Kultur, Politik

Wiener Notizen #7

Von Jürgen Schneider


Wahlplakat Herbert Kickl (Foto: JS)

Herbert Kickl1, Klubchef der völkischen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) erklärte im Sonntagsinterview von oe24, sollte es zu keiner Koalition der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) unter Sebastian Kurz, diesem »gemütlich-alpinen Missing Link zwischen den Entdemokratisierungsmodellen Brüssel, Visegrád und Salvini« (Augustin), und den Grünen kommen, sei die FPÖ zu einer Regierungsbeteiligung unter der nicht verhandelbaren Voraussetzung bereit, dass sie den Innenminister stellt. Und der soll natürlich Kickl heißen. Laut diesem rechtsradikalen Selbstinszenierer sei die Trennlinie zu Heinz-Christian Strache »vollständig gezogen«. Der Ex-Vizekanzler Strache war wegen des Ibiza-Videos und einer Spesenaffäre gestürzt und von seiner Partei suspendiert worden, seinen Rausschmiss lassen seine Kameraden derzeit juristisch prüfen.

Profil berichtete, dass Strache von der Bezirkshauptmannschaft Tulln in den vergangenen Monaten zwei Gewerbescheine ausgestellt wurden. Strache möchte demnach PR- und Unternehmensberater werden. Nur: Wer will sich von einem so strammen Rechten wie Strache beraten lassen? Seine FPÖ-Kumpane möchten seine Dienste nicht mehr in Anspruch nehmen. Vielleicht betreibt er stattdessen PR für eine Wehrsportgruppe? Damit kennt er sich bestens aus, hat er einst doch an paramilitärischen Wehrsportübungen von Neonazis im niederösterreichischen Wald teilgenommen. Oder er berät den steirischen FPÖ-Nationalratsabgeordneten Wolfgang Zanger, der Ende August ein Foto auf Facebook postete, »auf dem man ihn in Lederhosen vor einer Holzwand sitzen sieht mit einer jungen Frau, die sich mit den Armen und dem Kopf an seine Schultern schmiegt. ›Es war mir wirklich eine große und wahrliche Freude‹, schreibt Zanger an die ›liebe Philippa Strache‹, die mit ihm auf dem Bild zu sehen ist. ›Wahre Politik ist es, einfach beim Menschen zu sein!‹« (SZ)

Laut Kronenzeitung ist Wolfgang Zanger Mitglied der Verbindung ›Pennales Corps Austria zu Knittelfeld‹. Diese habe von der Grazer Burschenschaft ›Cheruskia‹ zum 125-Jahre-Jubiläum das Buch Liederliche Lieder geschenkt bekommen. Von diesem rassistischen, nazistischen und antisemitischen Machwerk2 existieren laut Zanger 50 bis 70 Exemplare, eines steht bei ihm zuhause im Regal. Zanger erklärte, da er das Buch nicht geschrieben habe, könne er sich auch nicht davon distanzieren. Die FPÖ distanziert sich zwar drei Wochen vor der Landtagswahl in der Steiermark von dem Buch, nicht aber von ihrem Kameraden Zanger. Der steirische FPÖ-Chef Kunasek dröhnte, er »wehre sich in sehr klarer Weise gegen diese Nazi-Kampagne«, womit er die Vorwürfe gegen Zanger meinte. FPÖ-Parteichef Hofer brauchte drei Tage, um überhaupt zu reagieren, nur um dann zu konstatieren, dass man einen Politiker nicht einfach in eine Nazi-Diskussion verwickeln dürfe, wenn er vor vierzehn Jahren ein Buch geschenkt bekommen habe. Der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, Oskar Deutsch, forderte Hofers Rücktritt von seinem Amt als Dritter Nationalratspräsident.

Liedbucheigentümer Zanger ist kein unbekannter Rechtsradikaler. 2006 erklärte er, am Nationalsozialismus habe es auch gute Seiten gegeben, Adolfs Autobahnbau zum Beispiel, der den Menschen Hoffnung gegeben habe; 2016 nahm Zanger an einem Marsch der Identitären teil und hielt vor den identitären Kameraden eine Rede. 2017 mit dem Großen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich dekoriert, bezeichnete dieser Assholf Betriebsräte als »Beidl«. Das Wort bedeutet im Österreichischen und auch in Teilen Bayerns »Trottel, depadder« und »Idiot«, ist aber auch ein vulgärer Ausdruck für männliche Genitalien.

