf die Kommunistische Partei entfielen lediglich 0,7 Prozent der abgegebenen Stimmen.
Linkswende-Plakat (Foto: JS)
Die rechte FPÖ beging den Wahlabend in der Wiener Prateralm. Die einzigen Jubelrufe hallten von der Prater-Achterbahn herüber. Die FPÖ bekam bei den Wahlen eine Watschen verpasst, verlor knapp zehn Prozent und kam auf 16,1 Prozent, was immer noch 16,1 Prozent zu viel sind für eine rechtsradikale Partei. Anfang 2017 hatte die FPÖ bei Umfrage mit 32 Prozent noch vor allen anderen Parteien gelegen. Dementsprechend niedergedrückt war die Stimmung: »Bitte, tut’s eure Mundwinkel rauf«, bat die aufspielende John-Otti-Band die Anwesenden.
Isolde Charim kommentierte im Falter: »Ibiza war nur der Auftakt einer zunehmenden Soap-Operaisierung der FPÖ, die sich in einem Crescendo bis zum singenden Bodyguard steigerte. Exzess, Machtrausch, öffentliche Korruption und persönliche Enthemmung wurden von den Hardcore-Wählern noch goutiert (etwa bei der EU-Wahl). Aber beim Bedienen aus der Parteikasse hört es sich auf. a ist auch mit der Moral des Amoralischen Schluss.«
Am Tag vor der Wahl hieß es in der ›Krisenkolumne‹ des Standard: »Strache hat man zwar länger nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen«, innenpolitische Beobachter, die ihn kennen, versichern aber, dass sein steuergeldfinanzierter Speckkopf aus lauter Zorn neuerdings so hell erglänze wie eine frische Schweineschwarte. Kickl sieht aus, als müsse er jeden Gesichtsmuskel aufs Äußerste anspannen, um sein Gegenüber nicht auf der Stelle anzuspucken. Und auf dem FPÖ-Wahlplakaten lassen sich in Hofers gephotoshoptem Salbengesicht nur mühsam Überreste eines erkünstelten Lächelns erkennen.«
In einer Wiener Weinbar trat der auf einem Linkswende-Plakat als »Neo-Nazi« bezeichnete Ex-FPÖ-Chef Strache zwei Tage nach der Wahl, umgeben von gut gelagerten edlen Tropfen, vor jene Journalisten, die er im Ibiza-Video noch als »die größten Huren« bezeichnet hatte. Er stilisierte sich zum Opfer »unbekannter Kräfte« und kündigte an, seine Parteimitgliedschaft ruhen lassen und sich ganz aus der Politik zurückziehen zu wollen. Strache kam mit dieser Ankündigung seiner Suspendierung zuvor, die noch am selben Tag von Parteichef Hofer ausgesprochen wurde. Sollte sich der Verdacht bei den Ermittlungen rund um die Spesen-Affäre erhärten, drohe Strache der Ausschluss, so Hofer. Laut Österreich 24 will Strache nicht von der Bildfläche verschwinden, sondern eine Beraterfirma gründen und eine Autobiografie schreiben, in der auch die »Wahrheit« über das Ibiza-Video ausgebreitet werden soll. Vielleicht bietet die Kronen-Zeitung, in der er aufräumen wollte, das Strache-Werk ja als Vorabdruck.
