Osten, Politik

Der »rechte Rand der DDR-Aufarbeitung« und der zeitgenössische Antikommunismus

Von Thomas Klein

Die DDR ist seit drei Jahrzehnten tot. Ihre Geschichte ist geschrieben, sollte man meinen. Umso mehr überrascht die Wucht, mit der die Deutung der DDR-Geschichte und der ostdeutschen Nachwendezeit in den letzten Monaten in den Mittelpunkt geschichtspolitischer Debatten gerückt sind. Zugleich haben sie mit Blick auf die Wahlerfolge der AfD tagesaktuelle Brisanz bekommen: In welcher Beziehung steht der Aufschwung des Rechtspopulismus zum Umbruch der Jahre 1989/90? Und welche Rolle spielen dabei Akteur*innen der ehemaligen DDR-Opposition? Thomas Klein analysiert die aktuellen Auseinandersetzungen.

Dreißig Jahre nach der Herbstrevolution in der DDR hat der Deutungskampf um den Charakter dieses Aufstands gegen die herrschende SED-Politbürokratie ungewöhnlich an Schärfe zugenommen. Und dies, nachdem in den zurückliegenden drei Jahrzehnten die Erinnerung an die demokratisch-sozialistischen Attribute der herbstlichen Massenempörung von 1989 medial erfolgreich verdrängt wurden – zugunsten einer Feier der Wiedervereinigung als vermeintlich tatsächlichem »Sinn« dieser Herbstrevolution. Der 4. November 1989, der Tag der größten emanzipatorischen Massendemonstration in der Geschichte der DDR (»Stell dir vor, es ist Sozialismus und niemand geht weg«[1]) ist als gesellschaftspolitischer Erinnerungsort weitgehend verschwunden. Dagegen wurde der 9. November, der Tag, an dem SED-ZK und DDR-Ministerrat unter Druck stehend die Mauer öffneten, als Schlüsseldatum wieder ausufernd gefeiert. Zusammen mit dem Wahlerfolg der »Allianz für Deutschland« am 18. März 1990 gilt er als Prélude zu dieser Wiedervereinigung. Die noch bevorstehende, auf mediale Überwältigung zielende Feier des 3. Oktober 1990 als Tag des Anschlusses der DDR an die alte Bundesrepublik wird erinnerungspolitisch alle vorhergehenden Gedenkdaten überwölben.

Das »Gegenwärtige« einer alten Problemlage

Soweit schien die geschichtspolitische Bereinigung des Blicks auf die Herbstrevolution und ihren Abbruch zugunsten der Feier einer kapitalistischen Rekonstruktion Ostdeutschlands reibungslos verlaufen zu sein. Doch warum dann die erwähnte gegenwärtige Zuspitzung der Kontroversen um den Charakter der Herbstrevolution, die wirkliche Gestalt der kleinen politisch-alternativen oppositionellen Gruppen der 80er Jahre und die sozialen und ökonomischen Transformationsverheerungen des Anschlussprozesses? Und vor allem: Warum erst jetzt, nach 30 Jahren, und nicht etwa schon an ihrem zwanzigsten oder zehnten Jahrestag? Was war passiert?

