Zur Frankfurter Aufführung der Laibach-Symphonie Alamut
Von Jürgen Schneider
»Jenseits des Schimmerns der Wüste, in den polychromen Hügeln, kahl & ocker, violett, dunkel & umber, am Ende eines ausgetrockneten blauen Tales finden die Reisenden eine künstliche Oase, eine Festung im sarazenischen Stil, die einen verborgenen Garten umschließt. Als Gäste des Alten Mannes vom Berge, Hassan-i Sabbah, steigen sie über die aus dem Fels gehauenen Stufen zur Burg hinauf. Hier hat sich der Tag der Auferstehung bereits ereignet – diejenigen, die hier drinnen leben, sind außerhalb weltlicher Zeit, die sie mit Dolchen & Giften in Schach halten. Hinter Zinnen & in Türmen mit Mauerschlitzen wachen Gelehrte & Fedajin in engen Einzelzellen. Sternenkarten, Astrolabien, Destillationskolben & Retorten, Stapel aufgeschlagener Bücher in einem Strahl der Morgensonne – ein gezogener Krummsäbel. Jeder von denen, die in das Reich des Imam-des-eigenen-Seins eintreten, wird zum Sultan innerer Offenbarung, ein Monarch der Abrogation & Apostasie. Für sie hat sich die Hierarchie des Seins zu einem dimensionslosen Punkt des Realen verdichtet. (…) Nachts streckt sich Hassan-i Sabbah wie ein zivilisierter Wolf mit einem Turban auf einer Brustwehr über den Gärten aus & starrt in der unbekümmerten, kühlen Wüstenluft in den Himmel, eifrig die Sternengruppen der Häresie studierend. Es ist wahr, in dieser mythischen Welt mag einigen der angehenden Jünger aufgetragen werden, sich über den Wall ins Schwarze zu stürzen, genauso wahr ist aber, dass einige lernen werden wie Zauberer zu fliegen. Das Emblem von Alamut bleibt im Kopf, ein Mandala oder magischer Kreis, der Geschichte ergeben, aber eingebettet oder eingeprägt ins Bewusstsein. Der Alte Mann hinterlässt böse Träume, Stilette auf Kopfkissen, gewaltige Bestechungsgeschenke. Die Essenz seiner Propaganda sickert in die kriminellen Träume des ontologischen Anarchismus, die Heraldik unserer Obsessionen präsentiert die leuchtenden schwarzen Outlaw-Banner der Assassinen … alle sind Bewerber um den Thron eines imaginären Ägyptens, ein okkultes Raum/Licht-Kontinuum, erfüllt von noch ungeahnten Freiheiten.«1
Soweit der ontologisch-anarchistische Blick des US-Autors Hakim Bey auf Alamut. Die Laibach-Symphonie Alamut ist allerdings inspiriert von dem Erfolgsroman gleichen Namens aus der Feder des slowenischen Autors Vladimir Bartol. Das Buch erschien 1938, wurde in 18 Sprachen übersetzt und ist in Slowenien Schullektüre. Die deutsche Übersetzung des Buches, die aus dem Französischen erfolgte, tauge nichts, so Lojze Wieser, österreichischer Verleger und Kenner slowenischer Literatur, auf der Frankfurter Buchmesse, deren Gastland in diesem Jahr Slowenien war.
Protagonist des Romans Alamut ist Ibn Tahir. Der junge Mann unterwirft sich zunächst bereitwillig der in den polychromen Hügeln praktizierten Fedajin-Disziplin, wird aber trotz seiner Zweifel am prospektiven Paradies zum Assassin für Hassan, doch nur, um Verrat zu begehen, sich schließlich aber doch Hassans Weisheit zu eigen zu machen, dass »nichts wahr« ist, keine Religion, kein Gott, keine Verdammnis, und »alles erlaubt« sei. Ibn Tahir tritt Hassans Erbe an.2
Die Uraufführung von Laibachs Alamut fand im September 2022 im Freilufttheater Križanke statt, einst Sitz des römisch-katholischen Deutschritterordens, mit dem Malteserorden Rechtsnachfolger der Ritterorden aus der Zeit der Kreuzzüge. Am 19. Oktober 2023 wurde die Symphonie von knapp zwei Stunden Spieldauer in der Jahrhunderthalle zu Frankfurt-Höchst, die ohne Kreuzzugbezug ist, aufgeführt. Ein für ein Frankfurter Qualitätsmedium schreibender Schmock fand für die Aufführung das Attribut »stinklangweilig« und attestierte Laibach »brachiale Überwältigungseffekthascherei«. Alamut hat das kritische Hascherl erbarmungslos überfordert, es war offenbar nicht bereit, sich auf das noch nicht Eingeordnete, Gebilligte, unter fixe Kategorien Subsumierte einzulassen.