Straches Ehefrau Philipppa hatte am Tag vor den Wahlen in den sozialen Medien über Herkunft und Preise ihrer Handtaschen und Klamotten Auskunft gegeben, um die Behauptungen zu widerlegen, sie finanziere ihr Outfit aus der FPÖ-Parteikasse. Offenbar wollte sie damit in allerletzter Minute noch auf Stimmenfang gehen, kandidierte sie doch auf einem Listenplatz der Wiener FPÖ. Der Tiroler FPÖ-Chef Abwerzger (offenbar eine Namenstirolisierung von Abwärtsger) will Philippa jedoch nicht im Nationalrat sehen. Er spreche sich gegen ein Mandat für sie aus, sagte er der Tiroler Tageszeitung. Das Kapitel Strache müsse beendet werden, dies treffe auch auf Philippa zu, so Abwerzger. Aus der Wiener FPÖ kamen dazu auch weiterhin keine klaren Worte. Die Presse spekulierte, gebe es das Mandat für Philippa, bleibe es beim mehr oder weniger ruhigen Abgang ihres Mannes aus der FPÖ, wenn nicht, könnte er die Partei mit einem neuen rechten Verein »sprengen«. Ein Mandat bringt zudem ein monatliches Fixeinkommen mit sich.
Die Grünen haben mit über 14 Prozent ihren Wiedereinzug ins Parlament geschafft. Bei der Grünen-Wahlparty im Wiener Metropol spielte der DJ ›We are going to Ibiza‹ von den Vengaboys. Die Parteimitglieder tanzten und feierten das Ergebnis, bis das Bier ausging und die Polizei anrückte. Die Grünen gehören zu den Profiteuren vom Ibiza-Skandal-Video, das zur Neuwahl geführt hat. Dementsprechend erleichtert war Parteichef Werner Kogler am Sonntag. Unter dem minutenlangen, tosenden Applaus und den Klängen von Queens ›Don’t Stop Me Now‹ traf er bei der Wahlparty ein. »Willkommen an diesem Sunday for Future«, begrüßte er die Anhänger. Kogler, so der Falter, stand bei den Wahlen für die Grünen, er repräsentierte »in seiner stocksteirischen Knorrigkeit ihre wählbare Seite«. Bei Bedarf grantig, ökonomisch gebildet, sei er nicht leicht von der Platte zu blasen.
Die SPÖ fuhr ihr historisch schlechtestes Ergebnis ein und kam auf 21,5 Prozent. Dennoch konstatierte die Parteichefin Pamela Rendi-Wagner: »Die Richtung stimmt.« Der SPÖ-nahe PR-Berater Rudi Fußi fragte laut Kronen-Zeitung: »Welche Richtung? Die Richtung in den Abgrund? Wie kann man als sozialdemokratischer Funktionär zufrieden sein, wenn es immer nur nach unten geht?« Falter-Chef Klenk bescheinigt den Austria-Sozen: »Weder aus der Ibiza-Affäre, der FPÖ-Spesen-Affäre noch aus den Friday-for-Future-Demos konnten Deutsch [der für den Wahlkampf verantwortlich war] Schwung für die Sozialdemokratie gewinnen. Nichts. Der rote Tanker sinkt. An Bord gibt eine selbstgerechte Machopartie den Ton an, die alles besser weiß, aber nichts besser macht.« So wusste etwa der Tiroler SPÖ-Chef Georg Dornauer, warum die SPÖ bei der Wahl so schlecht abgeschnitten hat: »Der klassische FPÖ-Wähler wählt keine Frau mit Doppelnamen.«
Sebastian Kurz und seine ÖVP kamen auf 37,4 Prozent Stimmenanteil, 260.000 Stimmen stammten von einstigen FPÖ-Wählern. Die Politik des wie eine Mischung aus Schwiegersohn und Heilsbringer auftretenden Kurz, so der Schriftsteller Franzobel, sei schwer zu fassen, er sei ein Robin Hood der oberen Zehntausend, der seine Parolen wie Litaneien beim Rosenkranzbeten wiederhole. »Kurz verkörpert eine Phantasmagorie des in Österreich immer noch geträumten Habsburgerreichs, ist so eine Art junger Franz Joseph und bringt der vor Kurzem noch darniederliegenden ÖVP Wahltriumphe zum Niederknien. Mit einem grünen Gewissen an seine Seite kann der Alpenmessias zeigen, was außer Showtalent noch in ihm steckt.«