Die Treibsätze dieser Aufregung sind ersichtlich: Die Erzählung von der Wiedervereinigung als Erfolgsgeschichte ist zunehmend ins Zwielicht geraten. Im Rückblick auf ihre Vorgeschichte erinnern sich viele auch wieder an die schon im Dezember 1989 anhebenden rassistischen Parolen im Sog des zunehmenden nationalistischen Taumels. Angesichts heutiger Hetzkampagnen gegen Flüchtlinge erinnert man sich auch an die deutschlandweiten Pogrome der frühen 90er Jahre, welche seither von den Regierungsparteien zur schrittweisen Aushöhlung des Asylrechts genutzt wurden. Die Verklärung des Erfolgs der »Allianz für Deutschland« (»AfD«[2]) von 1990 hat mit der partiellen Öffnung der Treuhand-Akten weitere Risse bekommen. Augenscheinlich hat die »Alternative für Deutschland« (AfD) erfolgreich auch die Desillusionierung von Teilen der ostdeutschen Mehrheitsbevölkerung angesichts der sozialen Langzeitfolgen einer rabiaten Deindustrialisierungspolitik im Anschlussgebiet für sich zu nutzen verstanden. Wenn die sozial- und gesellschaftspolitischen Verwerfungen des 30-jährigen kapitalistischen Rekonstruktions- und Transformationsprozesses nun vermehrt in den Blick geraten, ist vor dem Hintergrund der AfD-Wahlerfolge im Osten häufig von rechtspopulistischen Frustreaktionen der Deindustrialisierungsopfer die Rede – so, als ob fremdenfeindliche Einstellungen, neonazistische Neigungen oder rassistische Ausschreitungen die naturwüchsige Folge sozialen Abstiegs sein müssten. Angefacht vom Zustrom der Kriegs- und Elendsflüchtlinge haben sich seit 2014 die schon seit jeher existierenden rassistischen, fremdenfeindlichen, islamophoben und antisemitischen Affinitäten einer beachtlichen Bevölkerungsminderheit in dem politischen Projekt der AfD verdichtet. Deren Projektion eines völkischen Kapitalismus fußt auf Ausgrenzung und Diskriminierung »undeutscher« Bevölkerungsgruppen. Und es scheint, als ob in Ostdeutschland viele »Allianz für Deutschland«-Wähler von 1990 ihrer Enttäuschung über die für sie ausbleibenden »blühenden Landschaften« Luft machen: Nachdem sie in der DDR vergeblich auf Honeckers sozialpolitische Verheißungen warteten (»Die SED hat uns betrogen – Honecker in den Knast«), sahen sie sich im ersehnten »Deutschland einig Vaterland« von Kohl getäuscht (»Die CDU hat uns verraten – Merkel muss weg«) und wollen nun (nachdem sie der SED und der CDU auf den Leim gegangen waren) auf die AfD setzen, die sich frech als wahre Erben und Vollenderin der Herbstrevolution inszeniert. Ihre Demagogie speist sich dabei aus drei Quellen: Zum Einen aus der Geschichtsvergessenheit hinsichtlich der wirklichen Attribute der »Oktoberrevolution« von 1989, woran bundesdeutsche Hofhistoriker und auch manche damalige Herbstrevolutionäre kräftig mitgewirkt haben. Zum Zweiten aus der Verdrängung und Beschönigung der Transformationsfolgen im Anschlussgebiet, welche die Regierungsparteien – darunter auch die PDS/Linkspartei – verantworten. Die AfD setzt dabei auf die reaktionäre Kanalisierung dieser erlebten und in manchen Fällen nur eingefrorenen Widersprüche und Abwertungsserfahrungen. Und zum Dritten aus den erwähnten rassistisch-nationalistischen Affinitätspotenzialen einer Bevölkerungsminderheit, deren Mobilisierung der AfD im Verbund mit den erstgenannten beiden anderen Quellen gelungen ist.

Die Losung der Demonstrant*innen vom Oktober »Wir sind das Volk« hatten Pegida und AfD schon lange gekapert. Neuerdings tritt nun die AfD nicht nur mit dem Anspruch auf, die Erbin der Herbstrevolution 1989 in der DDR zu sein – sie sieht sich sogar als ihre Vollenderin. Gegen diese Erbschleicherei wehrte sich jedoch eine große Zahl ehemaliger DDR-Herbstrevolutionäre. Sie wehren sich zu Recht. Ihre Erklärung »Nicht mit uns« vom 18. August 2019 zeigt klare Kante gegen die AfD. Wie auch sonst kann man sich gegenüber einer Partei positionieren, die sich als Speerspitze eines völkischen Kapitalismus, als islamophober Maueragitator gegen »volksfremde Scheinasylanten«, als Sozialstaatskeptiker und Klimakrisenleugner versteht und immer weiter ihrem rechtsradikalen »Flügel« erliegt. Es gibt jedoch ein großes Aber: Die ehemaligen Herbstrevolutionäre schreiben in besagter Erklärung: »Mit der Wiedervereinigung erfüllten sich die Ziele der Revolution: Demokratie, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, offene Grenzen, ein geeintes Europa und Wahrung der Menschenrechte […] Das ist bereits unser Land.«[3] Um der AfD zu begegnen, sind solche verfälschenden Aussagen über die gegenwärtigen Zustände in Deutschland und Europa, über die »Zielverwirklichungsquote« der DDR-Opposition des Herbstes 1989 sowie das affirmative Bekenntnis zur deutschen Staatsraison wirkungslos.