Für den Steirischen Herbst 2018 hatte der japanische Künstler Yoshinori Niwa einen Container konzipiert, der für die Entsorgung von Nazi-Relikten als Soforthilfe-Aktion gedacht war. Der Container wurde am Grazer Hauptplatz aufgestellt, der zwischen 1938 und 1945 Adolf-Hitler-Platz hieß. Niwa konfrontierte die Bürger*innen nicht nur mit der Nazi-Vergangenheit der eigenen Vorfahren, sondern stellte den Umgang damit in den Vordergrund. Ein Video dieser Container-Aktion ist nun im Rahmen der Ausstellung Japan Unlimited zu sehen (frei_raum Q21, exhibition space; MuseumsQuartier Wien, bis 24.11.2019). Der Kurator der Ausstellung, Marcello Farabegoli, lenkt das Augenmerk vor allem auf Werke nicht nur japanischer Künstler*innen, die in der japanischen Gesellschaft, bei japanischen Museen, Institutionen usw. Reaktionen der Abneigung oder gar Zensur hervorgerufen haben.

Dazu gehört auch Niwas Video-Foto-Fahnen-Arbeit ›Proposing to Hold Up Karl Marx to the Japanese Communist Party‹. Niwa besuchte Büros der Kommunistischen Partei Japans und bat, man möge dort ein Porträt von Karl Marx aufhängen. Dieser Bitte wurde hier und da widersprochen mit dem Hinweis, man betreibe keinen Personenkult, oder damit, der Radikaldenker aus Trier habe nicht immer recht gehabt. Kensho Sasaki, ein führender Politiker der Kommunistischen Partei Japans, suchte allerdings für das Karl-Marx-Foto einen passenden Platz in seinem Büro.


Yoshinori Niwa, Proposing to Hold Up Karl Marx to the Japanese Communist Party (Detail) (Foto: JS)

Mit einer recht einfachen Bearbeitung gelingt Gianmaria Gava mit ihrer Fotoarbeit ›Hirohitos Neue Kleider‹ die Hinterfragung der oft beschönigten Rolle des japanischen Kaisers während des Zweiten Weltkriegs. Der von Marineoffizieren umringte japanische Kaiser wurde im Juni 1943 von einem unbekannten Fotografen an Bord des Kriegsschiffes Musashi abgelichtet. Gava spart den Körper des Kaisers durch Camouflage aus – an seine Stelle werden Teile der im Hintergrund zu sehenden Flugabwehrwaffe gesetzt.

Für Chim↑Pom stellt die Resistenzentwicklung von Ratten gegen Gift eine Metapher für die inmitten radioaktiver Kontamination lebenden Menschen in Japan und anderswo dar, die aus der Situation heraus Überlebensstrategien entwickeln. »Superratte« ist eine Bezeichnung von Schädlingsbekämpfern für eine Ratte, die immun gegen Rattengift ist. Chim↑Pom fing einiger dieser Superratten ein, ließ sie präparieren und gelb einfärben wie Pikachu, das kleine, nagerähnliche Pokémon.


Chim↑Pom, Superratte (Foto:: JS)

Momoyo Tormitsus Animation ›Business Habitual‹ basiert auf einer Fotografie, die auf der Pressekonferenz aufgenommen wurde, bei der die CEOs von Tepco, dem Betreiberunternehmen der havarierten Atommeiler von Fukushima, erstmals vor die Öffentlichkeit traten und sich mit einer Verbeugung zu entschuldigen suchten. Momoyo Tormitsu macht diese Verbeugung zu einem Loop und lässt die Manager nach ihrer Verbeugung immer wieder in höhere Sphären entschweben.

Einer anderen Katastrophe, dem Ausbruch des isländischen Vulkans Hekla im Jahre 1947/48 gilt die gleichnamige Komposition des isländischen Komponisten Jón Leifs von 1961, die zum Auftakt des bis zum 30. November dauernden Musikfestivals Wien Modern ihre österreichische Erstaufführung erfuhr.

Für ›Hekla für Orchester und Chor op. 52‹ werden neben einer allgemein großen Besetzung auch 19 Schlagzeuger in zwei Gruppen benötigt, die unter anderem Ambosse, große und kleine Steine, Sirenen, Glocken, Eisenketten, große Holzkisten, Gewehre und Kanonen bespielen. Die 6-minütige Komposition beginnt leise und nimmt an Intensität bis zum Donner, Getöse und dem Tumultuarischen des Vulkanausbruchs immer mehr zu.


Im Hohlkörper der Brigittenauer Brücke (Foto: JS)

Vor ›Hekla wurde das Kammermusikstück ›Moult‹ der in Rom geborenen Komponistin Clara Iannotto zur Aufführung gebracht, eine Auseinandersetzung mit dem existentiellen Prozess des Häutens, wie er bei vielen Tieren vorkommt. Mit seiner Komposition ›4 Weiss‹ widmet sich Peter Ablinger dem weißen Rauschen. Dem Publikum, aus dem einige Buhrufe zu hören waren, missfiel wohl, dass die Streicher gegen das Rauschen anzuspielen schienen.

Die polnische Komponistin Agata Zubel schrieb ihr Orchesterstück ›Fireworks‹ anlässlich des 100. Jahrestages der Unabhängigkeit Polens. Dieses musikalische Feuerwerk blieb trotz des Einsatzes unkonventioneller Techniken leider zu sehr der musikalischen Tradition verhaftet.