Wie viele andere Kommentatoren und Moderatösen redet Franzobel einer Koalition von ÖVP und Grünen das Wort. Glaubt man dem Grünen Kogler, ist kurzfristig keine K.-u.-K.-Koalition zu erwarten: »Falls die Grünen je in eine Regierung eintreten, werden wir das nicht vor Ostern erleben.« Unter der Überschrift ›Das sagt Österreich‹ hieß es in dem U-Bahn-Blatt Österreich 24 in Strache-Sprech: »Ob die Grünen für diesen Neustart freilich schon reif sind, wird sich erst zeigen. Hinter Werner Kogler klafft ein riesiges Loch an Inkompetenz, Unverlässlichkeit und teils verrückten Spinnern. Die Wiener Grünen sind ein korrupter Haufen, von den jungen Grünen ist nur die durchgeknallte ›Stinkefinger‹-Maurer1 wirklich bekannt, die legendären grünen Oldies sind alle pensionsreif.«
Nur zwei von zehn ÖVP-Wählern, so der Standard, möchten eine Koalition mit den Grünen, drei mit der FPÖ und vier mit den Neos. Aus Kreisen der ÖVP hieß es, eine Dreier-Koalition aus ÖVP, Grünen und Neos, die auf radikale Privatisierungen setzen und auf 7,9 Prozent Stimmenanteil kamen, sei besser, weil »mittiger«. Kurz legte sich nach der Wahl gar nicht fest, sondern bekundete, mit allen Parteien Gespräche führen zu wollen. Der Herausgeber des Magazins Fleisch, Markus Huber, hatte sich im Wahlkampf an die Fersen von Kurz geheftet und im Standard geschrieben: »Wahrscheinlich ist es gar nicht wichtig, ob und was Kurz redet. Wichtig ist nur, dass er sich nach dem Auftritt ausreichend Zeit nimmt. Für die Fotos mit den Fans. Auf 20 Minuten offizielles Programm kommen mindestens 40 Minuten für Erinnerungsfotos, besser sind eigentlich 60 Minuten, damit auch wirklich jeder befriedigt wird.«
»Weil Kurz die Koalition gesprengt und nicht mit Hofer weiterregiert hat, so Isolde Charim, »ist ihm der Balanceakt gelungen, bei voller inhaltlicher Nähe gleichzeitig auf volle Distanz zu gehen.« Das Gelingen dieses Balanceaktes freute CDU und CSU: Von Kurz lasse sich lernen, wie »Rechtspopulisten« zurückgedrängt werden können.
In Solar Bones (dt. Ein ungewöhnlicher Roman über einen gewöhnlichen Mann, Steidl Verlag), dem dritten Roman des irischen Schriftstellers Mike McCormack, lässt ein in seinen Gedanken verlorener Geist sein Leben Revue passieren und berichtet, seine Frau Mairead sei davon überzeugt gewesen, dass alle Wahlen, regionale wie nationale, nur läppische Feineinstellungen an einem versteinerten, monolithischen System seien, das für wirkliche Reformen unzugängliche bleibe – ein irreversibler Prozess. Der Geist namens Marcus reflektiert, es käme bei Kunstwerken darauf an, einen Ausweg aus jener Redundanz zu finden, der sie in einer von elektronischen Bildern überschwemmten Welt nur allzu oft bezichtigt würden. Wie redundant Kunstproduktion sein kann, zeigte sich auf der viennacontemporary in der Marx Halle, den Wiener »Festspielen für Kunstfuzzis« (Falter). Bei den feilgebotenen Exponaten dominierten quietschbunte Gemälde, formal ebenso uninteressant wie inhaltlich leer: Ware für die Wand hinter der Couch der Kunstfuzzis. Sehenswert war der Stand der Galerie Ropac (Salzburg, London, Paris), die Collagen einiger der von ihr vertretenen Künstler zeigte, darunter zwei sehr gelungene minimalistisch-unaufdringliche Collagen aus dem Nachlass von Joseph Beuys.