Die Genesis eines »Dreiklangs«

Von dreierlei soll im Folgenden die Rede sein: Was ist von den verbalen Distanzierungen der selbsterklärten »Parteien der Mitte« gegenüber dem konkurrierenden völkisch-chauvinistischen Rechtsausleger AfD zu halten? Was haben diese Parteien selbst zu deren Aufschwung beigetragen? Und schließlich: Aus welchen Quellen und Privilegien speiste sich die Rechtsdrift prominenter Ex-DDR-Oppositioneller hinein in das Milieu der Neuen Rechten und in die Nähe der AfD?

In den letzten vier Jahren wuchsen mit dem Aufschwung von Pegida und der AfD nicht allein bei den ratlosen linken politischen Kräften die Irritationen über den gesellschaftlichen Raumgewinn rechtsextremer, fremdenfeindlicher, rassistischer und chauvinistischer Strömungen. In Sonderheit konstatierte der publizistische Mainstream verwundert das vermehrte Abdriften prominenter ehemaliger DDR-Oppositioneller ins Zwielicht rechtslastiger Ideologeme und in die politische Nähe nationalistischer reaktionärer Bürgerbewegungen. Manchmal war deshalb schon von der Diskreditierung dieser DDR-Opposition in Gänze die Rede. Tatsächlich aber steht dieser kleinen Zahl prominenter »Rechtsausleger« eine vielfach größere Zahl vorwiegend wenig bekannter ehemaliger DDR-Oppositioneller gegenüber, die sich über das ganze Spektrum ihrer differenzierten politischen Positionen hinweg in den vergangenen drei Jahrzehnten mehrfach entschlossen von diesen Rechtsauslegern und diversen seitens der Herrschenden zu verantwortenden politischen Obszönitäten öffentlich distanziert hatten. Hier jedoch soll nach den Gründen für die bisherige privilegierte mediale Präsenz der neurechten ehemaligen »DDR-Bürgerrechtler«, der Entstehung solcher Privilegien und nach ihrer Einbindung in die Netzwerke jener (geschichts)politischen Großkartelle gefragt werden, in denen heute scheinheilig gefragt wird, »wie es dazu kommen konnte«.