Luciano Berios ›Sinfonia‹ entstand 1968/69. Dieses collagierte Werk des italienischen Avantgardisten, eine Verbeugung vor Gustav Mahler wie auch vor Martin Luther King, vor Samuel Beckett, James Joyce und den revoltierenden Studenten von Paris im Mai 1968, hat nicht die geringste Patina angesetzt. Die Vokalpartien können als Frühform von Spoken Word Poetry angesehen werden, die den zeitgenössischen Sprechnasen mit ihren banalen Reimen und ihrem inhaltsleeren Geplapper nur die Schamesröte ins Gesicht treiben können.

Für ihre Klanginstallation ›Modified Grounds #2 Concrete Voids für 10 Schlagwerker*innen, Stimme, Video, menschliche und nichtmenschliche Trigger‹ hatten sich die Komponistin Judith Unterpertinger und die Künstlerin Katrin Hornek die Brigittenauer Donaubrücke in Wien ausgesucht. In ihrem Projekt geht es um die Bau- und Produktionsprozesse, durch die in unserem Jahrhundert mehr Gesteinsmaterial verschoben wird als durch Flüsse, Erosion oder andere nicht-menschlich ausgelöste Prozesse zusammengenommen. Die Brücke wurde gewählt, weil sie mit einem Bein auf der größten menschengemachten Struktur Wiens steht – der Donauinsel. Dabei hätte der Hohlkörper unter der Brückenfahrbahn, durch den sich die aus Sicherheitsgründen behelmten Besucher*innen auf den begehbaren Gitterrosten langsam geradeaus bewegten, nicht nur als Aufführungsstätte für von außen herangetragene Töne dienen, sondern als Raum mit höchst eigenen akustischen Ausprägungen und Soundqualitäten in die Darbietung integriert werden können.

 

Anmerkungen:

1) Kickl soll angeblich der einzige SUV-Fahrer im österreichischen Nationalrat sein. Wie in der Alpenrepublik ein solcher Kampfkübel gefahren wird, berichtet der Kabarettist Klaus Eckel in einer Kurier-Kolumne: »Vor Kurzem hat mir mein Zahnarzt von seinem neuen SUV vorgeschwärmt. Dieser hätte ein eingebautes Pilot-Assistenz-System. Bei einer Autobahnfahrt von Wien nach Salzburg müsste er kein einziges Mal mehr ins Steuer greifen. Leider verlangt dieses System regelmäßig nach am Lenkrad befindlichen Händen. Deshalb hat er jetzt auf der Innenseite des Lenkrades mit Klebeband zwei Bananen befestigt. Diese täuschen dem Pilot-Assistenz-System menschliche Hände vor. Da das ökologische Bewusstsein bei einem SUV gerne aufheult, verwendet mein Zahnarzt zumindest zwei Biobananen.« Unbestätigten Medienspekulationen zufolge will Kickl sein SUV-Pilot-Assistenz-System mit einem doppelten Hitler-Gruß überlisten.

2) Einige der widerlichen Passagen aus dem Liederbuch druckte die Kronenzeitung in ihrer Ausgabe vom 1. November auf Seite 3 ab, während die anderen Printmedien meist nur das Lied ›Es lagen die alten Germanen‹ zitierten, in dem es heißt: »Heil Hitler, ihr alten Germanen, ich bin Tacitus.« Laut Kurier vom 1. November 2019 findet sich dieses Lied nicht nur in dem besagten Burschenschafter-Buch, »sondern auch in dem Kommersbuch des österreichischen Cartellverbands (ÖCV), dem ›Österreichischen Studenten Liederbuch Gaudeamus‹ wie auch bis vor einigen Jahren auf der Homepage des Mittelschüler-Kartell-Verbands (MKV). Steiermarks ÖVP-Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer ist Ehrenmitglied zweier Verbindungen und steht Donnerstagnachmittag plötzlich im Fokus. Christian Krainer, Vorsitzender des Altherrenlandesbundes Steiermark des ÖCV bestätigt, dass das Lied in früheren Auflagen des Kommersbuches zu finden war. ›Es gibt drei Auflagen. In letzterer ist das Lied nicht mehr enthalten, in jener von 1983 schon, aber mit einem Verweis auf den historischen Bezug.‹ Unter den rassistischen Parolen steht: ›Dieser parodistische Text zur älteren Melodie bespöttelt übertriebene Deutschtümelei, insbesondere Nazismus und Rassenlehre.‹ Das Lied wurde ursprünglich von katholischen Studenten im Widerstand gesungen, als Schmählied gegen die Nazis verwendet. Schlagende nationale Burschenschaften dürften es übernommen und neue, antisemitische Strophen eingesetzt haben.«

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