Gelohnt hat sich der Besuch des viennacontemporary aber wegen deren Focus-Thema: Worin besteht das Verständnis eines Staates, der nicht auf einem Territorium, sondern auf Zeit basiert? Und wie notwendig ist ein solcher Staat angesichts der global zu beobachtenden faschistischen Tendenzen und Xenophobie. Präsentiert wurde das post-nationalistische Konzept des »NSK-State in Time« durch Werke von IRWIN, Laibach, New Collectivism, Ulay und anderen. Dieses Konzept wurde 1992 in Jugoslawien von den zur Neuen Slowenischen Kunst (NSK) gehörenden Kollektiven unter Mitwirkung des philosophierenden Ein-Mann-Proletariats Slavoj Žižek entwickelt.2 Dem Staat gehören mittlerweile weltweit 15.000 Bürgerinnen und Bürger an.
Parallel zur viennacontemporary präsentierte sich die Mammutshow Parallel, die so der Falter, im Gegensatz zur feinen Schwester »mit der Ästhetik des Heruntergekommenen punkte«. Was die Offspace-Szene in einem ehemaligen Bürogebäude in der Lassallestraße bot war ein Grauen, das es mir immerhin ermöglicht, ein österreichisches Wort einfließen zu lassen, das ich neulich lernte: Kramuri, die bzw. das, auch Gramuri, Gramurä, Grawuri oder Krawuri, also Krimskrams, Kram oder Gerümpel. Das scheint mir für Parallel passend zu sein. Mein Malerfreund Volker pflegt ob solcher künstlerischer Darbietungen zu sagen: »Sie üben sich in entarteter Kunst.«
IRWIN, Retrovantgarde, Christine Klnig Galerie, Wien (Foto: JS)
Es hätte ein durch und durch frustrierender Kunstbesuchstag werden können, wäre ich nicht zufällig in die Galerie Christine König geraten, die im Rahmen des Projekts »Curated by« die von Zdenka Badovinac kuratierte Ausstellung von Werken des slowenischen Künstlerkollektivs IRWIN aus dem NSK-Zusammenhang zeigt. IRWIN präsentiert (bis zum 12.10.2019) unter dem Titel Retroavantgarde in einer Art Familienstammbaum Künstler und Gruppen von der historischen Avantgarde bis zur eigenen Generation. Im Fokus stehen zudem Arbeiten, mit denen sich IRWIN mit dem Werk des russischen Avantgardisten Kasimir Malewitsch auseinandersetzt, dessen monochrome Rechtecke oder Quadrate etwa mit Legosteinen reproduziert. Die Bilder sind jeweils das Werk eines IRWIN-Künstlers, werden aber durch die vereinheitlichte schwere, schwarze Rahmung zu einem Gemeinschaftswerk. Der Titel der Ausstellung lautet denn auch: »I AM ONLY IF I AM MANY.«
IRWIN grüßt Malewitsch, Christine König Galerie, Wien (Foto: JS)
1) »Für Aufregung zum Ende der Grünen im Nationalrat sorgte die bisherige Abgeordnete Sigrid Maurer – zumindest im Social Media-Universum: Auf einem Foto zeigte sie den Stinkefinger. Gegenwind kam von FPÖ-Chef Strache und Co. Das Bild, auf dem Maurer ein Glas Sekt hält und mit der anderen Hand dem Betrachter den Mittelfinger entgegenstreckt, war mit dem Kommentar »to the haters with love« versehen. »Das war keine Verabschiedung, sondern meine Antwort an all jene, die mich seit Tagen mit Hass eindecken«, rechtfertigte sie sich auf Twitter. »Echt niveaulos, echt Grün!«, befand etwa FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache via Facebook. (vienna.at, 10.11.2017)
2) s. https://www.nettime.org/nettime/DOCS/1/staat.html
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