Geschichtspolitische Frakturen in der Aufarbeitungslandschaft

Namentlich in der Historikerzunft fragen inzwischen selbst arrivierte Akteur*innen der Gedenk- und Aufarbeitungsapparate besorgt, welche Konsequenzen dieser gesellschaftliche Rechtstrend und die übergewichtige öffentliche Aufmerksamkeit für die »rechten Dissidenten« insbesondere auf dem Feld der »DDR-Aufarbeitung« haben. Im Februar 2019 fand eine von der Amadeu-Antonio-Stiftung ausgerichtete Arbeitstagung zum Thema »Der rechte Rand der DDR-Aufarbeitung« statt, auf der ein Teilnehmer schon sehr früh die Frage stellte, wie die Institutionen der DDR-Aufarbeitung selbst zur »Schärfung« dieses rechten Rands beigetragen hatten. Schließlich hätten die neurechten ehemaligen DDR-Oppositionellen dort einen enormen Diskursraum in Anspruch nehmen können. Ein anderer Teilnehmer ergänzte, die anhaltende Super-Institutionalisierung und -Ausstattung der DDR/MfS-Forschung habe die DDR-Diktatur auf die Ebene der NS-Verbrechen hochgestemmt, und dies vielfach auf der Grundlage einer banalisierten Totalitarismustheorie. Die dort dominierende Gleichordnung von NS und DDR-Diktatur sei genau die Agenda von Hubertus Knabe gewesen, der die Gedenkstätte der ehemaligen zentralen Untersuchungshaftanstalt des MfS in Berlin-Hohenschönhausen zu einer Schule des Antikommunismus formte und das Dogma einer Gleichsetzung von Stalinismus und Kommunismus propagierte. Diese Agenda Knabes sei schon vor seiner Berufung 2000 als Gedenkstättenleiter angesichts seiner umstrittenen Veröffentlichungen als Mitarbeiter in der BStU bekannt gewesen. Seine Berufung sei damals gegen das Votum der Berufungskommission auf Veranlassung des von der CDU bestellten Berliner Kultursenators Christoph Stölzl zur Zeit der Berliner Großen Koalition erfolgt. Trotz anhaltender Kritik habe der Beirat der Gedenkstätte über Jahre seine Ablösung gescheut. Der Treppenwitz seiner Abberufung bestünde darin, dass dafür nicht die angehäuften Zweifel an seinem auf Überwältigung fußenden Gedenkstättenkonzept und seine medialen Kreuzzüge gegen Marx, Linkspartei und Kommunismus ausschlaggebend waren, sondern letztlich ein #metoo-Skandal. Dabei hatte sich im Vorfeld der Vorsitzende des Fördervereins der Gedenkstätte, Jörg Kürschner, mehrfach in der rechtsextremen Jungen Freiheit auf Seiten der AfD positioniert.

Klar ist: Politische Verantwortungsträger*innen, Medien und Aufarbeitungsinstitutionen haben jahrelang über bekannte Verzeichnungen und antikommunistisch konnotierte Falschdarstellungen in der Gedenkstättenarbeit absichtsvoll hinweggesehen. Es seien in diesem Zusammenhang auch an die Positionen CDU-dominierter rechtskonservativer Netzwerke in der langjährigen gedenkpolitischen Debatte besonders in Sachsen um die Ausgestaltung der Erinnerungsorte des NS und der DDR[4] erinnert. Dieses rechtskonservative Klientel bediente sich des Öfteren der Rechtsausleger aus der DDR-Opposition – und umgekehrt.

Als dann in Berlin das Maß voll war, überschlugen sich diverse frühere Weggucker aus der CDU und SPD innerhalb und außerhalb des Stiftungsbeirats in wohlfeiler Empörung. Die politischen Verantwortlichen versuchen emsig, ihre Mitverantwortung zu verschleiern. Und die Partei DIE LINKE hatte sich in den Jahren zuvor fortwährend in der (berechtigten) Erwartung verkrochen, jede Kritik ihrerseits an der dubiosen Hohenschönhausener Gedenkstättenarbeit hätte sie seitens der hauptverantwortlichen CDU/SPD dem Vorwurf ausgesetzt, die Aufarbeitung der SED-Diktatur vorsätzlich und in klammheimlicher Harmonie mit den Attacken der ehemaligen Stasi-Obristen auf die Gedenkstätte schädigen zu wollen. Diese Kampagne ließen sich Knabes Bündnispartner trotzdem nicht nehmen. Mit ihrer Legende von einer linken Verschwörung des Stiftungsrats gegen die DDR-Aufarbeitung setzten sie Knabe als Symbol dieser Aufarbeitung und den linken Kultursenator Klaus Lederer als Kopf der Verschwörer im Dienste der Verhinderung dieser Aufarbeitung ins Bild und gingen damit auch gleich in Konfrontation mit dem arrivierten Aufarbeitungskartell und den gedenkpolitischen Parteiarbeitern des gesamten Parteienspektrums bis auf die AfD. Ein anderer Tagungsteilnehmer erinnerte daran, dass Angelika Barbe und Vera Lengsfeld als ehemalige DDR-Oppositionelle heute mit der AfD das vertreten, was in den 50er Jahren in der BRD erinnerungspolitischer Mainstream war und deren Lesart des Antitotalitarismus ein rabiater Antikommunismus sei.