Laibachs Alamut, bestehend aus zehn Sätzen und dargeboten von Laibach höchstselbst, dem von dem Iraner Navid Gohari dirigierten exzellenten slowenischen RTV Symphonieorchester, den vornehmlich weiblichen Vokalgruppen Human-Voice Ensemble aus Teheran und Gallina aus Slowenien sowie zwölf Akkordeonspielerinnen, changiert zwischen dissonanten Harmonien und eher minimalistischen Klängen sowie von den Vokalgruppen erstklassig in leiser Tonstärke dargebotenen komplexen Gesängen. Letztere basieren auf der klassischen persischen Poesie von Omar Chayyām (1048-1131) sowie den sinnlichen Versen der persischen Dichterin Mahsati (ca. 11. Jh.).
In der Alamut-Ouvertüre wird das »große menschliche Experiment« vorgestellt, bevor es in die »versteckten Gärten« und zu den »Fedajin« geht. Auf den »Übergang« (»Transition«) folgt eine »Meditation«, die leise die Aufmerksamkeit steuert. Von Suchscheinwerfern angestrahlt, kommen sodann die Akkordeonspielerinnen, die ihren Instrumenten zackige Töne entlocken, aus dem Zuschauerraum auf die Bühne. An dieser dramaturgisch klug platzierten Stelle entbrennt infernalischer Schlachtenlärm (»Vojina« – Krieg). »Hier zeigt sich in der kompositorischen Kollaboration von Idin Samimi Mofakham (Iran), Nima A. Rowshan (Iran) und Laibachs Luka Jamnik am deutlichsten die brutalistisch-bombastische Seite Laibachs, wenn Orchester, Chor, Band und Akkordeons in einem fulminanten Tutti gipfeln.«3 Hier erreicht auch die Bühnenprojektion, u. a. mit Holzschnitten von Soldaten und Totenschädeln, ihren Höhepunkt. Danach werden die »Pforten der Wahrnehmung« aufgestoßen, um den Zugang zum »Metaversum« zu ermöglichen, die »menschliche Blindheit bis an deren Grenzen zu testen«. Nun darf auch Laibach-Frontmann Milan Fras mit seiner eindringlichen Stimme das ein oder andere Hassan-Zitat in den Raum stellen. »Das Menschlich-Allzumenschliche löst sich in den Klangkaskaden und sich gegenseitig erstickenden Frequenzen in Harmonien und Strukturen von kosmischer Kälte, Weite und Leere auf – wie die Musik, die diesen Prozess begleitet und gleichzeitig versursacht, sich selbst hinter sich zu lassen scheint, bis nichts mehr bleibt außer der totalen Abstraktion des Seins…«4
Die mit den »Nervensystemen des Publikums direkt interagierende Transformationsmaschine, eine nihilistische Liturgie«5 wirft noch die Frage auf »Wer wird uns vom Tod erlösen, nach dem das große endlose Nichts kommt?«, bevor die ebenso betörende wie verstörende Symphonie Alamut schließlich ohne jeden ideologischen Trost mit dem Hassan-Zitat »Wir sehen uns in der Hölle« endet.
1) Hakim Bey, T.A.Z. – Die Temporäre Autonome Zone. Aus dem Amerikanischen von Jürgen Schneider. – Berlin/Amsterdam: Edition ID-Archiv, 1994, S. 23-25. 2) Zum Roman und der Alamut-Premiere siehe den hervorragenden Text von Alexander Nym: Alamut in Klang und Schrift. Gedanken zur Uraufführung im September 2022, in: Uwe Schütte mit Johann Lughofer u. Daniela Kirschstein (Hrsg.), Kunst-Maschine. Essays on the Gesamtkunstwerk Laibach. – Klagenfurt: Drava Verlag, 2023, S. 275-289.
3) a.a.O., S. 279. 4) a.a.O., S. 280. 5) a.a.O., S. 287.