Von Jürgen Schneider
Jüngst erschien die LP John Peel BBC Sessions 97–99, auf der die drei John-Peel-Sessions der Berlin-Düsseldorfer Band To Rococo Rot kompiliert versammelt sind. John Peel war ein englischer Radiomoderator und DJ, der bis heute seinesgleichen sucht. »Trr Rkko Rott«, spricht er in ein Mikrofon, nachdem ihm seine deutschen Gäste Robert Lippok, Ronald Lippok und Stefan Schneider, die Musiker des Trios To Rococo Rot, versichert haben, eine offizielle Aussprache des Bandnamens gebe es nicht. »Das Album«, so Klangexperte Robert Mießner in der taz, »bündelt, was das Klangbild der 1995 gegründeten Band ausmachte: Atmosphäre, Detail- und Experimentierfreude, Rhythmik und Eingängigkeit.«
Die Platte Amateur View von To Rococo Rot wurde zwischen September 1998 und Januar 1999 aufgenommen und erschien 1999. Frank Sawatzki schrieb dazu 2013 im musikexpress: »›I Am In The World With You‹ zu Beginn des Albums ist die beste Beistandsmusik dieser Tage gewesen, ein programmatischer Titel. Mikroskopisch kleine Klangbilder voller melancholischer Momente, ästhetische Erkundungen und Alltagsbilder statt kühner Entwürfe und formelhafter Versprechungen.« In der Musikzeitschrift Rolling Stone hieß es in der Album-Kritik: »Die Platte fühlt sich an wie eine warme Decke. Es ist der Soul der neuen Maschine, ebenso tröstlich wie herrlich seltsam.« Der Kritiker von allmusic sprach von einer »aufplatzenden Tonkapsel eines warmen und entspannten Electro-Funk«. Der Pitchfork-Schreiber namens Schreiber gab dem To Rococo Rot-Frickeln, das sich einer eindeutigen Klassifizierung und Schubladisierung entzieht, einen Namen: »The Amateur View ist ganz Teil eines neuen deutschen Subgenres von Ambient Electronica namens ›Squirm‹. Die Künstler mischen analoge Effekte mit warmen, elektronischen Drohnen und mechanischer Percussion für einen Sound, der unverkennbar digital, aber dennoch 100 % menschlich ist.«
Das Düsseldorfer Zentrum für Aktion, Kultur und Kommunikation (Zakk) legt dieser Tage wieder einmal sein Programmhighlight Lieblingsplatte auf. Eine Woche lang dürfen jeden Abend Solisten oder Bands die Tracks einer Platte spielen, die zur Lieblingsplatte erkoren wurde, u. a. Peaches (The Teaches of Peaches) und Phillip Boa and the Voodooclub (Helios). Am 12. Dezember war To Rococo Rot mit Amateur View dran. Das Trio hatte zuletzt vor acht Jahren im berühmten Londoner Café Oto gespielt. Danach stellte sich bei den Musikern das Gefühl ein, aufhören zu müssen. Die Einladung nach Düsseldorf konnte nur angenommen werden, weil Robert Lippok noch ein Back Up von Amateur View von 2013 fand. Und so spielte To Rococo Rot im Zakk so ›squirmy‹ auf, als hätte sich die Band nie aufgelöst. Der Sound klang keineswegs retro, das musikalische Versprechen, das einst von ihm ausging, wurde eingelöst. Natürlich rockten die drei Musiker Amateur View nicht 1:1 herunter, To Rococo Rot ist schließlich nicht die Coverband der eigenen Musik. Zwei Zugaben gab es auch. Danach drängte sich die Frage auf, ob das ›I am in the world with you‹ erneut reale Gestalt annimmt, ob also dieses Konzert der Beginn der Wiederauferstehung von To Rococo Rot war und sei es in Anlehnung an Hakim Bey und sein Opus magnum Temporäre Autonome Zone nur temporär, »als Indikator dessen, was Nietzsche ›den Willen zur Macht als Verschwinden‹ genannt hat«.