Umfeld-Verflechtungen rechter Dissidenz

Es lohnt sich, an dieser Stelle die institutionelle Umfeld-Verflechtung dieses rechten Milieus und des heutigen politischen –  insbesondere erinnerungspolitischen –  Mainstreams unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsausleger aus der ehemaligen DDR-Opposition und deren mediale »Ermöglichungsräume« zu betrachten. Was die CDU-Instanzen Vera Lengsfeld an medialer Präsenz ermöglichten, bis sie in Ungnade fiel, ist bekannt. Eine Schlüsselinstanz staatlicher gedenk- und erinnerungspolitischer Weichenstellungen ist die »Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur«. Wer hier im Stiftungsrat sitzt, nimmt maßgeblichen Einfluss. Die Bundesverdienstkreuzträgerin Vera Lengsfeld ist seit 1998 ununterbrochen auf Vorschlag der CDU/CSU-Fraktion vom Bundestag gewähltes Mitglied im Stiftungsrat[5] – auch gegenwärtig und weiterhin als Stellvertreterin von Manfred Wilke. Angelika Barbe hatte sich neben Vera Lengsfeld als besonders eifrige Verteidigerin von Knabe profiliert. Dazu passte es, dass sie im Februar 2019 höchstpersönlich auch die Protestdemonstration gegen die erwähnte Fachtagung zum »rechten Rand der DDR-Aufarbeitung« anführte. Der CDU-Überläuferin Angelika Barbe (Mitgründerin der Sozialdemokratischen Partei der DDR [SDP], später SPD-Parteivorstandsmitglied) standen im Überfluss institutionelle Gelegenheiten zur politischen Einflussnahme zur Verfügung: sei es im Berliner Bürgerbüro zur Folgeschäden-Aufarbeitung der SED-Diktatur, im Vorstand der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft (unter anderem als stellvertretende Vorsitzende) oder in der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, wo sie als Referentin für das Thema »Aufarbeitung SED-Diktatur« zuständig war. 2000 wurde sie von der CDU sogar für das Amt der sächsischen Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen nominiert. Heute ist Angelika Barbe Unterstützerin von PEGIDA, Referentin beim Thinktank »Institut für Staatspolitik« der Neuen Rechten und Kuratorin der AfD-nahen Erasmus-Stiftung. Wie sich ein Zusammengehen von AfD und CDU anfühlt, konnte man schon in Sachsen-Anhalt besichtigen: Dort ist 2018 einem Antrag der AfD folgend mit Unterstützung aus der CDU-Fraktion eine Enquete-Kommission berufen worden, die Handlungsempfehlungen »als Grundlage für eine erfolgreiche Bekämpfung von Linksextremismus in Sachsen-Anhalt« erarbeiten soll. Als Vorsitzender dieser Kommission war der Rechtsextremist André Poggenburg, bis März 2018 AfD-Partei- und Fraktionsvorsitzender, vorgesehen. 2017 äußerte er im Magdeburger Landtag:

»Linksextreme Lumpen sollen und müssen von deutschen Hochschulen verbannt und statt eines Studienplatzes lieber praktischer Arbeit zugeführt werden. … Nehmen Sie die linksextreme Bedrohung ernst und beteiligen Sie sich an allen möglichen Maßnahmen, um diese Wucherung am deutschen Volkskörper endgültig loszuwerden.«

Das ist die Sprache der SA.

Zu den entschiedensten Knabe-Verteidigern gehört auch Arnold Vaatz, ehemaliger sächsischer CDU-Staatsminister, Mitglied des CDU-Bundesvorstands und ehemaliges CDU-Präsidiumsmitglied. 1989 war er Pressesprecher des Neuen Forums, bevor er im Februar 1990 vor den Volkskammerwahlen in die CDU sprang. Dieser ehemalige DDR-Oppositionelle ist heute stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Kernenergiebefürworter, Gorleben-Endlagerverfechter, Skeptiker gegenüber erneuerbaren Energien, Energiewende-Kritiker und Gegner einer Ausgrenzung der AfD – praktisch ein Negativ ursprünglicher Essentials der oppositionellen DDR-Friedens-, Anti-AKW-, Ökologie- und Antifa-Bewegung. Für seine herbstrevolutionären Verdienste dekorierte man Vaatz gleich doppelt: mit dem Bundesverdienstkreuz und dem Sächsischen Verdienstorden. Unisono mit Lengsfeld und Barbe sprach er von »krimineller Energie des Rechtsbrechers Kultursenator Lederer« und von der in Sachen Knabe befangenen Vermittlerin und Berichterstatterin Marianne Birthler. Kurioserweise befürchteten sowohl die Verteidiger*innen des Stiftungsrats als auch die Verteidiger*innen Knabes beide das Gleiche: Die Beschädigung des Ansehens der DDR-Aufarbeitung durch das Agieren der jeweils anderen Seite. Zu fragen, welchen Schaden diese Geschichtsarbeit durch das Agieren von Altparteien und Rechtspopulismus genommen hat, fällt beiden Seiten nicht ein.

Das Ausmaß der Heuchelei vieler »neugeborener« arrivierter Kritiker*innen Knabes ist schon bemerkenswert. Der Bundesverdienstkreuzträger Knabe war bis 2010 Fachbeirat für Wissenschaft und seither ununterbrochen bis 2017 »Fachbeirat Gesellschaftliche Aufarbeitung/Opfer und Gedenken« in der Bundesstiftung Aufarbeitung. Dass der ehemalige DDR-Oppositionelle Siegmar Faust ausgerechnet in Knabes Gedenkstätte bei seinen Führungen seinem antikommunistischen Sendungsauftrag sowie seiner Linkspartei-Phobie nachgehen konnte, war in Kenntnis von Knabes Agenda nur zu verständlich. Immerhin war Faust Vorstandsvorsitzender im Verband politisch Verfolgter des Kommunismus. Als Fördervereinsmitglied der Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Stalinismus (ab 2011 dem Zeitgeist folgend »Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Kommunismus«) war er in die Beihilfe zur rechtswidrigen Anerkennung einer vormaligen KZ-Aufseherin als rechtsstaatswidrig Verfolgte in der SBZ/DDR verwickelt, weshalb er 1994 auch seinen Job beim Berliner Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen verlor. Faust begann seinen neuen Anlauf 1996 nun gleich selbst als Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen – nämlich in Sachsen. Diese Berufung war nach solcher Vorgeschichte schon erstaunlich. Die CDU stützte Faust bis 1999 gegen alle Abwahlanträge der Opposition. Die von ihm 2013 in der Jungen Freiheit abgesonderten Europa-Positionierungen nahmen die PEGIDA-Agitation von 2014 vorweg. Den Artikel zeichnete er mit seiner Funktion als Kurator der Gedenkstätte Zuchthaus Cottbus.[6] Als fortgesetzter Autor in der rechtsextremen Jungen Freiheit und Mitverfasser einer Gedenkschrift für den Querfront-Autor Wolfgang Venor, ehemaliges Mitglied der Waffen-SS, durfte man von Faust noch einiges erwarten. Und tatsächlich: Neben einigem Unfug in Richtung einer angeblichen Übergewichtung der NS-Aufarbeitung artikulierte er 2018 seine antiislamischen Stereotype und seine Sympathien für die AfD auch innerhalb der Gedenkstätte bei einem Interview und während seiner Rundgänge mit den Besuchern. Hier sah sich selbst Knabe veranlasst, Faust zu kündigen.

Die von der CDU betriebene langjährige Privilegierung von Akteur*innen der sich nun vernetzenden neurechten Minderheit insbesondere von Ex-DDR-Oppositionellen, begünstigt durch die Untätigkeit der SPD, sei es durch Ämter, Posten im Aufarbeitungskartell oder Verdienstkreuze, ist keine »Panne«, selbst wenn sich diese Praxis nun als schädlich für die Glaubwürdigkeit des erinnerungspolitischen Manövrierens dieser Parteien herausstellt und ihren Ruf schädigt. Diese Praxis war durchaus kompatibel mit manchen strategischen Essentials des bisherigen geschichtspolitischen Agierens nicht nur der CDU, auch wenn sich die Erwartungen der Parteistrateg*innen an die Geförderten nun als verfehlt herausstellen. Die Zunft der Hofhistoriker*innen ist gleich mit beschädigt. Diesem Debakel mitsamt dem Ausmaß an Heuchelei könnte man auch komische Züge abgewinnen, wenn die Sache nicht so gefährlich wäre.

Fazit

Es gibt einen gemeinsamen Nenner rechtslastiger erinnerungspolitischer Spielarten und des Durchschnitts staatspolitischer Normen von Geschichtsaneignung: Dieser Nenner heißt »Antikommunismus«. Er evoziert ein Distanzgebot »rechtgläubiger Demokraten« zu allen Varianten linker politischer Gesinnung. Im rechten Lager bedeutet das hinsichtlich des Agierens ihrer Anhänger, dass jedweder linker Strömung mit einem rabiaten verbalen Exterminismus zu begegnen ist, der sich zumeist auf eine tendenziöse Totalitarismustheorie-Auslegung stützt.

Die Übergänge zwischen dem rechtskonservativen Milieu, der Neuen Rechten und dem Rechtsradikalismus sind durchaus fließend. Natürlich kann nicht jeder der prominenten neurechten ehemaligen DDR-Oppositionellen wegen oft nur zeitweiliger Episoden eines Gleichklangs mit dezidierten Schrittmachern der Neuen Rechten wie Ulrich Schacht und Rainer Zitelmann gleich des »Rechtsextremismus« geziehen werden – wohl aber einer (manchmal temporären) »Türöffnerfunktion« dorthin oder der Aufwertung von Querfront-Tendenzen. Es gibt eine lange Spur solcher Bekundungen im Zeitverlauf der letzten dreißig Jahre. So räsonierte Wolfgang Templin 1994 in der Jungen Freiheit über das neue Paradigma des Nationalen – in einer Zeit, wo gerade das Asylrecht ausgehöhlt wurde. Im gleichen Jahr fand man seinen Namen mit dem von Freya Klier, Arnold Vatz, Sigmar Faust und Rainer Eppelmann unter dem alarmistischen Berliner Appell aus der Neuen Rechten. Dieser Appell warnte vor einer »Wiederkehr des Sozialismus in Deutschland« und einer »antifaschistisch-demokratischen Ordnung«. Der DDR-Oppositionelle letzter Stunde Joachim Gauck signalisierte schon 2008 mit seiner Zeichnung der Prager »Erklärung zum Gewissen Europas und zum Kommunismus« seine Weltsicht. Der gastgebende Senator Martin Mejstřík erklärte damals: »Solange Europa den Gedanken nicht akzeptieren wird, dass der Nationalsozialismus und der Kommunismus völlig gleichwertige verbrecherische Regime sind, wird es nicht einheitlich sein.« Damit teilte Gauck den erinnerungspolitischen Kurs rechtskonservativer CDU-Kreise, welcher in Sachsen während der »Gedenkstättendebatte« zu erheblichen Turbulenzen führte. Was Michael Beleites, DDR-Oppositioneller und ehemaliger sächsischer Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen, dazu veranlasste, 2018 beim neurechten Institut für Staatspolitik vorzutragen und in deren Zeitschrift Sezession zu publizieren, ist letztlich unbegreiflich.

Wie stark einerseits rechtskonservative CDU-Kreise und andererseits rechtsextreme sowie AfD-affine Milieus in ihren Geschichtsbildern konvergieren können, zeigt die Durchsicht eines Querschnitt von Beiträgen in der geschichtsrevisionistischen rechtsradikalen Monatszeitschrift ZUERST! zur DDR-Geschichte: »Die Perspektive auf die DDR geht hier oft totalitarismusideologisch mit einer bewusst gewählten NS-Relativierung einher, indem die DDR und der Nationalsozialismus als zu verurteilende Unrechtsregime gleichgesetzt werden oder gar der ›Kommunismus‹ oder wahlweise der ›Sozialismus‹ als besonders bedrohlich, gefährlich und tödlich dramatisiert wird. Bei der Lektüre ergibt sich insgesamt der Eindruck, dass die DDR in der ZUERST!, mit Rücksichtnahme auf das NS-affine Zielpublikum, als größeres Übel angesehen wird. Die sozialistische Wiederbelebung gelte es heute zu verhindern. In etlichen Artikeln der Jahre 2017 bis 2019, die sich mit der politischen Situation in den ostdeutschen Bundesländern beschäftigen, werden diese konsequent als ›Mitteldeutschland‹ bezeichnet. Die korrekte Nennung Ostdeutschlands im politischen Diskurs gilt ihr als ›konformistisch‹. Hinter dieser Wortspielerei steckt eine klare politische Zielsetzung, auch wenn diese nicht genauer ausgeführt wird: Es wird die ›Wiedervereinigung‹ auch mit den ehemaligen ›deutschen Ostgebieten‹ angestrebt.«[7]

Wie wenig überzeugend die verbale Verurteilung des Rechtsextremismus gerade seitens der CDU angesichts ihrer antikommunistischen geschichtspolitischen Grundierung und ihres realen politischen Handelns ist, hat sich jüngst während der Aufarbeitung der Affäre um den »Nationalsozialistischen Untergrund« deutlich gezeigt. Die Blindheit auch der Ministerialbürokratie auf dem »rechten Auge« korrespondiert neuerdings auch mit ihrem Erfindungsreichtum bei der Beschneidung der Spielräume linker und linksliberaler Vereinigungen. Der neueste Dreh ist die Politik der Entziehung der Gemeinnützigkeit zur Schwächung besonders unbequemer Organisationen. Jüngster Höhepunkt ist diese Sanktionierung zu Lasten der »Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschist*innen«.

[1] Wörtliches Zitat von Christa Wolf in ihrer Rede auf der Demonstration.

[2] Auf die Idee, diese „Allianz für Deutschland“ bezeichnenderweise „AfD“ zu nennen, ist allerdings damals niemand gekommen.

[3] Nicht mit uns: Gegen den Missbrauch der Friedlichen Revolution 1989 im Wahlkampf, Erklärung vom 18. August 2019, siehe: https://www.havemann-gesellschaft.de/beitraege/nicht-mit-uns-gegen-den-missbrauch-der-friedlichen-revolution-1989-im-wahlkampf/

[4] Der Zentralrat der Juden in Deutschland sprach damals von der »Gefahr, … im Stiftungsbeirat fundamentale Unterschiede zwischen den Verbrechen der Nationalsozialisten mit europäischer Dimension und denen der Willkürherrschaft des Kommunismus in Ostdeutschland mit nationaler Dimension einzuebnen.« »Durch die Konzeption der sächsischen Landesregierung, die auch bundespolitische Signalwirkung in der Gedenkstättenförderung hinsichtlich einer Re-Nationalisierung des Gedenkens entfaltet, wird geschichtspolitisch die Zeit nach 1945 unter dem Stichwort ›doppelte Vergangenheit‹ einer ›Waagschalen-Mentalität‹ ausgesetzt.«

[5] Hier sitzt sie als »in Fragen der Aufarbeitung der SED-Diktatur besonders engagiert und qualifiziert«.

[6] Siegmar Faust, Europa und die Nationen – Unverwechselbar bleiben, Junge Freiheit vom 15.3.2013.

[7] Antifaschistische Pressearchiv und Bildungszentrum e.V. (apabiz): Der rechte Blick auf Ostdeutschland,

 

Foto: Eckwachturm der Gedenkstätte Hohenschönhausen (bearbeitet), Christian Liebscher, GNU Free Documentation License, Version 1.2